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Preußische Allgemeine Zeitung / 06. März 2004
Sonntagswärme liegt auf dem Strand. Ich biege von der Promenade auf den Hof des Hotels, in dem wir uns verabredet haben, Janosch und ich. Die Terrasse ist schattig und still. Leises Palmenrauschen, schaukelndes Rot und nickendes Gelb der Hibiskusblüten, zirpende Vogelstimmen verwandeln den grellen Strandlärm nebenan in entferntes Geflüster. Da sitzt er ja auch schon, das muß er sein! Aus einem der Korbsessel erhebt sich ein beeindruckend großer Mann, um mir einen sympathischen, festen Händedruck zu geben. Gut sieht er aus in legerem Leinenjackett und Sommerhosen. Weder scheu noch schüchtern oder gar einzelgängerisch wirkt er: Janosch, der bekannte deutsche Kinder- und Jugendbuchautor und -illustrator, Künstler, Vater der Tigerente, aber auch Autor einiger Bücher für Erwachsene. Ohne Umwege kommen wir gleich zu einem großen Thema: dem Schreiben. Er erklärt mir mit strahlend blauen Augen, wie man schreibt: "Immer außen rum", er malt imaginäre Kreise auf das vor uns stehende Korbtischchen, "bis man das Thema eingekesselt" - der Zeigefinger bohrt resolut einen Punkt in die Luft - "und es damit auch schon beschrieben hat!" Ach ja, und ob ich denn wüßte, wie man richtige Kunst erkenne, zwinkert er mir zu. Gute Frage, denke ich, schließlich ist er ja doch der Künstler, und eigentlich sollte ich diese Frage stellen. Ich zucke mit den Schultern. "Es gäbe da eine einfache Methode", beginnt er. "Zum Beispiel einen Picasso-Strich und einen x-beliebigen unterm Mikroskop anschauen." In dem des Meisters sei alles wohlgeordnet, im anderen nur Chaos, unsortierte Pixel würden da herumschwirren, triumphiert er. Er selbst Künstler? Ich warte auf den Bogen zum eigenen Werk. "Na, das müssen schon andere feststellen, das kann man doch nicht selber!" gibt er zu bedenken. "Tiefstapler!" nenne ich ihn. "Besser Tief- als Hoch-!" schmunzelt er amüsiert. Ich bin beeindruckt von dem verschmitzten, vitalen Lächeln, welches wie ein "Trotzdem" seinem doch nicht leichten Lebensweg gegenübersteht. 1931 im oberschlesischen Zabrze, früher Hindenburg, geboren, wuchs Janosch, damals Horst Eckert genannt, unter sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Bis zur Flucht in den Westen bei Kriegsende lebte er vor allem mit dem Urgroßvater nahe der polnischen Grenze. Mit freundlichen, rührenden und oft genug sogar amüsanten Kommentaren, aber durchaus auch kritischen Bemerkungen läuft Janosch geschwind und leichtfüßig, schmunzelnd oder nachdenklich zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem hin und her, ob es um die Kindheit, verlorene Wurzeln oder zurückliegende Alkoholprobleme geht. Was bedeutet Ihnen der Begriff "Heimat"? Ist jene Welt von damals eine verlorene Heimat? Janosch: "Heimat ist für mich ein Zustand in der Seele, den ich nie verlor und den ich nie verließ. Ich wurde im letzten Haus vor der Grenze geboren, hinter dem Haus begann das ,Niemandsland', ein Geröllfeld mit Unkraut und Gestrüpp, etwa ein Kilometer vom Haus bis zum Grenzfluß Scharnafka. Betreten unter Androhung, von den Zöllnern erschossen zu werden, lebensgefährlich. Nur mein Urgroßvater Jakob Piecha ging hinein, man überließ mich ihm tagsüber, wenn alle arbeiten gingen, und er war für mich der Größte. Kühn wie der Teufel, aber lahm - er war Hufschmied gewesen, und