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01.05.04 / Wie in einem alten Film / Defizit-und Wachstumsdebatte - ein Déjà-vu-Erlebnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Mai 2004


Wie in einem alten Film
Defizit-und Wachstumsdebatte - ein Déjà-vu-Erlebnis
von Jürgen Liminski

Die Ankündigungen häuften sich, so daß die Überraschung ausblieb. Das Frühjahrsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute senkte die Wachstumserwartungen, und nur wenige sehen das dramatisch. Eichel und Co hatten gut vorgearbeitet. Noch am Wochenende ließ der Finanzminister beim G-7-Treffen in Washington beiläufig verlauten, eine Zinssteigerung würde den Haushalt in arge Schwierigkeiten bringen. Überhaupt sei die Lage "sehr kompliziert". Sehr kompliziert - so äußerten sich einst die Sowjets, wenn eine Situation sich schlecht für sie entwickelte oder wenn sie vor einem Problem standen, das mit den althergebrachten Mitteln nicht zu lösen war. Und genau das ist jetzt der Fall. Die Bundesregierung wird den Haushalt so nicht durchhalten können. Der Unionsexperte Austermann meint sogar, die Neuverschuldung werde von rund 29 auf 45,1 Milliarden Euro steigen müssen, und damit läge Deutschland entgegen den Versprechungen aus dem Finanzministerium wieder weit über dem Defizit-Kriterium des Stabilitätspaktes.

Es ist wie in einem alten Film. Die Schauspieler sind bekannt, die Sprüche auch und die Handlung ebenfalls. Alles ist vertraut. Seit drei Jahren schon werden regelmäßig im Herbst die Erholung der Konjunktur und ein kräftiger Aufschwung angekündigt, dann platzt als erste Seifenblase das Weihnachtsgeschäft, und gegen Ostern kommen die ersten Ernüchterungsparolen. So auch diesmal. Der BDI wagte es schon lange vor der Hannover-Messe. Man werde die von der Bundesregierung und manchen Wirtschaftsweisen prognostizierten zwei Prozent Wachstum nicht erreichen. Allenfalls lande man bei 1,7 Prozent. Das Berliner Institut der Deutschen Wirtschaft meldete dann 1,5 Prozent, und jetzt kam die Frühjahrsprognose der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Sie folgte dem Trampelpfad der Realität und dämpfte den Optimismus aus dem Herbst.

Ist der Aufschwung schon vorbei, ohne daß man ihn bemerkte? Das Berliner Institut spricht von einem "lauen Lüftchen", das sich aus einer Frühjahrsumfrage unter immerhin 1.133 Unternehmen ergeben habe. Die Ergebnisse des ersten Quartals geben der Einschätzung recht. Statt der mindestens 0,5 Prozent gab es gerade mal 0,2 Prozent. Der Sommer ist in der Regel eher mäßig, man wird sich auf eine positive Stagnation (0,1 Prozent) einstellen müssen, und im Herbst werden die Unternehmen abwarten, was die Wahlen in den USA ergeben, also auch kein großes Anpacken, so daß die Hoffnungen sich erneut auf das Weihnachtsgeschäft konzentrieren. Das wird dann vielleicht das eine Prozent retten, wenn überhaupt.

So geht es Jahr für Jahr. Der BDI hat jetzt die Hauptursache mal beim Namen genannt: Der Binnenkonsum lahmt. Das tut er schon seit Jahren, und diese Schwäche ist bisher immer nur vom boomenden Export übertüncht worden. Wenn der Export auch einbricht, etwa wegen des wachsenden Protektionismus in den USA oder wegen wachsender Unsicherheiten in Europa aufgrund der Osterweiterung oder des Terrorismus, dann wird es kritisch in Deutschland. Steigende Arbeitslosenzahlen (die fünf Millionen könnten leicht übersprungen werden), gähnend leere Sozialkassen (der Rentenkasse fehlen angeblich jetzt schon drei Milliarden Euro), halbvolle Auftragsbücher und Unternehmergedanken an die Flucht ins Ausland, entweder mit Geld- oder Sachkapital.

Natürlich läßt sich immer alles irgendwie erklären, sprich: auf die anderen schieben. Der Ölpreis, der Terror, die hohe Verschuldung der USA, die die Zinsen auf dem Weltmarkt nach oben treibt. Aber andere werden besser mit den gleichen Umständen fertig. Deutschland ist und bleibt ein Land, in dem hohe Steuern und Abgaben, Regulierungswut und Bevormundung der Bürger jede aufkeimende Unternehmungslust ersticken. Hinzu kommt ein interner, hausgemachter Faktor: Es rächt sich die jahrelange Vernachlässigung der Familie mit Kindern. Denn die Familie ist es, die den Binnenkonsum trägt, weil sie konsumieren muß. Kinderlose und Rentner können sparen. Die Verarmung der Familie schlägt nun auf die Wirtschaft durch. Deutschland ist noch reich, aber nur an Kapital, und das wird nicht gerecht verteilt. Die Erziehungsleistung der Familie wird nicht nennenswert berücksichtigt. Das mahnt das Bundesverfassungsgericht seit Jahren an. Familien zahlen Strafsteuern, das sind jene Steuern, die trotz der beständigen Mahnung des Bundesverfassungsgerichts, das Existenzminimum steuerlich freizuhalten, von Eltern entrichtet werden. Allein bei geringen Einkommen (leicht oberhalb der Sozialhilfe) belief sich die Kinderstrafsteuer nachweislich in den Jahren 1990 bis 2002 auf 43 Milliarden Euro. Das ist Geld, das dem Binnenkonsum fehlte.

Die Politik stellt sich taub und vertröstet ständig mit demselben Spiel von Hoffnung und scheibchenweiser Ernüchterung. Jetzt holt sie die Wirklichkeit wieder ein. Sie wird wieder externe Faktoren erfinden. Aber man kann die Fakten nicht auf Dauer verdrängen. Irgendwann wird sie den Familien Gerechtigkeit zukommen lassen und das Kapital anders verteilen müssen. Das Déjà-vu-Gefühl breitet sich aus. Das Stück auf der Berliner Bühne wird zur traurigen Komödie - ohne Publikum. Dieses braucht die Spekulationen der Laienspielschar nicht, es versucht schlicht zu überleben. Die einzige Genugtuung, die dem Publikum bleibt, ist, daß auch Eichel jetzt ums Überleben kämpfen muß, wenn auch nur um das politische.


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