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24.04.04 / Nur Gewinnmaximierung zählt / Gewinner und Verlierer der Globalisierung und die Möglichkeiten, in diesem System zu überleben

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. April 2004


Nur Gewinnmaximierung zählt
Gewinner und Verlierer der Globalisierung und die Möglichkeiten, in diesem System zu überleben
von Uwe Greve

Der schleichende politische, wirtschaftliche, demographische, unsere Bildung und Kultur betreffende Niedergang Deutschlands schreitet weiter voran. Was im Dezember 2003 als großer Reformkompromiß zwischen den Bundestagsparteien gefeiert wurde, löst die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme unseres Landes nicht von der Wurzel her.

Ein zentrales Problem überlagert in wachsendem Maße alle anderen und beeinflußt insbesondere die Arbeitsplatzentwicklung in immer größerem Ausmaß: die Globalisierung. Die Debatte um die Globalisierung wird geprägt vom Gefühl der Unausweichlichkeit. Auch für die Mehrheit der deutschen Politiker erscheint Globalisierung als schicksalhafte Erscheinung, ein Strom, in dem man mitschwimmt oder untergeht, wenn man gegen ihn anschwimmt.

Doch was bedeutet eigentlich Globalisierung? Explosion der grenzüberschreitenden Informationsflüsse und des weltweiten Handels sowie Konzentration des Kapitals. Die Suche nach weltweit gemeinsamer Lösung globaler Fragen von der Bevölkerungsexplosion bis zur Klimaveränderung bedingt durch Naturzerstörung und menschliches Verhalten. Die Internationalisierung von Forschung und Produktion und damit einhergehend die Entwicklung übernationaler Arbeitsmärkte. Alles Prozesse, die schon seit Jahrhunderten sichtbar sind, aber jetzt eine neue Dimension erreichen!

Woran muß die Globalisierung in erster Linie gemessen werden? Gibt es mehr Gewinner oder mehr Verlierer? Die Antwort kann für jeden realistischen Beobachter nur lauten: mehr Verlierer als Gewinner! Deshalb ist die Globalisierung in ihren Folgen kein Fortschritt der Menschheit, sondern ein Rückschritt, der in seinen Folgen noch nicht einmal annähernd eingeschätzt werden kann.

Doch wer sind die Verlierer? Verlierer sind die Lohnarbeiter und produzierenden Fachkräfte in den herkömmlichen Industrieländern, also auch in Deutschland. Sie werden in den nächsten Jahren zu weiteren Hunderttausenden ihre Arbeitsplätze verlieren. Immer mehr Arbeitsplätze werden in Niedriglohnländer verlagert, und mit ihnen wird in kleinen, aber deutlich sichtbaren Schritten der Wohlstand in den Hochlohnländern verschwinden. Im Rahmen dieses Prozesses sind jedoch nicht die Konzerne, sondern die Politiker die Schuldigen. Die Konzernherren argumentieren, sie müßten Arbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagern, um konkurrenzfähig zu bleiben. Diese Notwendigkeit für viele Unternehmen entstand durch den Zollabbau der Politiker, die freilich wiederum von den Konzernen dazu gedrängt wurden. Nach der Propaganda der Konzerne sind Zölle "der Tod des Freihandels". Haben Konzerne wie die amerikanischen Stahlkonzerne noch zu wenig globalisiert und fühlen sich von einer billig produzierenden Konkurrenz in die Enge getrieben, dann haben sie freilich genügend Einfluß, um ihre Regierung - wie kürzlich in den USA geschehen - zur Einführung von Schutzzöllen zu zwingen, während sie vorher Schutzzölle mit allen Mitteln bekämpften.

Verlierer sind auch der produzierende und handelnde Mittelstand, die Handwerker und Dienstleister in den Industrieländern. Wer am internationalen Markt reüssieren will, braucht Kapital, das der selbständige Mittelstand kaum hat. Er wird in wachsendem Maße an Globalisierer verkaufen oder aufgeben müssen.

