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01.05.04 / Als man in Reuschenfeld noch zum Tanze lud / Erinnerungen an das ostpreußische Dorf, das heute verwahrlost und einsam auf der polnisch-russischen Grenze liegt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Mai 2004


Als man in Reuschenfeld noch zum Tanze lud
Erinnerungen an das ostpreußische Dorf, das heute verwahrlost und einsam auf der polnisch-russischen Grenze liegt

Vom 2. Mai bis 5. Mai 2004 findet im Hotel Waldfrieden in Kleingera im Vogtland das 10. Heimattreffen der Gemeinde Reuschenfeld statt. Das 10. Treffen soll Anlaß sein, die Gemeinde Reuschenfeld in Erinnerung zu rufen, die durch die Teilung unserer Heimat Ostpreußen auf die russisch-polnische Grenze geriet und dadurch geteilt wurde. Wie bei vielen tausend anderen Dörfern im russischen Gebiet wurde auch der größte Teil dieses Dorfes abgebrochen. Die Russen haben kein Haus stehenlassen.

Die Grenze befindet sich am Rand der geschlossen Ortschaft in Richtung Raudischken / Kreis Angerburg. Lediglich im Teilort Wilhelmssorge, der ebenfalls im russischen Gebiet liegt, sind vier Wohnhäuser und das ehemalige Herrenhaus (zuletzt Landjahrlager Hentschel) stehengeblieben. Hier wurde eine russische Grenzkaserne eingerichtet. In den Wohnhäusern wohnen die Offiziere und im ehemaligen Landjahrlager die Grenzsoldaten. Alle 35 bei der Aufsiedlung 1930/31 entstandenen Siedlungen (Höfe) sind verschwunden.

Die Grenzziehung durch den Ort kann man als kleinen Glücksfall bezeichnen, denn der heute polnische Teil des Dorfes ist bewohnt und die Wiesen werden bis an den Grenzzaun von den jetzigen Bewohnern als Viehweiden genutzt. Dieser kleinere Teil von Reuschenfeld - sechs Bauernhöfe und sieben Wohnhäuser - ist von den Polen der Nachbargemeinde Raudischken zugeschlagen worden. Reuschenfeld ist somit ausgelöscht.

Im heute polnischen Teil Reuschenfelds wurden zum Teil Ukrainer angesiedelt. Die Gebäude, die bis auf ein Haus 1973 noch in einem ziemlich schlechten Zustand waren, sind 2003 alle als gut instand gehalten zu bezeichnen.

Das schon 1973 neu angestrichene Haus mit reparierten Schornsteinen war von einer deutschstämmigen Familie bewohnt. Ausnahmen: Das Wohnhaus der Familie Bittner ist an einer Seite zusammengefallen und wurde abgebrochen. Ställe und Scheune sind weg, es gibt nur noch ein Blockhaus als Stall. Beim Bauernhof Gause sind der Stall und die Scheune nicht mehr vorhanden, dafür ist aber das Wohnhaus gut erneuert worden. Die Felder sind von anderen Bauern übernommen worden.

Die Bahnhofsgebäude, die im polnischen Teil standen, wurden abgebrochen, die Gleise abgebaut. Züge verkehren nur noch bis Angerburg und Gerdauen. Bei den Siedlungshäusern haben die heutigen Bewohner Ställe und Scheunen dazugebaut, sie haben alle einen kleinen Bauernhof.

Selbst die 1939 gebauten fünf kleinen Siedlungshäuser sind heute Höfe geworden. Ein Haus wurde das Wohnhaus und ein zweites Haus dient als Stall. Haus Nr. 5 wurde beim Einmarsch angesteckt und später abgetragen, und das Haus der Familie Franz Korsch wurde vergrößert.

Auf dem Bauernhof von Erich Warwel wohnt nur eine alleinstehende Frau, sie hat ihr Land an den Bruder verpachtet, der in Perlswalde einen Bauernhof hat.