ein Pferd hatte ihm gegen das Bein getreten. Die Urgroßeltern lebten in einem ungeheizten, feuchten Keller unter jeder Armutsgrenze, ohne jeden Besitz, nur was sie am Leib trugen. Das waren bei ihm alte, zertretene Soldatenstiefel, eine alte Militärhose. Er hatte im Niemandsland die Erde an einer Stelle umgegraben und dort Kraut gepflanzt. Wir saßen dann auf einer verfallenen Bank, er rauchte Machorka und drohte mit der Krücke zur Scharnafka: ,Wenn die Schweine uns erschießen, schlage ich sie tot.' Niemandsland war mein Traumland. Es gehörte uns, weil es niemandem gehörte. Und niemand konnte es uns nehmen und niemand konnte uns dort etwas tun. Er war der größte Anarchist der Welt, und diese Seelenstimmung gab er mir mit. Ich blieb dort mit ihm so, bis ich fünf Jahre alt war und wollte später dort hausen. Niemandsland ist meine Heimat an einem Fluß, der Scharnafka heißt. Oder meine Seelenheimat." Sind Sie später je an die Orte Ihrer Kindheit zurückgekehrt? Janosch: "Ja. Ich stand wie unter elektrischem Strom und mußte schnell wieder weg von da. Mein Niemandsland existierte nicht mehr, man hatte Bäume gepflanzt, die Grenze war nicht mehr zu sehen. Und das Heimweh war Starkstrom pur." Flucht und Vertreibung: Wie war das? Hat es Spuren in Ihnen hinterlassen? Janosch: "Ich empfand es nicht als Vertreibung, sondern als Flucht. Wir besaßen damals nichts und null, das Haus war abgebrannt, und wir hausten in verlassenen Wohnungen und Trümmern. Alles, was danach kam, konnte nur besser sein. Man flieht ja nur von irgendwo, um sich am neuen Ort zu verbessern. Spuren blieben nur insofern, daß ich während der Flucht Typhus bekam. Es gab keine Ärzte, keine Medikamente. Also behandelte mein Vater den Typhus nach Familientradition mit Schnaps. Dahinter steckte seine einfache Logik: wenn Medikamente mit Alkohol vermischt seien, dann müßte der Alkohol auch gesund sein. In meiner Verwandtschaft trug jeder männliche Mensch ab 50 immer eine kleine oder größere Flasche Fusel bei sich. Als Mittel vor allem gegen die Gemeinheit der Welt und gegen Schmerzen überhaupt. Auch ohne Schmerzen nahm man etwa jede Stunde mindestens einen Schluck, um innerliche Bazillen zu töten. Ich war 14 und gewöhnte mich daran, was zu einigen innerlichen Zerstörungen mancher Organe führte. Andere Spuren hinterließ die Flucht nicht. Ausgenommen ständiges Heimweh ins (seelische) Niemandsland, das bleibt wohl so bis zum Nirwana." Wie steht es heute mit Ihrer Identifikation mit dem Namen "Janosch"? Gibt es auch Leute, die noch "Horst Eckert" sagen? Janosch: "Der Name ,Janosch' stammt von meinem ersten Verleger Georg Lentz. Die Sekretärin meldete mich bei ihm: ,Da steht der Janosch vor der Tür.' Eine Verwechslung, sie hatten auf einen Janosch gewartet. Lentz hatte den Plan, aus mir eine Kunstfigur zu machen, einen ,Gegenautor', der Unfugbücher gegen Eltern und Unterdrückung der Kinder macht. Um ,die alten Kriti- kerweiber' zu verärgern. Als er meinen echten Namen hörte, sagte er: ,Scheißname. Du heißt jetzt Janosch und bist ein Pole, fertig.' Ab da arbeitete er an meiner Legende. Das war es dann. Der andere Name ist mir immer noch ein Blattschuß." Ich kann mir keinen Janosch, der nicht schreibt oder malt, vorstellen. Arbeiten Sie ständig oder mit kreativen Pausen? Janosch: "In der letzten Zeit arbeite ich selten. Ich habe keinen Platz mehr für neue Werke. Wenn ein Maler