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03.04.04 / Berlins zerkratztes Gesicht / Randale in Bus und Bahn: Die Hauptstadt verwahrlost zusehends

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. April 2004


Berlins zerkratztes Gesicht
Randale in Bus und Bahn: Die Hauptstadt verwahrlost zusehends
von Thorsten Hinz

Vor einigen Jahren fragte der Tagesspiegel - eine der drei großen Lokalzeitungen der Hauptstadt - in einem Leitartikel: "Lieben die Berliner ihre Stadt eigentlich noch?" Auslöser dieser bohrenden Frage waren die zunehmenden Schmierereien an Häuserwänden und in Verkehrsmitteln.

Die Berliner Verkehrsbetriebe haben seitdem reagiert. Um potentiellen Tätern die Lust an den "Graffiti" zu nehmen, wurden die Sitze in U-und S-Bahnen mit abenteuerlich gemusterten Bezügen versehen, die zwar einen Anschlag auf die Geschmacksnerven der Fahrgäste darstellen, es den Farb-Sprühern aber erschweren, erkennbare Zeichen auf den Polstern zu hinterlassen.

Der Erfolg der Aktion blieb indes mäßig, denn die schrillen Muster haben nur dazu geführt, daß der Zerstörungswahn sich neue Betätigungsfelder suchte. Schnell wurde es Mode, die Fensterscheiben, die aus gehärtetem Glas bestehen, mit speziellen Schneidewerkzeugen zu zerkratzen. Manchmal werden sie auch eingeschlagen oder eingetreten, nicht zu reden von zertrümmerten Lampen, aufgeschlitzten Sitzen und aus der Halterung gerissenen Feuerlöschern.

In Zahlen: Die Berliner S-Bahn mußte im vergangenen Jahr trotz der Vorbeugungsmaßnahmen 145.000 Farbschmierereien beseitigen, 18.000 Sitze auswechseln und 2.325 beschädigte Fenster reparieren. Der Gesamtschaden, den die U-, S- und Regionalbahnen zu verzeichnen hatten, betrug zehn Millionen Euro. Zum Vergleich: In Hamburg und München reichen zur Schadensbeseitigung rund zwei Millionen Euro aus. 131 Graffitischmierer und andere Sachbeschädiger nahmen die Sicherheitskräfte fest.

Am zentral gelegenen Bahnhof Potsdamer Platz stellte die städtische S-Bahn-Gesellschaft jetzt zwei völlig demolierte Waggons zur Besichtigung aus. Besonders Schulklassen sollten die Folgen der Zerstörungen vor Augen geführt werden. Tatsächlich zeigten sich die Schüler beeindruckt, doch ob ein neues Verhalten daraus folgt, das ist eine offene Frage.

Die Ursachen der Zerstörungswut sind bisher nicht ganz geklärt. Immerhin gibt es Anhaltspunkte. So nimmt die Randale in der unterrichtsfreien Zeit und an den Wochenenden auffällig zu, die festgestellten Täter sind in aller Regel zwischen 15 und 25 Jahre alt, im Ostteil werden mehr Schäden angerichtet als im Westteil. Offensichtlich gelingt die Vermittlung von sozialen Normen, Werten wie Gemeinsinn und Verantwortungsgefühl an die Schüler immer weniger. Doch ist deren Vermittlung politisch überhaupt gewollt?

Die Grünen haben auf Bundesebene bisher alle Versuche, gesetzliche Regelungen zur Verfolgung von Graffitischmierereien einzuführen, erfolgreich abgeblockt. Der frühere Berliner Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) versuchte sich noch vor wenigen Jahren im antiautoritären Jargon und schwadronierte etwas von "Kunst" und von Jugendlichen, die sich "ausprobieren" wollten. Nur langsam dringt die alte Wahrheit wieder durch, daß Jugendliche natürlich die Grenzen austesten und überschreiten wollen - wozu aber auch gehört, daß sie sie auch aufgezeigt bekommen. Wenn alles erlaubt ist, wird auch alles sinnlos, sogar die Rebellion, und es bleibt nur noch die nächste Übersteigerung, bis die Stufe der Selbstzerstörung erreicht ist. Thomas Krüger ficht das nicht an, er hat es inzwischen zum Chef der Bundeszentrale für Politische Bildung gebracht!

Andere Stimmen wehren ab, man dürfe den Dreck nicht so verkrampft ("typisch deutsch") sehen, er sei der "Ausdruck urbanen Lebens". In anderen internationalen Metropolen, die noch urbaner sind als Berlin, hat sich längst ein entgegengesetzter Trend durchgesetzt. Ausgerechnet jenes Berliner Laissez-faire, das sich "urban" dünkt, wirkt hier plötzlich beklemmend provinziell.

Zu den Reparaturkosten, die vom Steuerzahler getragen werden müssen, kommt der immaterielle Schaden, nämlich die Aversion und der Ekel des Fahrgastes. Die allgegenwärtigen Spuren von Zerstörung und Verhunzung machen den öffentlichen Raum unwirtlich, viele Bürger resignieren und werden gegenüber den allgemeinen Angelegenheiten ihrer Stadt, ihres Landes zynisch.

An diesem Punkt wird eine Gesellschaftskritik nachvollziehbar, die in der äußeren Verwahrlosung Berlins die Folge einer inneren Verwahrlosung in der Hauptstadt erkennt. Das hieße: Die jugendlichen Randalierer vollziehen im kleinen nur nach, was die verfilzte, von Korruptionsaffären und Skandalen geschüttelte politische Elite ihrer Heimatstadt in den vergangenen Jahren im großen Stil angetan hat. Ein vernichtendes Zeugnis für die Politik.

Keine Achtung vor fremdem Eigentum: Berlin ist nicht nur die politische Hauptstadt, sondern auch die der rücksichtslosesten Randalierer. Foto: Trojanowski


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