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13.03.04 / Alles muß sich ändern / Rentenmodelle der neuen EU-Mitgliedsländer

© Preußische Allgemeine Zeitung / 13. März 2004

Alles muß sich ändern
Rentenmodelle der neuen EU-Mitgliedsländer
von Dietmar Stutzer

Hinsichtlich der schleichenden Vergreisung seiner Völker ist Europa längst vereint. Schon zu jenen Zeiten, als sich Ostmitteleuropa noch fest im Griff Sowjetrußlands befand, hatte sich die Demographie der "sozialistischen Länder" - mit Ausnahme Polens sowie der Tschechoslowakei - der des westlichen Europas und vor allem der bundesdeutschen Entwicklung angenähert. Bereits in den 70er Jahren war dies erkennbar, deutlicher dann in den 80ern.

Der stete Rückgang der Geburtenhäufigkeit, die höhere Lebenserwartung und das Älterwerden der geburtenstarken Jahrgänge führen in der Europäischen Union zu einer existenzgefährdenden Überalterung. Diese Tendenz wird mit der Osterweiterung nochmals verstärkt.

Die Gesamtfruchtbarkeitsziffer stieg EU-weit für das Jahr 2000 von zuvor 1,45 Kindern je Frau auf 1,53, was verglichen mit dem Durchschnittswert von 2,59 im Jahr 1960 immer noch sehr niedrig ist. Jedenfalls liegt der heutige statistische Wert unter der "Reproduktionsziffer", also dem Schnitt, bei dem eine Bevölkerung nicht mehr abnimmt, sondern sich gerade noch selbst erhält.

Am deutlichsten ging die Geburtenhäufigkeit in den Ländern zurück, die zu Beginn der 80er Jahre die höchste Fruchtbarkeit aufwiesen, also Griechenland, Spanien, Irland und Portugal - und zwar um Prozentsätze zwischen 32 und 46. Die niedrigste Gesamtfruchtbarkeit im Rahmen der EU ist heute in Spanien (1,22) und Italien (1,25) festzustellen sowie demnächst in der Tschechischen Republik, die einen einzigartigen demographischen Absturz erlebt.

Irland verzeichnet mit 1,89 Kindern pro Frau weiterhin die größte Geburtenhäufigkeit, gleichauf mit Frankreich, wo im vergangenen Jahr - nicht zuletzt dank einer gezielten Bevölkerungspolitik - derselbe Durchschnitt erreicht werden konnte. Auch in den anderen Teilen des Kontinents gibt es leichte Steigerungen, nur in Großbritannien (1,64), der Bundesrepublik Deutschland (1,34) und in der Tschechischen Republik (1,29) ist die Reproduktionsziffer nach wie vor rückläufig.

Während die Geburten abnehmen, war im zurückliegenden halben Jahrhundert ein Anstieg der Lebenserwartung um etwa zehn Jahre zu verzeichnen. Bis 1989 galt das auch für den sogenannten Ostblock, dann kam es dort im Zuge der gewaltigen Transformationskrise zu einem Rückgang speziell bei Männern um etwa 2,1 Jahre (mittlerweile gleicht sich Ostmitteleuropa wieder den westlichen Nachbarn an).

Diese Tatsachen machen das Thema Rentenreform zu einem der dringlichsten Punkte auch auf der politischen Tagesordnung der ostmitteleuropäischen Staaten. Obendrein sind die dortigen Rentensysteme bislang auf einige einschneidende sozioökonomische Veränderungen unserer Zeit, etwa die stärkere Eingliederung der Frauen in den Erwerbsprozeß, hohe Scheidungsraten und den Anstieg "atypischer Beschäftigungsverhältnisse" (Teilzeitarbeit), nicht eingestellt. Auf dem Weg zu einem dauerhaften Mehrsäulensystem für die Altersversorgung sind einige der neuen EU-Länder - insbesondere Polen, Ungarn, Lettland und Estland - dennoch sehr viel weiter vorangekommen als die großen alten Mitgliedstaaten. Bei ihnen gilt, ausgerichtet am deutschen Vorbild, der Grundsatz: Es muß sich alles ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist!

Die vier genannten Staaten sind dabei, ihre umlagefinanzierten gesetzlichen Rentensysteme in kapitalgedeckte zu verwandeln. Daneben soll Raum bleiben für die freiwillige private Zusatzvorsorge. Manche Staaten bieten einen der Sozialhilfe vergleichbaren Mindestschutz über eine steuerfinanzierte Sozialrente an - ein Modell, auf das man vor allem in Tschechien schwört.