stirbt und nicht Picasso war, haben die Nachkommen eine Sau- arbeit, die Werke zu entsorgen. Manchmal überfällt mich ein Malwahnsinn, dann male ich ohne Pause. Vor drei Monaten malte ich fast 62 Bilder in drei Wochen ohne Pause, die jetzt mit dem Rücken zur Wand stehen." Natürlich haben Sie auch Kritiker auf den Plan gerufen. Hat man Ihnen die seinerzeit unterstellte "Weiberfeindlichkeit" womöglich mangels anderer Fehler angehängt? Janosch: "Nein, ich kann unendlich viele Fehler anbieten. In der Zeit als Alice Schwarzer zur Hexenjagd gegen Männer aufrief, kam ich durch Zufall in die Schußlinie, als eine Journalistin in einer Zeitung eine ganze Seite damit vollschrieb, daß in meinem Kasperbuch der Fischer Logemann den Kasper vor dem Ertrinken rettete. Thema: ,Hier wird der Mann Logemann als der Held dargestellt, warum nicht Frau Logemann? Der Autor traut der Frau also kein Heldentum zu.' Es gab einmal an einer Pädagogischen Hochschule eine Aufgabenstellung ,Herrn Janoschs Weiberfeindschaft in seinen Werken' nachzuweisen, eine Studentin verlangte von mir eine Erklärung zum Phänomen Logemann. Zu blödsinnig das alles, daß es sich nicht lohnt, sich zu wehren. Aber auch das habe ich überlebt." Er erzählt weiter. Vom Hängematte-Leben, vielen Lesen, "Tag und Nacht", immer wieder auch Werke des vor kurzem verstorbenen Freundes Heinz Piontek. Arbeiten, wenn was ansteht, selten "aus Leidenschaft zur Arbeit". All das kommentiert Janosch in der ihm eigenen Sprache, einer Mischung aus liebenswürdigem "gell", buntgemischten Kraft- ausdrücken und "Teufel-aber-auchs". In an Kleiner-Tiger-Kleiner-Bär anmutenden schlicht-kurzen Sätzen. Seine Bücher scheinen doch so eine ganze Menge Janosch zu enthalten. "Ja, alles, was man tut, ist autobiographisch. Und schreiben erst recht", antwortet er. Wer aber in der Figur des "glücklichen Maulwurfs" ganz besonders viel Janosch erkennt, wird nicht ganz unrecht haben. Ja, und die unvermeidliche Frage nach der Tigerente: Ist sie eher Randfigur oder eigentlicher Held? War das 1979 eine kalkulierte Zeugung oder eher Zufallsprodukt? Janosch: "Zufallsprodukt. Da war eine leere Stelle auf einem Bild. Dann brauchte die Holzente ein Muster, Streifen machten die wenigste Arbeit - ich habe nicht einmal gemerkt, daß ich sie malte." Da war Janosch 48 Jahre alt und mit einem Mal berühmt. Aber selbst Geld und finanzieller Erfolg halten eben keinen gesundheitlichen Zusammenbruch auf, der prompt im Jahr darauf folgte. In einem großen Feuer verbrannte er alles Hab und Gut. Am besten brannten die Anzüge und die Krawatten, Freudenfeuer! Er kichert. Und ging 1980 nach Teneriffa. Eigentlich zum Sterben. "Wenn sterben, dann ist es okay so. Und wenn nicht, ist es auch gut." Ein Motto, mit dem man hervorragend durchkommen würde, meint Janosch. Und sitzt heute - äußerst lebendig - vor mir. Der Kreis schließt sich, wir kommen zurück in den realen grünen Hotelgarten am Meer: "Also im Ganzen: ein Leben mit Goldrand. Ich habe ja alles überlebt!" schließt er unseren Ausflug in Vergangenes ab. Im Hier und Jetzt erklärt er mir gerade noch den Lotussitz, jahrelange Yogaerfahrungen, schlägt ein Bein übers andere. Zumindest den Lebenskünstler muß ich ihm einfach anhängen, ob er will oder nicht! Und das Leben mit Goldrand nehme ich mir als Lieblingszitat mit nach Hause. Gracias, Janosch! Janosch: Der Vater der Tigerente Foto: Lazar |