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10.04.04 / Der Kulturkampf ist eine Realität / Zu viel religiöse Toleranz kann tödlich sein (letzter Teil)

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. April 2004


Der Kulturkampf ist eine Realität
Zu viel religiöse Toleranz kann tödlich sein (letzter Teil)
von J. Liminski

Es geht um das Denken, nicht um die Verhüllung. In diesem Sinn ist das Kopftuch demas-kierend. Es zeigt die Radikalisierung des Islam. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts noch war das Stadtbild Istanbuls oder Kairos bei weitem nicht so sichtbar von Kopftüchern geprägt wie heute. Gleichzeitig aber sah man in den Städten Westeuropas noch sehr viel mehr Priester mit "römischem Kragen" und sehr viel weniger leichtbekleidete Frauen. Die Radikalisierung des Islam verläuft parallel zur Säkularisierung des Christentums und seiner geistigen Verdünnung bis zur Verdunstung in der westlichen Gesellschaft. Dieser gegenläufige Prozeß ist die eigentliche Gefahr.

Die Gefahr ist schleichend und diabolisch. Sie verzerrt den Islam und verflacht das Christentum. Ihre gesellschaftlichen Ausprägungen aber reißen Massen mit, weil sie nicht mehr durch den Filter des religiösen Wissens abgeklärt werden. Deshalb ist der Laizismus eigentlich auch nur eine Verhüllung, wenn man so will, eine Verhüllung der Intoleranz und der Machtfrage. Der gallische Hahn will sich die Hoheit über den gesellschaftlichen Misthaufen nicht nehmen lassen. Der Präfekt der Apostolischen Signatur, des Obersten Gerichts der katholischen Kirche, Kardinal Mario Pompedda, enthüllt diesen Sachverhalt in einem Kommentar zum französischen Gesetzentwurf mit den Worten: "Der Laizismus wird wie eine Gottheit vorgestellt, die das ganze Leben in Frankreich beherrschen soll. Dieses Prinzip, das mit Freiheit gleichbedeutend sein sollte, wird so zu einer Zurückweisung der Freiheit des Individuums." Ausdrücklich erkennt der Kardinal in seinem als persönlich und nicht amtlich bezeichneten Schreiben an eine Zeitung, "das Recht des Staates an, seine Identität, Kultur und Grundwerte zu verteidigen". Aber es sei notwendig anzuerkennen, daß das Recht zur Auswanderung eines der anerkannten Rechte der Person in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung sei und "diese [ausgewanderten] Menschen und Gemeinschaften haben ebenso das Grundrecht darauf, ihren eigenen Glauben, ihre religiösen Überzeugungen und ihre Kultur zu bekennen. Seine Grenzen findet dieses Grundrecht dort, wo es die Rechte anderer beschneidet: Sie dürfen die öffentliche Ordnung nicht stören."

Das scheint für Bundestagspräsident Wolfgang Thierse der Fall zu sein. Ein Kreuz sei kein Symbol von Unterdrückung, das Kopftuch für viele Frauen aber schon, meint er, und der römische Kurienkardinal Joseph Ratzinger assistierte nach der Rede von Bundespräsident Rau: "Der Herr Bundespräsident hat uns am Ende dieses Jahres eine sehr merkwürdige Belehrung erteilt. Ich würde keiner muslimischen Frau das Kopftuch verbieten, aber noch weniger lassen wir uns das Kreuz als öffentliches Zeichen einer Kultur der Versöhnung verbieten." Wann also wird die öffentliche Ordnung gestört? Das ist sicher auch eine Frage der Zahl oder Masse, nicht des Einzelfalls. In ganz Deutschland unterrichten derzeit nicht mehr als 20 muslimische Lehrerinnen. Es wäre töricht zu behaupten, von ihnen ginge Gefahr aus. Es ist, wie immer in Deutschland, eine Frage des Prinzips, aber auch des öffentlichen Bewußtseins und der Toleranzfähigkeit. Wenn eine Lehrerin Anstoß erregt und Eltern sich beschweren, sollte sie auf das Kopftuch verzichten. Kann sie es nicht, erhebt sie einen religiös verbrämten Machtanspruch. Das Kopftuch ist kein Dogma, man kann eine Einschränkung verlangen, man muß es aber nicht. Ungleich viel wichtiger als diese Frage wäre es, das eigene religiöse Bewußtsein zu stärken, konkret: den Religionsunterricht auszubauen, das Wissen über die eigene Religion und Kultur zu mehren und nicht durch inhaltslose Ethik-Veranstaltungen wie in Brandenburg zu schwächen. Ferner wäre es geboten, die religiöse Praxis - Gebet, Sakramente - stärker zu empfehlen, in diesem Kulturkampf das Gebot der Stunde. Verbote schränken ein, Wissen regt an. Das gilt auch für das kulturelle Selbstbewußtsein. Das Naserümpfen allein über den gallischen Hahn zeugt von naiver Überheblichkeit, er hat mit dem Primat weltanschaulicher Neutralität den Islam immerhin in Schranken verwiesen, den Kampf allerdings noch nicht aufgenommen. Diesen geistigen Kampf müssen andere führen, zum Beispiel die Kirchen. Ihre konfliktscheuen Funktionäre glauben immer noch, es gehe nur um Religionsfreiheit. Das wird ein böses Erwachen geben. Die Islamisten schlafen nicht.

