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03.04.04 / Der Tanz der sieben Schleier / Esther Knorr-Anders besuchte ein Bauchtanz-Studio und entdeckte vollendete Ästhetik und Lebensfreude

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. April 2004


Der Tanz der sieben Schleier
Esther Knorr-Anders besuchte ein Bauchtanz-Studio und entdeckte vollendete Ästhetik und Lebensfreude

Um den Preis eines Männerhauptes tanzte Salome den Tanz aller Tänze und soll sich dabei von sieben Schleiern befreit haben. Sieben, wohlgemerkt! Wer jemals versucht hat, auch nur einen einzigen Schleier "in schwingender Bewegung über dem Kopf schweben zu lassen", weiß, daß dieses Vorhaben mit Tücken gespickt ist. Die halbrund oder lang geschnittenen Gebilde entwickeln

Eigendynamik. Flattert das Ding endlich sekundenlang über dem Haar, senkt es sich ziemlich plötzlich über die Augen und Nase. Man sieht nichts mehr, stockfinster ist es. Auch die schlangenhaft erhobenen Arme, der Hüft- und Bauchschwung fallen dem Dunkel zum Opfer. Diese Erfahrung machen alle Elevinnen in Bauchtanzstudios, die in Europa seit den 80er Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen; auch Deutschland wurde vom Bauchmuskelbeben heimgesucht. 20 Jahre zuvor hatte der Tanz als "Belly dance" in Amerika für Ekstase gesorgt. "Mach deinen Mann zum Sultan", lautete das Schlagwort amerikanischer Frauen, die in stiller Abendstunde den Gatten in Pluderhosen und Pailletten-BH umtänzelten. In nicht wenigen Fällen soll der entnervte Gatte Fluchtwege ersonnen haben.

Wie kam der Tanz nach Amerika und Europa? Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten orientalische Kaufleute anläßlich der ersten Weltausstellungen mit ihren Waren auch Bauchtänzerinnen einem verdutzten Publikum zur Schau gestellt. In einer Sonderausgabe von The Illustrated American las man 1893 in Chicago, dieser Tanz sei "schockierend unmoralisch, unromantisch und vulgär". Das tat dem Triumph der syrischen Tänzerin Fahreda Mahzar alias "Little Egypt" keinen Abbruch. Eine ihrer unzähligen Nachahmerinnen, Mary Garden, überraschte die Chicagoer 1910 in einer Theaterrevue mit einer Version des Sieben-Schleier-Tanzes, die vom Polizeichef höchstpersönlich verboten wurde. Er verglich Marys Darbietung mit einer "Katze", die sich in einem Haufen Katzenminze wälzt, und bekundete so seine Kenntnis von der Wirkung besagter Minze: ein Aphrodisiakum. Ursprünglich war der Tanz, mit und ohne Schleierschwenkerei, ein reiner Kulttanz im Orient gewesen. Er wurde von alt und jung, arm und reich bei Festlichkeiten getanzt, ferner als Beschwörungsritual bei Geburten. Selbst werdende Mütter tanzten ihn als Frühform der Schwangerschaftsgymnastik. Verführungstanz war er selbstverständlich auch. In den Harems hofften Bajaderen und Odalis-ken die Aufmerksamkeit des Sultans wenigstens für eine Nacht zu erregen, was ihren sozialen Status erhöhte. Vorchristlichen Mythen folgend, war die erste Schleiertänzerin die babylonische Göttin Ischtar. Um ihren Gatten aus den Fängen unterweltlicher Mächte zu lösen, legte die Tanzende an den sieben Toren zum Totenreich jeweils einen Schleier ab. Von ihrer Schönheit überwältigt, gab man den Gatten frei. Unter dem Namen Sulamith soll Ischtar ins "Hohelied" des Alten Testaments, ein Liebeszwiegesang unverbrämter Erotik, eingegangen sein. Dort tanzt sie den "Reigen zu Mahanaim".

Im Studio legen die Damen vorerst keine Schleier, sondern die Schuhe ab. Im Handumdrehen schlüpfen sie in Seidenhosen, manche bevorzugen durchsichtige Fransenröcke; phantasievolle Oberteile umhüllen die Brüste. Der Glitzergürtel, unter dem Bauchnabel getragen, darf nicht fehlen. Der Rest ist Selbstsuggestion: "Tausend und mehr Träume".

Östliche Musik schrillt, rasselt; Aufputschmittel für die Tanzenden. Was an einem Frauenkörper wogen und wackeln kann, ist in Bewegung geraten. Wie von Geisterfingern gezwickt, vibriert jedes Fettröllchen. Kann ein Bauch wellenartig hüpfen? Er kann, sofern er den Namen Bauch verdient. Magere Frauen sind bei diesem Tanz von Natur her benachteiligt; ihre molligen, üppigen Konkurrentinnen sehen rundum attraktiver aus, denn außer Bauch- und Hüftspeck können die meisten auch einen schüttelwilligen Po aufweisen.

Ist der Tanz überhaupt erotisch? Altmeister Freud würde sagen, das kommt auf die Betrachtungsweise an. Reizen den einen "Zittershimmy" und "Kamelgang" zum Lachen, fühlt der andere stimulierendes Kribbeln. Was aber fühlen die Tänzerinnen? Was trieb sie ins Studio? Von Beruf sind sie Beamtinnen, Kauffrauen, Hausfrauen. Die Beamtin erklärt, sie habe mit Statistiken zu tun, und nimmt berechtigterweise an, daß diese Erklärung genüge. Abends fallen die Zahlenkolonnen aus dem Gedächtnis, sie zieht sich um, legt den magischen Gürtel an und eine CD auf und läßt das Becken kreisen. Ähnlich verfahren auch die übrigen Frauen. Ausnahme bildet die Hausfrau. Sie tanzt frühmorgens, wenn Ehemann und Kinder die Wohnung verlassen haben. Manche zeigen das Gelernte bei Feiern, einzelne treten sogar öffentlich auf, und wer es sich leisten kann, nimmt an einer "Frauentanz-Reise" in den Orient teil, die von verschiedenen Studios angeboten wird. Während des Tanzes - das beschwören die Frauen - verfallen sie einer Wandlung. Tiefe Entspannung empfinden sie, die Seele entflieht in exotische Gefilde.

Der Höhepunkt dann ist der Schleiertanz, und damit beginnt der Kampf mit dem Flattertuch. Die Lernwilligen, weit davon entfernt, aufzugeben, lassen sich auf das Unternehmen mit Feuereifer ein. Sehr bald schweißgebadet, versuchen sie, den aalglatten Schleier zu raffen, ihn mit Schwung um den Leib zu schwingen, wo er in elegantem Geriesel von der Brust unter den Nabel gleiten soll. Der Schleier denkt nicht daran, diesem Ansinnen zu folgen. Er windet sich um den Hals, ringelt sich um und zwischen die Beine. Zieht man an ihm, zurrt er sich fest. Lautes Gelächter allerseits.

Zum Schluß des Trainings tanzen sie eine einstudierte Formation. Die Pädagogin tanzt voran. Wunderschön bildet der Schleier ein vorschriftsmäßiges Dach über ihrem Kopf. Bei der Könnerin sieht man, was dieser Tanz sein kann: vollen- dete Ästhetik, pure Lebensfreude.

Proben den Bauchtanz: Viele Studios bieten den exotischen Tanz auch in Deutschland an. Foto: Archiv


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