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01.05.04 / Alberne, der Welt entrückte Heilslehre / Naivling versucht zu belegen, daß jeder stets und ständig seines eigenen Glückes Schmied sei

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Mai 2004


Alberne, der Welt entrückte Heilslehre
Naivling versucht zu belegen, daß jeder stets und ständig seines eigenen Glückes Schmied sei

Koffer packen, öde Alltagssorgen, langweilige Partner, die ungeliebte Arbeit wie Straßenstaub abschütteln, mal eben nach Mauritius jetten und Geld als Segel- oder Tauchlehrer verdienen! Geht nicht, sagen Sie? Dann sollten Sie schleunigst das Buch des - laut Klappentext - "renommierten Philosophen" Reinhard Sprenger zur Hand nehmen. Der weiß nämlich, wie Sie Ihr gesamtes Leben flugs umkrempeln können. Man muß es nur konsequent genug wollen! Denn Glück, belehrt uns der Autor, verdanken wir allein dem "entschiedenen Handeln". Warum nur ist mir diese Idee nicht schon längst gekommen?

Der "Ballast", unter dem viele stöhnen, Job, Familie, Haus und zahllose andere Verpflichtungen, sei das Resultat von "Wahlent- scheidungen" und könne somit jederzeit wieder "abgewählt" werden. Wer sagt: "Ich kann nicht", der will nicht. Darauf zu verweisen, daß man Familie habe oder Geld verdienen müsse, tadelt Sprenger unerbittlich. Solche Zeitgenossen schätzen Wohlstand und soziale Stabilität höher ein als alternative Lebensentwürfe. Sie leiden an "Verfettung der Herzen und der Bankkonten" und hätten somit keinen Grund, ständig zu winseln. Rigoros vertritt Sprenger die These, daß jeder die Situation, in der er lebe, zu verantworten habe. Sogar das Problem der Massenarbeitslosigkeit weiß Sprenger verblüffend simpel zu lösen. Der Arbeitslose solle keine Hilfe erwarten, die von außen komme, sondern nur eigener Kraft trauen. Irgendwo wartet immer ein Job. Man muß nur richtig wollen, denn das "Glück folgt der Entschiedenheit". Fundamentale Abhängigkeiten des Menschen von Herkunft, Ausbildungschancen, Markt- und Berufsstrukturen, politischen und sozialen Bedingungen: alles Humbug, den Leute beschwören, die ihre Bequemlichkeit verbergen. Willst du eine Million scheffeln, dann rede nicht, sondern tu es! "Tun Sie irgend etwas, und wenn Sie sich hinterher besser fühlen, prima! Wenn nicht, probieren Sie etwas anderes aus!" Klatsch dreimal in die Hände, und du fühlst dich tipptopp!

Seine drollige, der Welt entrückte kalifornische Heilslehre stellt Sprenger letztlich selbst in Frage. Daß der Mensch oft nur die Wahl zwischen Scylla und Charybdis hat, dämmert bisweilen sogar ihm. Und oft bedeutet die radikale Veränderung des Lebens keinen Zuwachs an "Glück", sondern Flucht, die nichts bessert. Manches, was in diesem Buch steht, trifft ins Schwarze, etwa die These, daß menschliches Leid Kräfte mobilisiert, wenn es gelingt, die Krise zu überwinden. Zieh dich aus dem Sumpf wie Münchhausen!

Der windige Unternehmensberater Sprenger bekennt sich zu "anglo-amerikanischen Denktraditionen" und glaubt, daß Demokratie und Gemeinwohl die Selbstbestimmung des Individuums gefährden, empfiehlt aber gleichzeitig, ohne den Widerspruch zu bemerken, Erwartungen und Diktate des Marktes zu akzeptieren. Erst Demokratie und soziale Gerechtigkeit sichern individuelle Freiheit. Die Kehrseite des amerikanischen Pragmatismus ist die Oberflächlichkeit, und genau davon legt dieses Buch ein beredtes Zeugnis ab.

Rolf Helfert

Reinhard K. Sprenger: "Die Entscheidung liegt bei Dir! Wege aus der alltäglichen Unzufriedenheit", Campus Verlag, Frankfurt 2004, 230 Seiten, 19,90 Euro


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