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06.03.04 / Die erdrückende Last der Geschichte / Carl Gustaf Ströhm über den TV-Film "Stauffenberg" und die Mystifizierung Hitlers als "Monster"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. März 2004

Die erdrückende Last der Geschichte
Carl Gustaf Ströhm über den TV-Film "Stauffenberg" und die Mystifizierung Hitlers als "Monster"

Ein Zuschauer der älteren Generation, der in der vergangenen Woche den Fernseh-Film "Stauffenberg" gesehen hatte, brachte das Problem auf den Punkt: Niemand, der das Dritte Reich - und sei es auch nur als Pimpf oder Halbwüchsiger - am eigenen Leib erlebt habe, könne die Handlung und die Probleme, um die es hier geht, wirklich verstehen.

Jeder Zuschauer muß einräumen, daß der Film sehr gut gemacht ist. Schönheitsfehler beschränken sich auf Details - etwa, wenn die Darsteller vor dem 20. Juli 1944, also vor dem Attentat, die Wehrmacht mit dem "Hitler-Gruß" auftreten lassen. Das aber stimmt nicht: Die Wehrmacht, im Gegensatz zur Waffen-SS und anderen Parteiformationen, grüßte so, wie die Militärs fast überall auf der Welt zu grüßen pflegen: mit der angewinkelten rechten Hand am Mützenrand. Auch wirkten die Uniformen etwas künstlich: die Offiziers- und Generalsspiegel sahen aus, als hätte sie jemand mit Alleskleber auf die Uniform geklebt.

Sonst aber war der Film faszinierend und packend - solange man sich gedanklich im geschlossenen Kreis der Attentäter bewegte. Daß Hitler bis heute historisch nicht verarbeitet wurde, daß er inmitten der dramatischen Geschichte des Zweiten Weltkrieges wie ein im Grunde nicht erklärter und nicht erklärbarer Klotz im Raume steht, zeigt sich an Überschriften wie "Im Bann des Monsters" oder in seiner Charakterisierung als "Schreckensgestalt".

In solchen Vokabeln spiegelt sich das Elend (oder zumindest die Problematik) der zeitgenössischen deutschen Geschichtsforschung: Selbst im Negativen erhält diese "Schrekkensgestalt" eine "monströse" Aureole. Er beherrscht die Szene wie kein anderer. Die Attentäter - Oberst Graf Stauffenberg nicht ausgenommen - wirken wie Amateure, die einem übermächtigen "Profi" gegenüberstehen.

Dabei wird zweierlei einfach ausgeklammert: erstens die Tatsache, daß das "Monster" nicht aus dem Nichts kam, sondern aus der konkreten Situation der 20er und frühen 30er Jahre des 20. Jahrhunderts in Deutschland, das heißt aus der psychologischen Demütigung durch das Versailler Diktat ebenso wie der sozialen Situation - dem Massen-elend der Weltwirtschaftskrise. Das "Monster" machte hier eine "Entwicklung" zum Bösen und Skrupellosen durch - wobei diese Eigenschaften in ihm angelegt waren.

Hinzu kommt zweitens: Auch "er" war gebunden an konkrete Situationen. Es ist wie bei einem Flugzeugzusammenstoß in der Luft. In einem Augenblick stoßen zwei Maschinen aufeinander - mit katastrophalen Folgen. Wäre eine der Maschinen um Sekundenbruchteile früher oder später erschienen, wäre das Ereignis ganz anders verlaufen.

Natürlich ist in der Geschichte die bekannte Frage "Was wäre geschehen, wenn ...?" müßig. Es zählt das, was ist - nicht das, was gewesen sein könnte. Insofern ist die Beschäftigung mit dem 20. Juli-Attentat ein weitgehend theoretisches Unternehmen. Es ist letzten Endes der manchmal verzweifelt anmutende Versuch der Deutschen, aus dem Schatten des "Monsters" herauszutreten und wieder Interpretationshoheit über die eigene Geschichte zu gewinnen.

Was im Fernsehfilm deutlich wird, ist die Tatsache, daß es sich bei den Attentätern um einen in sich geschlossenen, "verschworenen" Kreis von großenteils relativ jungen Offizieren handelte, die bereit waren, eines der damals virulenten, heute für die Nachgeborenen aber unbegreiflichen Probleme anzupacken, nämlich die Frage des Fahneneides vor dem Obersten Befehlshaber, dazu noch im Kriegsfall. Wer das nicht berücksichtigt, dem muß die innere Motivation für das Attentat ein Buch mit sieben Siegeln bleiben.

Was im Film zu kurz kommt, ist der Gegensatz und sogar Widerspruch zwischen den Frontbefehlshabern einerseits und Stauffenberg andererseits. Der Mann, der das Hitler-Attentat nicht nur plante, sondern auch durchführen mußte (weil niemand anderer da war, der in den innersten Sperrkreis vordringen konnte), handelte als Einsamer.

