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03.04.04 / Leipziger Lektionen / Ausstellung über Deutsche, Tschechen und Slowaken 

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. April 2004


Leipziger Lektionen
Ausstellung über Deutsche, Tschechen und Slowaken 
von Ekkehard Schultz

In wenigen Wochen treten die Tschechische Republik und die Slowakei der Europäischen Union bei. Passend zu diesem Anlaß wird seit 18. März im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die Ausstellung "Nähe und Ferne - Deutsche, Tschechen und Slowaken" gezeigt.

Bei der Schau der Stiftung des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland stehen wieder einmal die Verbindungen der drei Völker in den letzten 75 Jahren im Mittelpunkt. Infolge dieser Schwerpunktsetzung erscheinen Tschechen und Slowaken weitgehend als eine Einheit, die sie gerade hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Deutschen keineswegs sind.

"Nähe und Ferne" soll nach dem Willen der Organisatoren nicht allein den Anspruch erfüllen, einen historischen Überblick zu bieten. Hauptziel ist es, im unmittelbaren Vorfeld der EU-Osterweiterung dazu beizutragen, Denkschablonen und Vorurteile zu hinterfragen.

Besonders deutlich wird das pädagogische Bestreben zu Beginn der Ausstellung, wenn die Besucher mit Hilfe von Schubladen Facetten der gegenseitigen Wahrnehmung vorgeführt bekommen. Im Zuge des anschließenden Rundganges sollen die Ursachen für diese Fremdbilder verständlich gemacht werden.

In einer derartigen Schau ist es unerläßlich, die Darstellung des reichhaltigen Stoffes auf bestimmte Bereiche zu akzentuieren. Dies gelingt dort am besten, wo die Zeit zwischen den 1950er und 1990er Jahren berührt wird, weniger dagegen für die Periode zwischen 1918 und den Vertreibungsereignissen am Ende des Zweiten Weltkrieges.

So wird schon im ersten Satz der Eingangstafel behauptet: "1918 entsteht die Tschechoslowakische Republik, in der Tschechen, Deutsche und Slowaken leben." Es fehlt der Hinweis, daß der junge Nachfolgestaat der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gleichfalls eine beträchtliche ungarische Minderheit sowie Ruthenen und Polen vereinigte.

Mindestens ebenso irritierend wirkt die Fortsetzung, derzufolge "die meisten Deutschen in Böhmen und Mähren" die Tschechoslowakei nicht "anerkennen" wollten, zumal der Besucher an dieser Stelle keinerlei Informationen über die Vorgeschichte der Staatsgründung erhält. Auf diese Weise wird das Vorurteil von den Sudetendeutschen als "Unruhestiftern" bestätigt, die mit fragwürdigen Forderungen die Demokratie leichtfertig aufs Spiel gesetzt hätten.

Diese einseitige Darstellung kann auch nicht dadurch wettgemacht werden, daß im Begleitband die Beleuchtung der geschichtlichen Zusammenhänge weitaus treffender ausfällt.

Besonders ergänzungsbedürftig ist in der Ausstellung der Umgang mit Zahlenmaterial. Zu den Vergeltungsaktionen von SS und SD nach der Ermordung von Reichsprotektor und Sicherheitschef Heydrich in Lidice und Lezaky werden zum Beispiel ebenso Zahlen angeführt wie zu den Opfern der Niederschlagung des "Prager Frühlings" durch Truppen des Warschauer Paktes.

Zur Vertreibung der Deutschen und anderer Minderheiten nach 1945 finden sich dagegen keine Angaben.

Vielleicht wollten die Macher unbedingt jedwede "Aufrechnung" verhindern. Wenigstens einige Zahlen zur Vertreibung der Sudetendeutschen wären aber nötig gewesen, um die Größenordnung jenes Vorgangs zu verdeutlichen, der im heutigen Tschechien noch immer verharmlosend als "Abschub" bezeichnet wird.

Die Darstellung der letzten Jahrzehnte wirft ein bemerkenswertes Schlaglicht auf den Charakter der heutigen politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik. Denn hier zeigen sich am deutlichsten die nach wie vor stark auseinandergehenden Prioritäten.

Während bei deutschen Politikern die Aufarbeitung von Schuldkomplexen angesichts tatsächlicher und vermeintlicher historischer Belastungen die Haltung gegenüber dem Nachbarn bestimmt, richten sich tschechische Politiker in erster Linie nach den wirtschaftlichen Interessen ihres Landes.

Ob auf dieser Grundlage langfristig ein gleichberechtigter Dialog entstehen kann, ist mehr als fraglich.

Bezeichnerweise gelingt es im Katalog dem jungen tschechischen Historiker und Slawisten Tomas Kafka am überzeugendsten, eine echte gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken zu entwerfen, weil er - anders als manche seiner deutschen Fachkollegen und viele hiesige Meinungsmacher - die geschichtlichen Tatsachen nicht ausblendet. Kafka verweist darauf, daß die mehr als tausendjährige Entwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen in Böhmen und Mähren keinesfalls derart harmonisch verlief, wie sie heute von historisch wenig gebildeten Zeitgenossen gern dargestellt wird.

Allzu oft herrschen Wunschbilder vor, wie sie nicht nur den (Un-) "Geist" der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1997 prägten, sondern beispielsweise auch die bisherige Arbeit der in Dresden ansässigen Stiftung Brücke/Most und deren Wanderausstellung "Kde domov muj... - Wo ist meine Heimat..." kennzeichneten (s. hierzu OB 34/2001).

In Wahrheit wurden die Beziehungen Deutschlands und Böhmens von zahlreichen Auseinandersetzungen geprägt, die sich aus unterschiedlichen religiösen, wirtschaftlichen und politischen Interessen ergaben.

Erst im Verlauf dieses "Wettbewerbs", der in den Zeiten seiner größten Brutalisierung die bekannten, von beiden Seiten verschuldeten Untaten nach sich zog, oft allerdings einen konstruktiven Charakter hatte, konnte sich die immer wieder zitierte "deutsch-tschechisch-jüdische Symbiose" herausbilden.

Man kann nur wünschen, daß diese Einsichten des jungen tschechischen Wissenschaftlers im Sinne einer langfristigen Verbesserung der Beziehungen der drei in der Leipziger Ausstellung unter die Lupe genommenen mitteleuropäischen Völker - insbesondere der Deutschen und Tschechen - weithin Gehör finden.

Nicht die krampfhafte Vermeidung aller Mißtöne und jeder Kritik kann das Ziel sein, sondern statt dessen die Entwicklung eines offenen und angemessenen Umgangs mit Konflikten.

"Nähe und Ferne - Deutsche, Tschechen und Slowaken", 18.3.-10.10. 2004, Zeitgeschichtliches Forum Leipzig (Grimmaische Straße 6, 04109 Leipzig), Di.-Fr. 9.00-18.00 Uhr, Sa. und So. 10.00-18.00 Uhr, Eintritt frei; der reich bebilderte Begleitband zur Ausstellung hat 176 Seiten und kostet 19,90 Euro

Konflikte bleiben: Tschechisch-deutsche Grenze in Sachsen Foto: Schmidt


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