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24.04.04 / Eher ein "herzlicher Wetteifer" / P. Campguilhem über die Feierlichkeiten und Hintergründe zur "Entente cordiale"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. April 2004


Eher ein "herzlicher Wetteifer"
P. Campguilhem über die Feierlichkeiten und Hintergründe zur "Entente cordiale"

Mit einem Staatsbesuch Elisa-beths II. in Paris haben Frankreich und Großbritannien damit begonnen, den 100. Jahrestag der Unterzeichnung der sogenannten "Entente cordiale" (des herzlichen Bündnisses) zu feiern. Veranstaltungen sind für das ganze Jahr geplant, um die beiden Völker daran zu erinnern, daß Frankreich seit der Zeit der Vertragsunterzeichnung unter dem französischen Botschafter Paul Cambon großen Wert auf die Freundschaft mit dem Verei-nigten Königreich legt. Vom 8. April 1904 bis zum heutigen Tag ist so viel geschehen, daß das historische Ereignis allerdings kein allzugroßes Interesse mehr weckt. Auf jeden Fall wurde die Reise der Queen von den meisten französischen Medien nur flüchtig behandelt und durch die Schwierigkeiten der Regierung Raffarin in die inneren Seiten der Zeitungen zurückgedrängt. Die staatlichen Rundfunksender informierten ebenfalls spärlich über den königlichen Besuch. Die einzige Zeitung, die im großen Stil berichtete, ist in Zusammenarbeit mit dem britischen Guardian die linke Libération gewesen. Wie eine von diesen beiden Meinungsträgern gemeinsam durchgeführte Umfrage belegt, sind beide Völker noch sehr verschieden. Zum Beispiel vertrauen 66 Prozent der britischen Befragten den Amerikanern, während 64 Prozent der Franzosen hingegen den US-Bürgern kein Zutrauen schenken. Laut 35 Prozent der Franzosen ist Frankreich das bedeutendste Land in Westeuropa, während nach vorherrschender Meinung der Briten (30 Prozent) das wichtigste Land Deutschland ist. Frankreich schenken die Briten eine untergeordnete Rolle (14 Prozent) nach Großbritannien (21 Prozent). Bemerkenswert ist, daß die Briten mehr als die Franzosen den Russen (53 Prozent gegen 39) vertrauen. Insofern ist es nicht erstaunlich, daß der Redakteur des konservativen Londoner Daily Telegraph von einem herzlichen Wetteifer statt eines herzlichen Bündnisses spricht, als ob hundert Jahre nach dem Abkommen die Beziehungen noch in der Schwebe wären.

Vordergründig wurde die "Entente cordiale" unterzeichnet, um die kolonialen Mißverständnisse zwischen den beiden Ländern zu bereinigen. Im November 1898 hatte Frankreich beim sudanesischen Faschoda vor den britischen Truppen Kitcheners zurückweichen müssen, so daß zu jener Zeit beide Staaten am Rande eines Krieges standen. Frankreichs Außenminister Théodore Delcassé wollte dennoch keine Auseinandersetzung mit London, und im Gegenzug wünschte er sich nach der Annäherung zwischen der Dritten Republik und dem russischen Reich ein Einverständnis mit London, damit Frankreich über Verbündete bei seinem offenen Streit mit dem Deutschen Reich verfüge. Obgleich das Abkommen zwischen Cambon und dem britischen Außenminister Lord Landsdowne allein die Kolonialfragen, darunter Ägypten und Marokko, zum Thema hatte, war nichtsdestoweniger die Spitze gegen das wilhelminische Deutschland offensichtlich. 1907 sollte sich das Bündnis auszahlen: Frankreich wirkte bei einer Annäherung zwischen London und St. Petersburg mit. Im September 1914, nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wurde das dreiseitige Einverständnis zwischen London, Paris und St. Petersburg durch eine gegenseitige Verpflichtung, keinen Separatfrieden mit den Mittelmächten abzuschließen, in eine förmliche Allianz verwandelt.

Obwohl der Erste Weltkrieg letztendlich wegen der Feindschaft zwischen Wien und Rußland bezüglich des Balkans ausbrach, ist es wahrscheinlich, daß Berlin die Vereinbarungen des 8. April 1904 besonders angesichts des französisch-russischen militärischen Schulterschlusses als den Willen, die Mittelmächte einzukreisen, angesehen haben dürfte. Der Historikerstreit um die Frage, ob die Unterzeichnung der "Entente cordiale" den ersten Schritt zum Ersten Weltkrieg oder die Beilegung der jahrhundertelangen Feindschaft zwischen Frankreich und Großbritannien darstellte, wird sich wohl noch eine Weile hinziehen.

Die Queen in Paris: Der Besuch Elisabeths II. anläßlich der Feierlichkeiten fand wenig Beachtung. Foto: AP


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