Auch hier darf man die konkrete Situation nicht außer acht lassen: das Dritte Reich war in seiner Endphase ein Gebilde, in der - ausgenommen das "Monster" - niemand einen Gesamtüberblick hatte. Dieses totalitäre System steckte voller Widersprüche. Es ist bezeichnend, daß Oberst Graf Stauffenberg Stabs-chef des Befehlshabers des Ersatzheeres war. Er wußte von den - nicht vorhandenen - Reserven. Beim General der Nachrichtentruppe Fellgiebel, einem weiteren Verschwörer, liefen viele Nachrichten zusammen. Aber die meisten anderen, auch höhere Offiziere, wußten über die reale Lage - etwa an den Fronten, abgesehen von dem, was sich mehr oder minder zufällig ihrem Auge darbot - so gut wie nichts.

Warum der Funke damals nicht auf die "Fronttruppe" übersprang, warum sich die Frontmarschälle oft weigerten, die Attentatspläne zur Kenntnis zu nehmen oder ihnen gar beizutreten, hat einen einfachen Grund: Man fürchtete den Ausbruch eines Bürgerkrieges (zum Beispiel SS gegen Wehrmacht) hinter der Front und den Zusammenbruch beziehungsweise den Zerfall der Ostfront. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte ein erfolgreiches Attentat die ohnehin schon erschütterte Front gegenüber der Roten Armee (die Katastrophe der Heeresgruppe Mitte im Mai/Juni 1944 hatte gerade erst stattgefunden) im Sommer 1944 zum Einsturz gebracht - die Katastrophe des deutschen Ostens hätte unter viel extremeren Bedingungen um sich gegriffen.

Auch hier gilt natürlich die erwähnte Einschränkung des "Was wäre gewesen, wenn ...?" Nicht zu vergessen: Das "Monster" übte noch immer faszinierende, beinahe hypnotische Kräfte auf große Teile der deutschen Bevölkerung aus. Auch der brutale anglo-amerikanische Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung in den deutschen Städten trug nicht gerade zu einer Ernüchterung bei. So geisterte gerade in den Wochen und Monaten der westlichen Invasion an der Atlantikküste und angesichts der katastrophalen Mißerfolge an der Ostfront die Parole vom "Verrat" durch die damalige deutsche Gerüchtelandschaft. Alle Kräfte informierten sich so, daß dies den Intentionen des "Monsters" zugute kam.

Die deutsche Lebenswirklichkeit von heute ist - Gott sei Dank - von der Realität des Jahres 1944 Lichtjahre weit entfernt. Aber gerade deshalb müssen Versuche, über den Bildschirm der damaligen Situation gerecht zu werden, Stückwerk bleiben.

Was vielleicht das ernsthafteste kritische Argument gegenüber dem Stauffenberg-Film darstellt: Es projiziert im Grunde einen "Schwarz-Weiß-Gegensatz" in die Landschaft, den es in dieser Form nicht gegeben hat. Wer den Fernsehfilm sozusagen unvorbereitet sieht, kommt zu dem Schluß: Da war auf der einen Seite eine kleine Gruppe von Offizieren (meist Adlige), die aus nicht nachvollziehbaren Gründen (hauptsächlich, weil der Krieg verloren war) das "Monster" gewaltsam (durch Attentat) beseitigen wollten. Und da stand auf der anderen Seite die Masse der Deutschen, die teils Opportunisten, teils Feiglinge und "Nazis" waren, das heißt, mehr oder minder engstirnige und fanatische Nationalsozialisten.

Daß es dazwischen tausend und mehr Schattierungen und Differenzierungen gab, daß sich sogar die Akzeptanz des Obersten Befehlshabers längst von jeder "Parteigläubigkeit" getrennt hatte, gehört zu den Paradoxien jener Epoche. Da grassierte dann das Wort: "Wenn das der Führer wüßte ..." bis in sonst ganz unpolitische Kreise. Man darf nicht vergessen: Damals lebte eine Generation, die im monarchistischen Geiste erzogen war. Das "Monster" wurde für manchen zum Ersatz-Kaiser, zum guten weisen Vater, der von bösen Hofschranzen von der Wahrheit ferngehalten wird. Auch das hat die Position der Attentäter nicht stärken können.

Die letzten Monate des Dritten Reiches waren um vieles komplizierter und vielschichtiger, als sich unsere Schulweisheit träumen ließe. Hinzu kommt noch, daß jene "preußischen" Ideale, für welche die Attentäter einstanden, nach 1945 und erst recht nach 1968 nicht mehr in die "Gesinnungslandschaft" passen wollten. Das reicht bis zur Weigerung des CDU-Kanzlers Kohl, den Opfern der Enteignungen in der SBZ/DDR ihre Ländereien zurückzugeben. Ob die Deutschen je ein "historisches" Verhältnis zu ihrer Vergangenheit finden werden, ist heute - da mit wachsendem zeitlichem Abstand immer mehr die (oft abstrakte) Moral zum Maßstab wird - so ungewiß wie je. Vielleicht sollte man dennoch hoffen, daß die Deutschen sich selbst gegenüber wieder eine normale Gemeinschaft werden und das "Monster" dorthin verbannt wird, wo Monster hingehören. Das aber kann noch lange dauern.


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