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01.05.04 / Der Terror aus der Sicht der Täter / Neue Zeugnisse und Forschungsergebnisse zu Dresdens Untergang im Bombenterror

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Mai 2004


Der Terror aus der Sicht der Täter
Neue Zeugnisse und Forschungsergebnisse zu Dresdens Untergang im Bombenterror
von Alfred Schickel

Über keinen Luftangriff auf deutsche Städte wurde so viel geschrieben wie über jenen vom 13./14. Februar 1945 auf Dresden. Jedes Jahr gedenken die Dresdner dieses schrecklichen Ereignisses. Auch die Medien versuchen sich neuerdings ausführlicher an Erklärungen. Die immer wiederkehrende Deutung schmerzt am meisten. Sie stellt den Untergang Dresdens als "logische Folge des von den Deutschen begonnenen Luftkriegs" hin und verweist auf die 1940 eröffnete Luftschlacht um England. "Was Göring mit Coventry vorgemacht hat, ist ihm von Harris in Dresden heimgezahlt worden", lautet die kaltschnäuzig anmutende Bilanz professioneller Vergangenheitsbewältiger. Den Opfern wird solcher Sarkasmus nicht gerecht. Halten doch die Überlebenden den 13./14. Februar 1945 für furchtbarer als den Terroranschlag vom 11. September 2001. Und zwar sowohl im Hinblick auf das Ausmaß der Zerstörung als auch hinsichtlich der Zahl der Opfer. Obwohl letztere in den vergangenen 50 Jahren eine laufende Verringerung erfuhr und derzeit bei zirka 35.000 Toten steht.

Eine Herunterrechnung, die den Historiker verwundert und die Hinterbliebenen verbittert. Vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Meldung der Dresdner Ordnungspolizei vom 22. März 1945. Danach "wurden bis zum 20. März 1945 abends 202.040 Tote, überwiegend Frauen und Kinder, geborgen", und weiter heißt es: "Es ist damit zu rechnen, daß die Zahl auf 250.000 Tote ansteigen wird. Von den Toten konnten nur annähernd 30 Prozent identifiziert werden. Da ihr Abtransport nicht rasch vonstatten gehen konnte, wurden 68.650 Gefallene eingeäschert, die Asche auf einem Friedhof beigesetzt." Über die eigenen Verluste vermerkt der Bericht: "Die Ordnungspolizei Dresden (Schutzpolizei) hat 75 Tote und 276 Vermißte, die zum großen Teil zu den Toten gerechnet werden müssen, zu verzeichnen."

Angesichts dieser vom "Chef des Stabes und Oberst der Schutzpolizei" Grosse abgezeichneten Verlustliste erscheint es überlebenden Zeitzeugen unerfindlich, wie es zur Angabe von 35.000 Toten kommen konnte. Sie wissen von ihrer Heimatstadt, daß sie 1939 bereits über 630.000 Einwohner zählte und nach der eingesetzten Massenflucht der Ostdeutschen vor der Roten Armee zusätzlich Hunderttausende von Flüchtlingen aufgenommen hatte, galt doch das bis dahin von Luftangriffen verschonte "Elbflorenz" als sichere Zuflucht. Dies um so mehr, als sich in der Stadt kaum militärische Einrichtungen befanden und die vorhandenen alles andere als kriegswichtig waren. Die in Dresden stationierten Soldaten rekrutierten sich hauptsächlich aus Verwundeten und aus Angehörigen einiger Flakstützpunkte. Letztere glichen mit ihren jugendlich unerfahrenen "Flakhelfern" und ein paar alten "k.v." ("kriegsverwendungsfähig") geschriebenen Männern mehr einem "letzten Aufgebot" als einer ernstzunehmenden Flugabwehr. Man hielt bei der deutschen Führung den Respekt vor den Meisterwerken eines Canaletto und Pöppelmann, den weltberühmten Werken des Barock und nicht zuletzt die augenscheinliche Wehrlosigkeit der zahllosen Frauen und Kinder für Schutz genug. Man mochte nicht glauben, daß kurz vor Kriegsende noch der Dresdner "Zwinger", das "Grüne Gewölbe" oder die Frauenkirche Ziele eines Bombenangriffs werden könnten. Wie aus einem bislang unausgewerteten Zeitzeugenbericht hervorgeht, teilten auch die 1945 gegen Dresden eingesetzten Piloten der "Royal Air Force" diese Annahme. Ihr Sanitätsoffizier Dr. Harry O'Flanagan notierte über die Reaktion der Bomberbesatzungen auf das ihnen am Abend des 13. Februar 1945 bekanntgegebene Angriffsziel Dresden: "Dresden. Das bedeutete einen langen Flug über Deutschland, der die Bomber nahe an die äußerste Grenze ihrer Navigationshilfen bringen dürfte. Der Rückflug über deutsches Gebiet würde den (deutschen) Nachtjägern jede Gelegenheit zur Vergeltung gestatten. Noch mehr aber waren die Männer deswegen erstaunt, weil Dresden allgemein nicht als Ziel bekanntermaßen militärischer Bedeutung betrachtet wurde."