Sind aber am Ende einer solchen Entwicklung nicht auch die international agierenden Großkonzerne die Verlierer, weil Bürger ohne Arbeit irgendwann auch für die in Entwicklungsländern produzierten Güter kein Geld mehr haben? So langfristiges Denken und Handeln betreiben die Globalisierer nicht. Sie konzentrieren sich auf die Gewinnmaximierung für die Gegenwart und die nächsten Jahre.

Verlierer sind allerdings auch die Nationalstaaten als funktionsfähige Lebensorganisationen. Linke Politiker wie Joschka Fischer und Trittin lachen sich ins Fäustchen. Ihr Ziel war immer Internationalismus und Auflösung der Nationalstaaten. Jetzt vollziehen sie diesen Niedergang in freundlichem Einvernehmen mit dem einst von ihnen so bekämpften Kapitalismus. Unser Wohlstand und unsere Zukunftsfähigkeit beruhen jedoch in erster Linie auf unserem Nationalstaat. Er garantiert den Erhalt unseres Bildungssystems, er ist Träger des Gesundheits-, Renten- und Sozialsystems, er garantiert einigermaßen innere und - in begrenztem Maße - äußere Sicherheit. Die Globalisierer interessiert all dies nicht. Sie nutzen allein die Ressourcen des Nationalstaats.

Auf den zweiten Blick gehören aber auch die Entwicklungsländer zu den Verlierern. Die internationalen Großkonzerne verschaffen zwar einer größeren Zahl von Menschen in solchen Ländern vorübergehend Arbeitsplätze. Aber sowie die schlechtbezahlten Arbeitskräfte mehr Lohn oder kürzere Arbeitszeit fordern oder sich intensiver gewerkschaftlich organisieren, verschwinden mit den Maschinen die Arbeitsplätze ins nächste Billiglohnland. Das gilt für das Nähen von Textilien aller Art, für die Schuh- und Sportgeräteherstellung. Wenn die Entwicklungsländer auf die Beine kommen sollen, geht dies nur über den Aufbau einer breiten zukünftigen Mittelschicht von Bauern, Handwerkern, Dienstleistern, Freiberuf-lern, die in erster Linie den Bedarf des eigenen Landes befriedigen.

Besonders die Bauern in den Entwicklungsländern trifft es hart. Weltbank, Welthandelsorganisationen werden in wachsendem Maße im Rahmen des internationalen liberalistischen Freihandels die Kleinbauern überflüssig machen. Diesen wird - und die Entwicklung hat ja schon eingesetzt - nichts anderes bleiben, als in die Slums der Großstädte zu ziehen. Manila, Rio de Janeiro, Sao Paulo, Caracas, Bogotá, Lima, insbesondere auch Mexico City werden zu Alptraumstädten von über 20 Millionen Menschen mutieren - unregierbar im schlimmsten Sinn des Wortes. Wo einst Kleinbauern ihre Familien redlich ernähren konnten, wird die "moderne" Landwirtschaft mit Massentierhaltung, Agrargiften und Hochtechnisierung einziehen. Globalisierung bedeutet die schrittweise Übernahme einer Landwirtschaft, die verhältnismäßig gesunde Lebensmittel produziert, durch Agrar-, Chemie-, Maschinen-, Nahrungsmittelverarbeitungs- und Vermarktungsindustrie und natürlich die Großbanken.

Verlierer sind die Familien überall auf der Welt. Traditionell gewachsene soziale Strukturen, ein Mindestmaß an Bodenständigkeit, Geborgenheit und Sicherheit gehen über die Globalisierung immer weiter verloren. Gefragt ist der "bewegliche, flexible Mensch", der seiner Tätigkeit - öfter als früher - auch irgendwo im Ausland nachgehen kann, heute hier, morgen dort. Einem solchen Leben sind Familien buchstäblich im Wege. Kinder in größerem Maßstabe werden in Zukunft in erster Linie aus der Schicht der (noch) sozial abgesicherten Arbeitslosen in den westlichen Industrieländern, aus den deklassierten Schichten in den Slums der Dritten Welt und der dünnen Schicht der Reichen in aller Welt hervorgehen. Die unteren und mittleren arbeitenden Schichten werden sich immer stärker auf den Überlebenskampf konzentrieren müssen.