Eigentlich muß man den Kopftuch-Aktivisten dankbar sein. Ihr Symbol ist ein Wecker für die Christen. Die Bischöfe sollten in den Weckruf einstimmen und den Kulturkampf führen. Ihn den politisch korrekten Konsenspolitikern zu überlassen ist eine Form der Selbstaufgabe. Georges Bernanos prägte vor knapp 100 Jahren den Satz: "Das Unglück dieser Welt, der Jammer unserer Zeit ist nicht, daß es so viele ungläubige Menschen gibt, sondern daß wir Gläubige so mittelmäßige Christen sind." Das Mittelmaß ist die Schwester der Lauheit. Der Befund des Bernanos ist heute so treffend und gültig wie damals. Aber die Gefahr des totalitären Islam ist umfassender. Der Kulturkampf ist eine Realität, wer ihn nicht führen will, der hat ihn schon verloren.

Nur: Wie ist diese Auseinandersetzung in einer weitgehend säkularisierten und sämtliche Werte relativierenden Gesellschaft zu führen? Der Pluralismus als Prinzip führt die Gesellschaft zum Chaos und die Gemeinschaft ad absurdum. Das wußte schon Platon, als er über den Staat schrieb: "Das extreme Trachten nach dem, was in der Demokratie als gut gilt, stürzt die Demokratie." Der Staat braucht die berühmten Voraussetzungen, von denen er lebt und die er selber nicht geschaffen hat. Diese Voraussetzungen sind in der Natur grundgelegt. An sie muß er sich halten, wenn er lebens- und reformfähig bleiben will. Das gilt auch für den gesellschaftlichen Rahmen über den Staat hinaus, also für das Zusammenleben von Kulturräumen. Johannes Paul II. hat Mitte Februar genau auf diesen Umstand hingewiesen. Derzeit fehle es der Menschheit unabhängig vom jeweiligen Glauben oder von der jeweiligen Kultur an einer gemeinsamen ethischen Grundlage.

Dieses Naturgesetz beziehungsweise die Menschenrechte sind die Grundlage, auf der eine Koexistenz mit dem Islam zu gestalten wäre. Ist das mit einem Islam möglich, der sich insgesamt gesehen zunehmend radikalisiert? Es geht nicht um eine Textilie als Symbol dieses radikal-religiösen Denkens und auch nicht um die Wiederbelebung eines ebenso radikalen Denkens, das vor knapp 100 Jahren mit dem Laizismus-Gesetz des Aristide Briant ins Leben gerufen wurde. Beide Denkweisen sind die Extreme, vor denen schon Platon warnte. Keine darf die Deutungshoheit in der Demokratie erlangen, denn beide Extreme sind im Kern intolerant und gefährden die persönliche Freiheit. Es geht vielmehr um die Wiederentdeckung des Menschlichen im Naturgesetz, um die Freiheit und Würde des Menschen - und um die Abwehr der Extreme. Das ist der Einsatz der Kopftuchdebatte. Ein Verbot oder Laissez-faire wäre zu einfach und würde der Problematik nicht gerecht. Mancher Würdenträger in Deutschland gibt sich erstaunt über die Geschwindigkeit der Erosion des Glaubensbewußtseins und der Glaubenspraxis der Christen. Dabei hat Heidegger schon vor Jahrzehnten bemerkt, daß das Christentum seine kulturprägende Macht eingebüßt habe. Es ist in der Tat höchste Zeit aufzuwachen. Wir haben "kein Recht mehr, mittelmäßig zu sein" - dieses Wort des Löwen von Münster, Bischof von Galen, gilt auch heute. Die Umstände sind subtiler, das Ziel ist das gleiche: Widerstand gegen die Extreme der Unmenschlichkeit. Dieser Widerstand fängt da an, wo die Freiheit wohnt: Im Bewußtsein der eigenen Würde und ihrer Wurzel: der persönlichen Beziehung zum Schöpfer, der uns diese Freiheit läßt. "Gott hat uns erschaffen ohne uns", schrieb Augustinus mehr als zwei Jahrhunderte vor dem Islam, "aber er wollte uns nicht erlösen ohne uns." Dieses Freiheitsverständnis selbst vor Gott ist den Muslimen fremd. Ihre Religion verlangt die totale Unterwerfung unter Allah und seinen Propheten. Sicher, auch Juden und Christen unterwerfen sich wie Abraham der Allmacht Gottes. Aber sie fragen, sie ringen, sie suchen nach Sinn und Logik. Das ist nicht die Geisteshaltung der Kismet-Leute, die nicht fragen und nur erdulden. Wer das Kopftuch verbietet und nicht mehr fragt, wie es denn im Kopf selbst - und vor allem im Herzen - aussieht, der handelt wie die radikalen Anhänger des Koran, der hat kein Gespür mehr für die wahre Freiheit des Christenmenschen. Das Verständnis von Demokratie, Toleranz und Freiheit ist das Maß des Rechts, nicht eine Textilie. Das sind wir unserem Kulturraum mit dem Primat des Rechts schon schuldig. Wer diese Maßverhältnisse des Politischen nicht akzeptiert, dem steht es frei zu gehen.


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