Daß die Stadt der Zuflucht zum Angriffsziel bestimmt wurde und im Feuersturm des 13. auf den 14. Februar 1945 unterging, lastet die Nachwelt dem Oberkommandierenden des britischen Bomberkommandos, Arthur "Bomber"-Harris, an. Er soll für den tausendfachen Bombentod der Dresdner und der Ostflüchtlinge verantwortlich sein und damit in der Nähe von Kriegsverbrechern stehen. Zeitzeuge O'Flanagan versichert dagegen, daß diese Schuldzuweisung ungerecht und Harris von der Benennung Dresdens als Angriffsziel überrascht worden sei. Er habe deswegen das Luftfahrtministerium ausdrücklich um Bestätigung des Befehls gebeten und erfahren, daß man dort "nur Anweisungen weitergebe, die man von den für die höhere Kriegsführung Verantwortlichen erhalten habe". "Das Bomberkommando", so Dr. O'Flanagan, "hatte Dresden nie als Ziel vorgesehen."

Als Beweis führt er an, "daß die gebräuchlichen Zielkarten, wie sie für alle zu erwartenden Einsätze vorbereitet wurden, nicht zur Verfügung standen". Welchen Rang die "für die höhere Kriegsführung Verantwortlichen" bei den Westalliierten hatten, deutet ein persönliches "Memorandum" US-Präsident Roosevelts "für Marschall Stalin" vom 8. Februar 1945 an. Darin ist von der "erbarmungslosen Luftkriegsführung gegen Deutschland" und den "Möglichkeiten für ähnliche Angriffe von Basen auf dem von den Sowjets kontrollierten Territorium aus" die Rede. Und das wenige Tage vor dem verheerenden Angriff auf Dresden, an dem sich neben britischen auch US-amerikanische Flugzeuge beteiligten. Deren offizielle Kriegschronologie bringt über den Angriff auf Dresden nur den trockenen Hinweis, daß es am "14. Februar einen Angriff der 8. Luftflotte mit annähernd 1.300 schweren Bombern auf Dresden, Chemnitz, Magdeburg und Hof" gegeben habe, bei welchem "zahlreiche Ziele getroffen und 20 (deutsche) Jagdflugzeuge zerstört worden" seien.

Der britische Zeitzeuge O'Flanagan liefert dagegen in seinen Aufzeichnungen aufschlußreiche Einblicke in die Psyche der eingesetzten Piloten. Etwa bei der Schilderung der Startvorbereitungen am Abend des 13. Februar 1945 mit der abschließenden Einweisung in das Zielgebiet Dresden: "Es herrschte Überraschung, und es fielen nicht wenige Bemerkungen bei den Besatzungen, als das Ziel angekündigt wurde." Nach seinem Zeugnis war - zumindest den Männern auf dem von ihm betreuten Luftstützpunkt Kirmington - bekannt, daß "Dresden die einzige Stadt mit unbeschädigten Häusern war, in denen die Massen, die seit dem Zusammenbruch der russischen Front im Osten nach Westen strömten und Zuflucht vor der Winterkälte suchten, unterkommen konnten". Das heißt, "man rechnete damit, daß sie bis oben hin vollgepackt war" und der "Einsatz in jener Nacht den Zweck hatte, die Stadt und ihre Bevölkerung zu vernichten", wie sich der Zeitzeuge wörtlich ausdrückt.