Auch der Umweltschutz und die vielen Kulturen und Sprachen, die durch die amerikanisch-englische Kulturdominanz gefährdet sind, zählen zu den Verlierern. Doch wer sind nun die Gewinner?

Ausgehend von den USA haben Großkapital und international agierende Konzerne das Prinzip der Gewinnmaximierung zum Kernziel ihrer Tätigkeit gemacht. Solange der Kampf um die Weltherrschaft mit dem Kommunismus tobte, war ihnen dies nicht möglich gewesen. Denn das Erhardtsche "Wohlstand für alle" war neben der militärischen Stärke die Kernargumentation gegen die marxistische Ideologie. Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Länder bekam der Turbo-Kapitalismus die Grundlage für seine ungehemmte Entfaltung. Inzwischen haben die international agierenden Konzerne in ihrem Siegeszug zunehmende Welteinheitlichkeit im Warenangebot erreicht. Der deutsche "Mittelstandspapst" Prof. Dr. Eberhard Hamer dazu: "Beispiel ist der Siegeszug der Pappgastronomie über die nationalen Gastronomiebetriebe oder der Siegeszug internationaler Standardkleidung über die nationalen Mode- und Bekleidungsidentitäten." Die "Global Players" und ihre Aktionäre sind die Globalisierungsgewinner. Gewinner sind auch die Kapitaleigner, die die Freiheit nutzen, ihr Kapital dort hinzulenken, wo es die höchste Rendite abwirft. Die Kapitalströme sind weitgehend dem Zugriff der Nationalstaaten entzogen. Gewinner sind auch jene Manager, aus welchen Ländern auch immer, die sich in die Führungsetagen der Weltkonzerne durchgebissen haben und in immer kürzeren Tätigkeitszeiten immer höhere Gehälter für sich in Anspruch nehmen können.

Zumindest vorübergehend sind auch Spekulanten Gewinner. Dazu noch Professor Dr. Hamer: "Wenn man bedenkt, daß sich die Güterwerte in den letzten 25 Jahren vervierfacht, die Geldwerte dagegen vervierzigfacht haben, dann steht den Geldwerten kein entsprechender Güterwert mehr gegenüber, wird das internationale Finanzsystem von riesigen Spekulationsblasen durchzogen ... Ich vermute, daß die heute lebende Generation nach dem Zusammenbruch des Sozialismus auch den Zusammenbruch des Kapitalismus noch erleben wird. Der Sozialismus hatte zu wenig, der Kapitalismus hat zu viel Freiheit. So wie der Sozialismus könnte also auch der Kapitalismus am Machtmißbrauch zugrunde gehen. Die soziale Marktwirtschaft muß ein Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus mit persönlicher Freiheit, Chancengerechtigkeit, dominierendem Mittelstand und Wohlstand für alle sein."

Gewinner sind zum Teil auch jetzt noch die Verbraucher. Verdrängungswettbewerbe zwischen den Konzernen laufen oft über die Preisschiene. Wo die Zahl der Anbieter sich dann aber auf wenige reduziert hat, verkehrt sich dies ins Gegenteil. Bestes Beispiel sind die Benzin-, Diesel- und Mineralölpreise. Seitdem wenige Großkonzerne sich den Markt teilen, steigen seltsamerweise zum Beispiel in Ferienzeiten die Benzin- preise aller Anbieter, ohne daß sich ein anderer rationaler Hintergrund finden läßt als "Abzocke", wie es ein großes deutsches Boulevardblatt nannte. Die nationalen Kartellämter sind dagegen weitgehend machtlos.