Im polnischen Teil des Dorfes gibt es kein Brachland. Das Gut Waldhof wurde polnische Kolchose, die nach den Veränderungen in Polen Pleite machte. In Waldhof ist nur ein Vierfamilienhaus von der alten Bausub-stanz nicht mehr vorhanden. Die Polen haben für das Personal des vergrößerten Gutes zwei Mehrfamilienhäuser neu gebaut.

Beim letzten Besuch in Reuschenfeld im Juni 2003 sind keine größeren Veränderungen aufgefallen.

Die Gemeinde Reuschenfeld hatte vor der Flucht 720 Einwohner. Reuschenfeld war ein Dorf, in dem man gut leben konnte. Was man brauchte, gab es im Ort. Zwei Kolonialwarengeschäfte mit Gastwirtschaft - Kurt Warwel und Otto Possekel - dort gab es alles von Lebensmitteln bis zur Kuhkette, Spaten und Schlorren und Klumpen. Beide Gastwirtschaften hatten einen Saal, in denen die Tanzveranstaltungen immer gut besucht waren. Auch aus weiter entfernt liegenden Dörfern kamen die Tänzer.

Da eine Bäckerei fehlte, wurden Brot und Brötchen von Bäcker Tertel aus Nordenburg bezogen. Die Ware wurde vom Lehrling per Fahrrad angeliefert. Die Fleischerei Frenzel (Augustin) versorgte die Menschen mit Fleisch und Wurst. Für Lebensmittel war also gut gesorgt.

Für gute Kleidung sorgte Schneider Wermke und die letzten Jahre Schneider Kossina. Die Frauen wurden von Fräulein Kukuk benäht. Sie bildete junge Mädchen an der Nähmaschine aus. Die meiste Kleidung wurde von den Hausfrauen selbst genäht. Fürs Schuhwerk sorgte Schuhmacher Lallo.

Es gab die Tischlerei Reich, die auch ein Sägewerk betrieb und Strom lieferte. Leider ging der Generator im Krieg kaputt, und so mußten die Petroleumlampen wieder hervorgeholt werden. Angetrieben wurden alle Maschinen durch eine Windturbine, unser Wahrzeichen.

Nebenan war die Stellmacherei Kuckuck, auch mit Motorsägewerk; sie belieferte die Bauern nicht nur mit Rädern, sondern Meister Kuckuck stellte auch, nach gutem Zureden, die vielgeliebten Skier her.

Es gab natürlich auch eine Schmiede, damit die Pferde nicht barfuß laufen mußten. Daran angebaut war das Spritzenhaus, welches schon mal als Gefängnis dienen mußte. Der Feuerlöschteich neben dem Spritzenhaus war ein prima Eishockeyfeld, da er rechteckig angelegt war. Die Poststelle hatte die Familie Emil Klausien. Und dann gab es natürlich die zweiklassige Schule. Unser Lehrer Schiemann war zwar streng, aber es wurde auch etwas gelernt. Er hatte mit einigen Frauen eine Trachten-Tanzgruppe aufgebaut. Vorführungen in vielen Orten, ja selbst in Königsberg, wurden durchgeführt. Da Reuschenfeld Bahnstation war, (der Bahnhof lag etwa einen Kilometer außerhalb) und die Reichs-straße 131 durchs Dorf führte, war man auch schnell mal in Nordenburg, Gerdauen oder Angerburg.

Wichtig war die Bahnstation für die großen Güter der Umgebung, um die landwirtschaftlichen Erzeugnisse abzutransportieren, ebenso wurden die Remonten hier verladen.

Es gab 21 Landwirte im Dorf, die alle gut wirtschafteten. Die anderen männlichen Bewohner waren meistens unselbständige Handwerker - Zimmerleute, Maurer -, die in anderen Orten ihrer Arbeit nachgehen mußten. Manche fuhren bis nach Königsberg und kamen nur am Sonntag nach Hause.

Bürgermeister war Franz Hähling. Sein ausgebauter Hof lag hinter dem Kirchhof. Eine Kirche gab es im Dorf allerdings nicht. Wer zur Kirche wollte, mußte nach Nordenburg fahren. Heinz Possekel


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