Ohne Scheu vor politischen Risiken haben die Regierungen der Reformländer ihre nicht mehr finanzierbaren Alterssicherungssysteme energisch umgekrempelt und die umlagefinanzierten staatlichen Renten um eine kapitalgedeckte Pflichtrente ergänzt. Beachtung verdienen außerdem staatliche Anreize, die den Verbleib im Arbeitsprozeß und nicht die frühzeitige Pensionierung belohnen.

In Estland haben Pensionäre, die weiterhin einer Tätigkeit nachgehen, keine Minderung ihrer Renten zu erwarten. Die Pioniere der Pensionsreform in Ostmitteleuropa waren Ungarn und Polen. Wegen drohender Unfinanzierbarkeit baute Ungarn bereits 1998 eine kapitalgedeckte Altersversorgung neben dem alten Umlagesystem auf.

In Polen sind seit 1999 alle Arbeitnehmer verpflichtet, die gesetzlichen Sozialbeiträge teils für die umlagefinanzierte erste, teils für die kapitalgedeckte zweite Säule des Systems einzuzahlen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß sich das alte sozialistische Polen einen Rentenluxus erlaubt hatte, der zu einem anderthalb Jahrzehnte währenden Niedergang der Nationalwährung führte und nicht unwesentlich zur Aushöhlung der kommunistischen Herrschaft beitrug.

Gegenwärtig ist die Slowakei dabei, die gesetzlichen Grundlagen für eine kapitalgedeckte Rente beginnend ab dem Jahr 2005 zu schaffen. Vom nächsten Jahr an müssen alle, die erstmalig eine Arbeit aufnehmen, die Hälfte der bisherigen Pflichtbeiträge auf persönliche Konten bei privaten Pensionsgesellschaften einzahlen. Ergänzend soll eine steuerfinanzierte Sozialrente, gleichsam als Mindestrente für alle, hinzukommen.

Im Hintergrund so mancher neuer Rentenmodelle im ostmitteleuropäischen Raum mag ein kapitalwirtschaftliches Ziel stehen: In sämtlichen Beitrittsländern ist der Nachholbedarf an Investitionen derart groß, daß die inländische Ersparnisbildung noch längst nicht zur Deckung des Kapitalbedarfes ausreicht und Finanzimporte unverzichtbar sind. Der Zwang zur Bildung kapitalgedeckter Renten kann hier als Möglichkeit erscheinen, zu einer schnelleren Erhöhung der Sparquote beizutragen.

Gesetzliche Grundlagen für überzeugende kombinierte Rentenmodelle sind inzwischen auch in Bulgarien, Kroatien und Rumänien geschaffen worden. Selbst in Tschechien, das Sozialreformen stets gescheut hat, beginnt die Debatte um grundlegende Umgestaltungen der sozialen Sicherungssysteme. Denn jeder Monat, der ins Land geht, läßt schmerzlicher erkennen, daß es so nicht weitergehen kann, zumal die Beitragssätze immer mehr aus dem Ruder laufen.

Einige der genannten Ansätze zeigen, daß die Gefahr im Prinzip erkannt ist, dennoch sei vor übereiltem Optimismus gewarnt: Da der demographische Niedergang weitergeht, sind die gesetzlich angestrebten Rentenhöhen immer noch zu hoch bzw. das Renteneintrittsalter zu niedrig.

Nicht nur deutsche Spitzenpolitiker scheuen sich offenbar, ihrem Wahlvolk die ganze Wahrheit aufzutischen. Polen gibt schon heute 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Altersversorgung aus; in Mitteleuropa leistet sich nur Österreich mit 28,5 Prozent eine noch höhere Rate. Der EU-Durchschnitt, den in etwa auch die meisten ostmitteleuropäischen Staaten aufweisen, liegt bei 10,4 Prozent.

Irland als das Land mit den günstigsten demographischen Verhältnissen, kommt mit nur 5,3 Prozent der Wirtschaftsleistung für sein Pensionssystem aus, ohne daß dieses schlechter ist als anderswo.

Ohne Kinder keine Zukunft: Demographische Katastrophe macht gewohnte soziale Standards unbezahlbar Foto: Martin Schmidt


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