Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
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Preußische Allgemeine Zeitung / 20. März 2004
Tanz der Kraniche Immer hatte er gehofft, daß sie ihm die Fragen stellen würden. Daß seine
Frau oder die Kinder Interesse zeigten für das Land, dem er entstammte und an
dem er in unverbrüchlicher Treue hing. Wären diese Fragen gekommen - aus
ehrlichen, wißbegierigen Herzen -, so hätte er angefangen zu erzählen. Von
einer entbehrungsreichen und doch mit tausend Freuden gespickten Kindheit, vom
Zug der Wildgänse und vom faszinierenden Tanz der Kraniche, wenn diese im
Frühling mit lautem Flügelschlagen in die Luft sprangen und so das Fest der
wiedererweckten Natur feierten. Doch was er zu erzählen wußte, blieb ungesagt. Niemand fragte ihn, und von
sich aus hätte er, der Schweigsame, Verschlossene, nie von Dingen gesprochen,
die die anderen vielleicht nur gelangweilt hätten. Lediglich in stillen,
einsamen Momenten wanderten die Gedanken heimwärts, erwachte ein alter Traum zu
neuem Leben. Irgendwann gab es dann auch für ihn immer weniger zu tun. Nicht mehr
tatkräftiges Handeln bestimmte seinen Tagesrhythmus, sondern Passivität und
bloßes Zusehen. Nach dem Tod seiner Frau wurde es noch stiller um ihn her. Wohl
sahen die Kinder bei ihm regelmäßig nach dem Rechten, aber wenn sie dann fort
waren, wußte er, daß es schwerlich noch zu einem echten Gedankenaustausch mit
ihnen kommen würde. Etwas war ihm jedoch geblieben: der Reichtum an
Erinnerungen. Und so wärmte er sich an den Bildern seiner Kindheit, dankbar,
daß sie seinem Gedächtnis nicht entglitten waren. Doch es gab auch Stunden, da es ihn schmerzlich danach verlangte, sich
mitzuteilen. In solch einer Situation hatte er eines Abends, eher zögerlich und
ohne jedes Konzept, zu schreiben begonnen. Schon nach den ersten Zeilen
verspürte er Erleichterung. Glücklich, eine Ausdrucksmöglichkeit gefunden zu
haben, saß er nun allabendlich am Küchentisch, um eine längst versunkene Welt
wieder auferstehen zu lassen. Um die Sache noch anschaulicher zu machen, fügte
er seinen Aufzeichnungen kleine Skizzen bei. Was immer es auch war - die Ansicht
seines Heimatdorfes vom See-ufer aus, der Grundriß des Elternhauses oder
Besonderheiten von Flora und Fauna -, mühelos und mit beträchtlichem
zeichnerischen Talent hielt er alles fest, was sich seinem Gedächtnis für
immer eingeprägt hatte. Als das Heft voll war, kaufte er ein neues. Das
Schreiben wurde ihm mehr und mehr zum Lebensinhalt. Schon morgens beim
Wachwerden freute er sich auf den Abend, auf jene Stunde, da alle häuslichen
Verrichtungen erledigt waren und er sich mit einer Tasse Tee und ein paar Keksen
auf die Eck-bank setzte, um da fortzufahren, wo er tags zuvor aufgehört hatte. Eines Abends, als er mit heißen Wangen über seinen Aufzeichnungen saß,
läutete es an der Tür. Irritiert legte er den Stift aus der Hand, um
nachzusehen, wer da so spät noch etwas von ihm wollte. Erst beim Blick durch
den Türspion fiel ihm ein, daß sein jüngster Sohn ja versprochen hatte,
vorbeizukommen, um den tropfenden Wasserhahn zu reparieren. "Grüß dich, Papa!" Mit langen Schritten marschierte Horst in die Küche
voraus. Vielleicht war es ein Reflex, vielleicht auch Furcht, sein Sohn könnte
sich lustig machen über das, was ihm selbst doch wichtig und kostbar war -
jedenfalls versuchte er hastig, das aufgeschlagene Heft in der Schublade
verschwinden zu lassen. Aber Horst war schneller. Gleich beim Betreten der Küche fiel sein Blick auf
das Schulheft. "Sag bloß, du führst ein Haushaltsbuch!?" schmunzelte er
und blätterte in den Seiten. Minuten verstrichen. "Das ist eine sehr schöne Zeichnung. Ich wußte gar
nicht, daß du so gut malen kannst." Horst schaute ihn an, so wie man einen
Fremden ansieht: "Was sind das für Vögel? Reiher?" "Kraniche", erwiderte der alte Mann und schämte sich, daß seine Stimme
rauh und brüchig klang. "Jedes Jahr im Frühling tanzten sie auf unseren
Wiesen." "Warum hast du uns nie davon erzählt?" - Ihr habt ja nie gefragt,
drängte es ihn zu sagen. Doch dann lächelte er nur: "Ich hatte wohl Angst,
es könnte euch nicht interessieren." Horst warf ihm einen langen Blick zu. Und dann geschah etwas, das den alten
Mann eigentlich hätte ungeduldig machen müssen, ihn statt dessen aber mit
stiller Freude erfüllte. Denn während der Wasserhahn unverdrossen vor sich hin
tropfte, gab sein Sohn sich einer längst versunkenen Welt hin ...
Alte Hügel Hinter den ersten Hügeln - vertraut - kommt Fremde entgegen. Mich erwartet niemand. Ich störe vielleicht. Und Worte weithin unverständlich. Ja, wenn ich ein Fremder wäre. Was also will ich? Die Leute dort sind freundlich gewesen. Sie haben mich gastlich aufgenommen. Kluge unter meinen Leuten sagen: Heimattümler. Sie alle sind weitgereist. Der Vorsicht halber ein Hinweis: Ich stehe in Arbeit; nicht vorbestraft; gehe demnächst in Rente, auskömmlich. Ich wüßte nicht zu klagen: Mich ziehen nur immer mal wieder die alten Hügel.
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