Im Gegensatz zu heute noch gebotenen Darstellungen über Bomberangriffe auf deutsche Städte gab es damals (am 13. Februar 1945) "keine der üblichen schönfärberischen Reden davon, daß das Ziel etwa ein Zentrum der Rüstungsproduktion oder von Eisenbahninstandsetzungswerken sei". Statt einer Rechtfertigung des befohlenen Angriffs als "Vergeltung für Coventry", wie es Nachgeborene häufig versuchen, hörten die Bomberpiloten auf dem Fliegerhorst vom diensthabenden Nachrichtenoffizier nur die "sehr grobe Feststellung", daß sie "in die Air Force eingetreten" seien, "um Deutsche zu töten", und "genau das" würden "sie heute nacht tun". Und so wurden die Stunden vom 13. auf den 14. Februar 1945 "die Nacht des Gemetzels an Zivilisten", wie der englische Gewährsmann überliefert. Er läßt es aber nicht bei diesem ehrlichen Geständnis bewenden, sondern beschreibt noch die Gemütsverfassung der vom Angriff zurückgekehrten Besatzungen. Er nennt ihre Stimmung "gedrückt" und notiert: "Auf dem langen Heimflug brach sich die Erkenntnis dessen, was Dresden angetan worden war, bei den Besatzungen durch die Erschöpfung hindurch Bahn. Die Worte des Einweisungsoffiziers über das Angriffsziel wurden allzu real und verschwanden dann hinter einem Schleier von Abscheu und Ekel." Die beteiligten kanadischen und australischen Piloten brachten die allgemeine Empfindung ihrer Kameraden zum Ausdruck: "Verlangt bloß nicht von uns, noch mal so etwas mitzumachen!" Ein fast flehentlicher Wunsch von Männern, denen die vom Bombenkrieg am Boden Betroffenen eher Rücksichtslosigkeit, Gefühlskälte oder gar Heimtücke unterstellten als solche menschliche Regung zutrauten.

Dr. Harry O'Flanagan, der im übrigen von den Piloten ausdrücklich bestätigt bekam, daß die deutsche Luftabwehr "nicht wesentlich" war, nennt drei mögliche, in seinem Bekanntenkreis damals diskutierte Gründe, war-um man Dresden als Ziel gewählt habe. Zum ersten die Erwartung, "die deutsche Moral zu brechen und auf einen Schlag eine deutsche Kapitulation herbeizuführen, wie es fünf Monate später der Abwurf der Atombombe in Japan erreicht hat". Die erst ein Vierteljahr "nach Dresden" erfolgte deutsche Kapitulation erwies diese Hoffnung freilich als falsch. Zum zweiten hätte der Angriff auf Dresden Ausdruck der Furcht der Alliierten gewesen sein können, daß die Deutschen kurz vor der Fertigstellung der Atombombe standen und 1945 noch in der Lage gewesen wären, "den Ausgang des Krieges umzukehren". Wie man bei Kriegsende erfuhr, war auch diese Annahme unberechtigt. Statt einer Atombombe hatte Hitler "Flug-Bomben" als "V 1" und "V 2" entwickeln und auf England abfeuern lassen. Zum dritten wäre denkbar gewesen, daß die Anglo-Amerikaner ihren Luftschlag gegen Dresden "als Vorführung ihrer Luftmacht gegenüber den Russen auf deren Türschwelle ausgeführt haben". Immerhin stand die Rote Armee Mitte Februar 1945 nicht weit von Dresden entfernt und hätte die Stadt auch bombardieren können. Bleibt offen, ob sich Moskau durch den Angriff auf Dresden beeindruckt (provoziert?) oder in seinem Endkampf gegen Deutschland unterstützt fühlen sollte.

Den britischen Piloten wurden nach dem Zeugnis Dr. O'Flanagans auffällige Instruktionen mit auf den Flug gegeben. Sie sollten "alles unternehmen, um zu ihren Basen in England zurück-zukehren, und unter allen Umständen den Versuch vermeiden, hinter der russischen Front zu landen oder auszusteigen". Wie sich auch Stalin durch das erwähnte "Memorandum" Präsident Roosevelts vom 8. Februar 1945 nicht zu einer Landeerlaubnis für westalliierte Bomber herabließ. Seine Propagandisten schlachteten die Weigerung später als "Zeichen gegen den inhumanen kapitalistischen Bombenterror" aus - um vom Massentod der Flüchtlinge auf der "Wilhelm Gustloff" abzulenken; denn diese Schiffstragödie ging auf den Angriff eines sowjetischen U-Bootes zurück. Das menschliche Gedächtnis behielt auffälligerweise beide Katastrophen jahrzehntelang in Erinnerung.

