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03.04.04 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. April 2004


Stillhalten! / Wer sich bewegt, fliegt raus 
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Die gemeinen Berichte über angebliche Ungereimtheiten bei den Abrechnungen für die Tagegelder der EU-Abgeordneten (siehe vergangene Folge) bekommen ein Nachspiel: In Brüssel zeigten diese Woche alle zusammen mit dem Finger auf einen, den sie schon länger als Petze im Verdacht hatten: den parteilosen österreichischen EU-Parlamentarier Hans-Peter Martin. Der will ein Buch herausbringen über die mutmaßlichen Abzocker unter den Abgeordneten, eine Art Hitparade der schrägen Quittungen.

Der Vizechef der EU-Sozialisten, Martin Schulz (ja, genau: das ist der, der letzten Sommer die Rauferei mit Berlusconi losgetreten hat), ist außer sich vor gerechtem Zorn über den Verrat. "Ich glaube", so Schulz, "daß sich die übergroße Mehrheit der Abgeordneten seriös verhält." Mit anderen Worten: Die Gaunerquote im EU-Parlament liegt spürbar unter 50 Prozent! Worüber regen wir uns also auf? Alles antieuropäische Hetze, gezielt ausgestreut vor den Europawahlen im Juni.

Jetzt blicken alle nach Brüssel, um zu beobachten, was sich da tut. Ausgerechnet jetzt. Die Erfahrung zeigt schließlich: je mehr die Bürger vor einer Wahl von ihren Politikern mitbekommen, desto übellauniger gehen sie an die Urnen. Der Absturz der französischen Bürgerlichen bei den Regionalwahlen hat ans Licht gebracht, was einer Regierung blüht, wenn das Volk darauf aufmerksam wird, daß sie tatsächlich irgend etwas tut. Chiracs Leute begingen den fatalen Fehler, dem in Berlin nur noch als sarkastischen Morgengruß bekannten Wort "Reform" Leben einzuhauchen mit all den fürchterlichen Drohungen, die daraus folgen. Das ließen die Franzosen natürlich nicht mit sich machen und jagten die Rechten aus fast allen Regionalregierungen.

In Berlin hat man die Botschaft wohl gehört: Wer sich bewegt, fliegt raus. Also ist bis auf weiteres Stillstand befohlen. Schlimm? Wir wollen nicht immer alles schwarz malen. So ein Stillstand ist letztlich weitaus gemütlicher als diese ewige Hast, mit der sich die Deutschen die gesamte Nachkriegszeit versauert haben. Und Stillstand ist auch viel sicherer, man denke an die vielen Verkehrstoten wegen der Raserei auf unseren Straßen. Damit wird indes bald von selbst Schluß sein. Denn sogar ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen läßt das deutsche Straßennetz in einigen Jahren kein Tempo über hundert mehr zu. Neulich auf der A7 bei Hannover: Um aus der vier- eine sechsspurige Autobahn zu machen, hatten die Verkehrsplaner einst gelbe Markierungen aufgelegt, die den Randstreifen zusätzlich befahrbar machten und die Spuren ein wenig verengten. Dann haben sie ihr Werk dem Zahn der Zeit überlassen. Der hat über die Jahre kräftig zugebissen. Nunmehr liegen die gelben Streifen in lustigen Zickzackmustern kreuz und quer über den Beton verteilt, die weißen Streifen daneben sind längst verschwunden. Die verzweifelt nach Anhaltspunkten spähenden Autofahrer können kaum mehr als 70 oder 80 Sachen machen, sonst riskieren sie eine Katastrophe. Auf diese Weise wurde das Raserproblem von selbst gelöst. Nicht anders in den Städten: Hier erinnern die Straßenbeläge zunehmend an ein Modell der Holsteinischen Schweiz: Kleine Hügelchen mit lauter Seen dazwischen und malerischen Abbruchkanten. Daneben ein verwittertes Schild: "Straßenschäden". Bald werden wohl auch die ersten Eisenbahnbrücken marode und gesperrt, weil das Geld für die Reparatur leider vermautet wurde. Dann kriegen wir endlich unsere guten alten Bahnübergänge zurück - die allerdings nur überwinden kann, wer das richtige Fahrwerk unterm Hintern hat. Am besten einen Trabi, die sind höhergelegt und so für das Abreiten romantischer Hoppelpisten wie gemacht.

Globalisierung muß eben nicht notwendig heißen, daß wir unbedingt dem nationalistischen Wahn nachhängen, immer bei den ersten zu sein. Wir haben schließlich gelernt, wie lästig wir der Welt in der Rolle des ehrgeizzerfressenen Arbeitstiers gewesen sind. Kalt seien sie, die Deutschen, effizienzversessen und mit ekelhafter Stetigkeit vorneweg, haben uns Intellektuelle und Pädagogen seit den 60er Jahren unter die Nase gehalten. Wir haben uns dann immer ein wenig geschämt und versucht, uns mal so richtig locker zu geben. Ging natürlich peinlichst in die Hose. Aber gründlich sind wir sogar im Lockernehmen und zufrieden werden wir erst sein, wenn der Zuwanderer aus dem Kongo nicht mehr von den "komischen Deutschen" brummelt, wenn man ihn fragt, wie es ihm denn hier gefällt, sondern fröhlich hervorbringt: "Straßen, Häuser, Leute - alles so wie zu Hause, nur das Wetter ist schlechter!"

Das Wetter kommt vom Kohlendioxyd, sagt Umweltminister Trittin, und das kommt von der Industrie, von der er sich daher trennen wollte. Gut, nicht bloß wegen des Wetters müssen die Fabriken weg. Hatte Trittin nicht schon Anfang der 90er erkannt, daß der Euro zwar schlecht sei für Deutschland, deshalb aber gut für die Welt, eben weil er Deutschland schwäche? Mit der Industrie muß nach demselben Muster verfahren werden, das wußte schon Henry Morgenthau, auf den hat nur leider keiner gehört, bis auf Trittin. Bei der Atomkraft hat er's ja immerhin geschafft. Ein Teilerfolg: Sollten die Deutschen eines Tages die Welt erneut mit teutonischen Fleißattacken verdüstern, brauchen die auswärtigen Stromlieferanten nur aufs Knöpfchen zu drücken, und aus ist's mit der Vorstellung.

Trittins Schlappe beim Emissionshandel wirft allerdings einen Schatten auf alle Hoffnungen. Die finstere Phalanx aus Betriebsräten, Industriebaronen und dem Wirtschaftsminister hat gezeigt, daß der Schoß noch zuckt, aus dem der VW-Käfer quoll.

Die Überwindung der alten Denk- und Glaubensschablonen muß halt früher ansetzen, und zwar in den Köpfen, und tiefer, ganz tief in der Seele. Bremen macht den Vorreiter: Dort werden demnächst Muslime den Bibelgeschichtsunterricht übernehmen. Mit Genugtuung können wir uns ausmalen, wie der Lehrer in die Rolle des Sektenbeauftragten schlüpft, der den Kindern die Irrlehre der Kreuzfahrer auseinanderlegt. Nicht daß das jemand falsch versteht: Wir wollen niemanden ausgrenzen. Auch die Kirchen behalten ihren Platz. Sie haben im "Dialog der Kulturen" gelernt, wie man seine eigene Überwindung nicht als Bedrohung zurückweist, sondern als "Chance" und "Angebot" freudig aufnimmt. Das ist besonders in der prekären Übergangsphase äußerst wichtig für die Atmosphäre.

"Seien wir tolerant! Kommen wir mit den Tätern ins Gespräch ..." Zeichnung: Götz Wiedenroth


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