28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.03.04 / Polemik gegen Deutsche / Volksabstimmung soll Stettiner Bürgermeister entmachten

© Preußische Allgemeine Zeitung / 20. März 2004

Polemik gegen Deutsche
Volksabstimmung soll Stettiner Bürgermeister entmachten
von Friedrich Nolopp

Ein parteiübergreifendes Bündnis will in Stettin eine Volksabstimmung über die Abwahl von Oberbürgermeister Marian Jurczyk erreichen. Seit Mitte Februar werden Unterschriften gegen den einstigen "Solidarnosc"-Gewerkschafter gesammelt. Liberale, Konservative und Sozialdemokraten werfen dem parteilosen Jur-czyk vor, durch Vetternwirtschaft Korruption zu begünstigen, Investoren abzuschrecken und für die Stadt schädliche Entscheidungen getroffen zu haben.

Stettin ist eine kraftvolle Wirtschaftsinsel innerhalb der ansonsten eher ärmlichen pommerschen Landschaft. Gewaltige Hotelanlagen, große Einkaufszentren und Bürokomplexe künden vom neuen Wohlstand. Die Firmenschilder von Rossmann und Adler-Mode-Markt signalisieren, daß sich auch deutsche Handelsketten ihren Kundenanteil sichern wollen. Mit der EU-Osterweiterung verbindet man in Stettin die Hoffnung, erneut der Vorhafen von Berlin und der mitteldeutschen Industrieregion zu werden. Bislang gehen aber nur sechs Prozent des gesamten Stettiner Hafenumschlags nach Berlin.

Gerade mal 130 Kilometer holprige Autobahn trennen die pommersche Hauptstadt von der Spreemetropole. Damit liegt die 420 000-Einwohner-Stadt näher an Berlin als Leipzig oder Rostock. Trotzdem wird der Großteil der für Berlin bestimmten Warensendungen in Rostock oder in Hamburg umgeschlagen.

Stettin ist so nah und doch für die Spediteure so fern. Das liegt zum einem an der noch vorhandenen EU-Außengrenze, und es liegt sicherlich auch an der fehlenden Infrastruktur. Oder anders ausgedrückt: Derzeit können die Container über Hamburg, Lübeck, Rostock und Stralsund besser, schneller und sicherer die mitteldeutschen Industrieregionen erreichen.

Piotr Twardochleb vom Stettiner Hafenentwicklungsbüro weist auf ein zentrales Problem hin: Kein Spediteur könne das Risiko kalkulieren, daß seine Ware mal eine, mitunter aber auch 20 Stunden an der Grenze festhängt.

Schiffe fahren von Berlin aus in knapp zwei Tagen an die Ostsee. Die Bahnlinie nach Stettin besteht bereits 160 Jahre. Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf, der kürzlich in Begleitung einer vielköpfigen Wirtschaftsdelegation in Stettin mit den dortigen Behörden verhandelte, sicherte den Gastgebern sein Interesse an einer Belebung der alten Verbindung zu.

O-Ton Wolf: "Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Berlin und Stettin haben eine lange Tradition. Ich will auch betonen, daß spätestens im kommenden Jahr die Kontakte zwischen Berlin und Stettin Alltag werden müssen, wenn wir gemeinsam die Chancen der EU-Osterweiterung ergreifen wollen. Ich bin davon überzeugt, daß auf beiden Seiten der Oder in den kommenden Jahren eine ähnliche Kooperation entstehen wird, wie sie in früheren Jahrzehnten entlang des Rheins über politische Grenzen hinweg gewachsen ist."

Zahlreiche Einwohner des heutigen Stettins sehnen den Fall der EU-Grenze herbei, um ihr Hinterland wieder erschließen zu können. Für die Polen liegt Berlin ohnehin nahe. Zum Einkaufen fahren viele über die Grenze, und Lokalzeitungen drucken regelmäßig das Berliner Kulturprogramm ab.

