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Preußische Allgemeine Zeitung / 08. Mai 2004
Mitten aus dem Berliner Jammertal, Friedrichstraße 107, ragt ein Leuchtturm des Erfolgs und Optimismus hervor. Europas größtes Varieté, der Friedrichstadtpalast, hat sich über Mauerfall und Vereinigung hinweg nicht bloß behauptet, sondern sich entwickelt und unverzichtbar gemacht. Es handelt sich um eine der ganz wenigen Berliner Erfolgsgeschichten nach 1989, die aus eigener Kraft geschrieben wurden: in freier Konkurrenz und ohne staatliche Zuschüsse! Der Friedrichstadtpalast trägt seinen Namen seit 1947. Damals befand er sich vom heutigen Standort einige hundert Meter entfernt im ehemaligen Zirkus Renz, einer vom Architekten Max Poelzig umgebauten Markthalle. Dort gab es Platz für 3.000 Zuschauer. Das Haus hatte in der DDR eine geradezu magische Bedeutung. Die SED-Führung hatte begriffen, daß man den Untertanen nicht bloß mit Versammlungen und Massenaufmärschen beikommen konnte, man mußte ihnen auch Unterhaltung bieten. Unterhaltung hatte eine politische Funktion und bedeutete deshalb nicht einfach harmlose Zerstreuung, sie wurde zur "Unterhaltungskunst" aufgewertet, für die es ein staatliches Komitee mit einer Präsidentin an der Spitze gab. Auch die regierenden Kommunisten liebten an der Kultur das Seichte. Die Vorliebe des Stasi-Ministers Erich Mielke für den Westschlager war legendär. Im Mittelpunkt der Unterhaltungskunst der DDR aber stand der Friedrichstadtpalast. Aus seinem riesigen Veranstaltungssaal wurde seit den frühen 70er Jahren die Revue "Ein Kessel Buntes" - das Pendant zu "Wetten daß ...?" und mindestens genauso populär - landesweit im Fernsehen übertragen. Hier trat alles auf, was in der DDR Rang und Namen hatte: Dagmar Frederic, die Pudhys, Frank Schöbel und Karat. Doch auch der Klassenfeind war opulent vertreten und verlor seinen feindlichen Charakter. Rex Gildo feierte seine "Fiesta Mexicana", bei Katja Ebstein geschahen an jedem neu erwachten Tag immer neue Wunder, Roland Kaiser ließ sich ein letztes und noch ein allerletztes Mal lieben und liebte selber. Der deutsche Schlager verweigerte sich dem Zugriff der Politik. Deshalb hatte er keine Wiedervereinigung nötig, Mauer und Stacheldraht konnten ihm nie etwas anhaben. 1980 wurde der alte Palast baupolizeilich gesperrt. Durch den Hochhausneubau für die Berliner Charité hatte sich der Grundwasserspiegel so stark abgesenkt, daß die Holzpfähle, auf denen der alte Zirkus Renz ruhte, zu faulen begannen. Am 27. April 1984 wurde an der Friedrichstraße ein neuer Palast eingeweiht. Äußerlich konnte er seine Herkunft aus dem Geist der DDR-Platte nicht verleugnen. Aufgehübscht wurde die Fassade durch orientalisierende Schmuckelemente, die aus eingelegten farbigen Glasprismen bestanden. Draußen grauer Beton mit Glastinnef, drinnen Tingeltangel - das war von der sozialistischen Utopie am Ende der DDR übriggeblieben. Gerade diese Mischung aber erwies sich als systemübergreifend, zumal das Innere des Hauses nichts zu wünschen übrig läßt. Die jetzt 1.900 Plätze sind ähnlich wie in einem Amphitheater angeordnet und erlauben aus jeder Perspektive eine gute Sicht auf die riesige, mit allen technischen Finessen ausgestattete Bühne. Sogar eine Eisfläche und ein Wasserbecken können per Hydraulik aus der Versenkung geholt werden. Die Sessel sind bequem, die Belüftung diskret und effektiv, und das Haus ist heute wie damals fast immer ausverkauft. Die Eröffnung vor genau 20 Jahren am 27. April 1984 war ein Staatsereignis, das im DDR-Fernsehen live übertragen wurde. Die gesamte SED-Führung mit Erich Honecker an der Spitze war anwesend. Die Eröffnungsgala wurde von O. F. Weidling moderiert, der DDR-Antwort auf Dieter-Thomas Heck, nur daß Weidling geistvoller und ironischer war. Er befand sich an diesem Tag in Hochstimmung, die ihn vergessen ließ, in welcher Gesellschaft er sich befand. Den Unterschied zwischen dem Skisprung-Olympiasieger Jens Weißflog und der DDR-Wirtschaft erläuterte er so: Beide machten große Sprünge, aber nur Weißflog würde sicher landen. Er machte sich über die DDR-Polizisten lustig, die auf den Transitautobahnen hinter den Büschen lauerten und westdeutsche Autofahrer abzockten. Da habe sich eine neue Erwerbsquelle aufgetan! Das Politbüro blickte finster, am finstersten aber schaute der für Wirtschaftsfragen zuständige Günter Mittag drein. Als seine Miene sich kurzzeitig aufhellte, lästerte Weidling: "Jetzt hat Herr Mittag erstmals das Gesicht verzogen. Mir fällt ein Stein vom Herzen!" Als die Gala am nächsten Tag im Fernsehen wiederholt wurde, war die Moderation komplett herausgeschnitten. Weidling verlor seine Arbeit und starb kurz darauf. In der Jubiläumsshow am 27. April - Stargast: Nina Hagen - erzählte der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière, wie er Bundeskanzler Kohl veranlaßte, sich für einen Kredit an das Haus stark zu machen, den das Haus brauche, um die wirre Zeit der Währungsumstellung zu überbrücken. Das kulturelle Herz Berlins sei in Gefahr, beschwor er ihn und packte damit an der richtigen Stelle, bei seinem Sinn für "Gechichte".
Der Friedrichstadtpalast - deutsche Geschichte hinter Tinnef und Beton: Die Eröffnung 1984 geriet zur politischen Provokation fürs Politbüro und endete im Rauswurf von Moderator O. F. Weidling Foto: Friedrichstadtpalast |