Die Geschichtsschreibung bemüht sich fast ebenso lange um die Einordnung beider Tragödien. Allerdings oft voreingenommen und beeinflußt vom Zeitgeist. Die Aufzählungsmethode, nach welcher "Dresden" "Coventry" gefolgt und "die Gustloff" die Antwort auf das zerschossene Leningrad gewesen sei, zeigt eine Aufrechnung, die sonst als verwerflich gilt, im Falle Dresdens freilich auch sachlich deplaziert ist. Die sächsische Hauptstadt war kein Standort für Rüstungsindustrie wie Coventry, wo sich das Zentrum der britischen Flugmotorenproduktion befand. Dieser galt der deutsche Luftangriff in der Nacht vom November 1940. Da die Betriebe teils in der Innenstadt massiert waren und sich unweit der Bischofskathedrale St. Michaelis und von Wohnhäusern befanden, waren auch diese betroffen. Das traurige Ergebnis waren 568 Tote und 863 Verletzte. Der Nachwelt wurde eine gefilmte Massenbeerdigung und die Konservierung der Kirchen-ruine als Symbol der Skrupellosigkeit deutscher Luftkriegsführung vermittelt. Ein Redakteur der britischen Zeitung Evening Standard erfand dazu den Ausdruck "Coventrating" ("Koventrierung"), der sich bis heute für Städtebombardements erhalten hat. Der ursprünglichen deutschen Luftkriegsstrategie entsprach dies nicht. Für die deutsche Reichsregierung ein Grund, der britischen Regierung bereits am 31. März 1936 ein "Abkommen zur Vermeidung eines strategischen Luftkriegs" vorzuschlagen. London lehnte ab. Am 10. Mai 1942 ging Premierminister Churchill noch weiter und ließ "alle deutschen Städte, in denen sich Rüstungsfabriken der deutschen Kriegsmaschine befinden, öffentlich zum Kriegsgebiet" erklären. In einem Flugblatt forderte er "die deutsche Zivilbevölkerung auf, diese Städte zu verlassen". Ein Appell, der nach Meinung eines amerikanischen Historikers "mehr zu den Waffen psychologischer Kriegsführung gehörte, als ein Zeichen christlicher Feindesliebe war".

Daß es mit der Rücksicht auf das Christentum in jenen Jahren nicht allzuweit her war, erfüllte bekanntlich auch Papst Pius XII. mit großer Sorge und veranlaßte ihn wiederholt zu Interventionen bei den Kriegsparteien. Die noch weitgehend unbeachtet gebliebenen "Myron-C-Taylor-Papers" liefern dafür eindrucksvolle Beispiele. Sie werden gerade in der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt ausgewertet und demnächst der Fachwelt vorgestellt.

Breite Öffentlichkeit fand dagegen 1944 die Zerstörung des Benediktiner-Klosters auf dem Monte Cassino durch die Anglo-Amerikaner. Selbst Kirchenvertreter der Alliierten zeigten "Verständnis für die Bombardierung des Klosters durch unsere Jungens", wie der Bischof von Baltimore. Als einziger aller angelsächsischen Kirchenführer hatte der Bischof von Chichester, Lord Bell, die Bombardierung nicht gutgeheißen. Ihm gab der Sprecher des Oberhauses, Lord Cranborne, die inhaltsschwere Antwort: "Ich kann dem Bischof nicht die Hoffnung machen, daß wir unsere Bombardierungspolitik umstoßen werden." Hunderttausende Dresdner hegten offensichtlich für sich und ihre Stadt diese Hoffnung - und wurden vor 59 Jahren eines anderen belehrt. Übrigens: genau ein Jahr nach dem Untergang des Klosters auf dem Monte Cassino.

Dresden: Nach dem anglo-amerikanischen Bombardement 1945 Foto: Archiv


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