Was ist zu tun? Zu den bedeutendsten Aufgaben der Politik gehört es deshalb, die Globalisierung so gut wie möglich zu begrenzen. Hauptalternative zur Globalisierung ist die Pflege der kleinen lokalen und regionalen Wirtschaftskreisläufe, an die die Globalisierer nicht herankommen oder die ihnen zu wenig gewinnträchtig erscheinen. Auf dem Grünmarkt einkaufen statt im Supermarkt; den kleinen und mittleren Handel stützen, so gut es der eigene Geldbeutel zuläßt; regionale Produkte den internationalen vorziehen, wo dies möglich ist. Aber auch: den eigenen Familienzusammenhalt stärken, sich für den Nächsten verantwortlich fühlen, statt Fernstenliebe zu betreiben. In der Politik ist die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips die bedeutendste Möglichkeit, die negativen Folgen der Globalisierung zu verringern. Subsidiarität heißt konkret, daß die unteren Staatsorgane - Gemeinden, Kreise, Länder - möglichst viele Entscheidungen in ihren Händen behalten, und die oberen Organe - Bund, Europa, internationale Organisationen - nur jene Entscheidungsgewalten erhalten, die wirklich dorthin gehören, wie Verteidigung oder Bekämpfung des Terrorismus und der internationalen Kriminalität.

Auf jeden Fall hilft es nicht, die Globalisierung zu beklagen oder von einer heilen Welt zu träumen. Die Realitäten müssen so erkannt werden, wie sie sind. Dem Globalen müssen wir das Lokale, den scheinbar übermächtigen Großen das erfolgreiche Kleine und Mittlere gegenüberstellen. Den schöpferischen, selbständigen, kleineren, auch autonomen Gemeinschaften kann durchaus langfristig die Zukunft gehören, wenn sie mit Phantasie und Durchsetzungswillen entwickelt werden.

Die funktionsfähige Wirtschaftsordnung der Zukunft liegt in der Dominanz des mittelständischen Personenunternehmens mit hoher Eigenverantwortung des Unternehmers. Nur in einer solchen Struktur gibt es einen echten Wettbewerb. Voraussetzung dafür sind global wirksame Antitrustgesetze, von denen wir derzeit noch ein gutes Stück entfernt sind.

Am Ende eines immer weiter voranschreitenden Liberalismus ohne Schranken stünde die 20-80-Gesellschaft. Die Antwort darauf würden Demagogen mit der nächsten Diktatur geben. Wir müssen deshalb dafür sorgen, daß der Staat als bedeutendster Zusammenschluß zum Schutze der Schwachen nicht seine Funktion verliert und deklassierte Schichten und Slums entstehen. Auf der anderen Seite muß der prinzipienlose, pervertierte Wohlfahrtsstaat gestoppt werden, der nach dem Gießkannenprinzip an jedermann verteilt, unabhängig von individueller Bedürftigkeit und bei Ignorierung des millionenfachen Mißbrauchs.

Linke Gruppen und Chaoten, die sich wie in Genua mit Straßenschlachten gegen die Globalisierung profilieren, sind kontraproduktiv in bezug auf jede sinnvolle Globalisierungsbegrenzung. Die Globalisierer können sich nichts Besseres wünschen, als daß ihre Gegner aus solchem Geiste handeln und gewalttätig werden. Solches Verhalten diskreditiert auch die dringend notwendige und durchdachte Globalisierungskritik.

Krasse Gegensätze: Links die moderne Großstadt, rechts der "moderne" Slum. Je stärker die Globalisierung zunimmt, desto höhere Einwohnerzahlen werden beide Wohnformen erleben, da die Mittelschicht allmählich wegbrechen wird. Auch die Kleinbauern in den Entwicklungsländern werden verdrängt werden und nur in den Slums am Rande der Millionenstädte eine Bleibe finden. Fotos: Archiv


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