Wenn Polen ab Mai Mitglied der EU ist, wollen die beiden Städte am Grenzregionenprogramm der Staatengemeinschaft teilnehmen. Die Verwaltungen sollen 40 deutsch-polnische Tandems bilden und zusammenarbeiten. In Stettin ist u. a. ein neues Containerterminal geplant, und man möchte mit der Berliner Hafengesellschaft Behala enger kooperieren.

Bisher verschifft die Behala vor allem leere Container nach Stettin, für die es wegen der Berliner Exportschwäche keine Ladung gibt. Anstatt sie per Lkw nach Hamburg zu bringen, schippern die Kisten der Odermündung entgegen. Die Polen haben Exportüberschuß, außerdem ist die Wartung der Container dort billiger.

Hier klappt die Zusammenarbeit schon jetzt, was allerdings nicht alle freut. Einer, der solche Nachrichten höchst ungern hört, ist eben jener umstrittene Oberbürgermeister Jurczyk. Zu Hause in seiner geschäftigen Hafenstadt stört er seit einiger Zeit die Kreise der Unternehmer. Der 68jährige ist das, was man bestenfalls einen Populisten nennt, um nicht Begriffe wie Schreihals oder Aufwiegler zu verwenden. Politisch aufgewachsen in der Gewerkschaft "Solidarnosc" (Solidarität) wetterte er einst gegen die kommunistischen Machthaber und kämpfte für Arbeiterrechte.

Heute schimpft er über Investoren im allgemeinen und die Deutschen im besonderen und kämpft weiterhin für nationale Einheit und soziale Arbeiterfürsorge. Marian Jurczyk ist schon mehrfach mit deutschfeindlichen Sprüchen aufgefallen. So erklärte er während seiner ersten Amtsperiode als Stadtpräsident, daß ihm schwedische oder dänische Investoren lieber seien als deutsche.

Auch jetzt zieht er wieder pauschal gegen die Deutschen zu Felde. Auf sein Drängen faßte das Kommunalparlament einen Beschluß zur "Wahrung der Eigentumsansprüche der Polen". Jene Polen, die bisher nur über Pachtverträge für ihre Wohngrundstücke in der pommerschen Landeshauptstadt verfügen, sollen die Immobilien noch vor dem EU-Beitritt kaufen können.

Dieser in der ersten Dezemberwoche gefaßte Beschluß sieht obendrein umfangreiche Finanzhilfen seitens der Kommune vor. Damit sich möglichst viele Polen den Kauf leisten können, sollen sie für die Grundstücke nur zehn Prozent des eigentlichen Verkehrswertes bezahlen müssen. Wer in der Lage ist, das Geld sofort und nicht in Raten aufzubringen, hat sogar nur fünf Prozent zu entrichten.

Marian Jurczyk erklärte zur Begründung: "Es genügt nicht, daß die weiß-rote Fahne über dem Rathaus weht. Unsere Souveränität hängt davon ab, wieviel Eigentum wir besitzen." Erwartungsgemäß wurde er auch deutlicher, gegen wen sich der merkwürdige Beschluß richtet. Tausende Deutsche hätten bereits erklärt, daß sie nach dem polnischen EU-Beitritt ihre Besitzansprüche auf früheres Privateigentum geltend machen wollten. Und, so Jurczyk, "wir wissen nicht, wie sich die Europäische Union dazu verhalten wird".

Obwohl die unterschiedlichen Parteien und Gruppierungen in Stettin diesen (einstimmigen) Beschluß aus Überzeugung mittragen, sind sie der sonstigen Allüren des Oberbürgermeisters überdrüssig geworden. Insbesondere dessen rhetorischer Dauerfeldzug gegen deutsche und andere ausländische Investoren erscheint ihnen als unverantwortliche Gefährdung der wirtschaftlichen Zukunft der gesamten Region.

Stettins neuer Wohlstand: Renovierte Häuser in der Innenstadt Foto: Nolopp


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren