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08.05.04 / Im Labyrinth der Dunkelmänner / Wie der Zuwachs bei den Straftaten gesundinterpretiert wird

© Preußische Allgemeine Zeitung / 08. Mai 2004


Im Labyrinth der Dunkelmänner
Wie der Zuwachs bei den Straftaten gesundinterpretiert wird
von Sverre Gutschmidt

Die amtliche Kriminalitätsstatistik 2003 liegt vor. Bundesinnenminister Otto Schily zog am 3. Mai offiziell ein positive Bilanz. Deutschland ist also sicher, ob die Deutschen es glauben wollen oder nicht. Doch so rosig, wie die rot-grüne Regierung und ihre statistischen Interpretatoren sie sehen, ist die Lage bei den Verbrechen nicht.

Das dritte Jahr in Folge steigt die Zahl der Straftaten. Deutschlandweit wurde 2003 ein Prozent mehr Verbrechen polizeilich registriert als im Vorjahr. Auch die Zahl der Tatverdächtigen nimmt um 1,2 Prozent zu, Vergewaltigungen um 1,8 Prozent. Scheinbar wenig, doch in Teilbereichen sind die Zuwachsraten zweistellig. Besonders Betrugs-, Drogen- und Gewaltstraftaten häufen sich deutlich. In den Großstädten ist der Anstieg der Delikte dramatisch klar erkennbar. Bei schwerer und gefährlicher Körperverletzung werden neue Negativrekorde erreicht. Speziell der Betrug mit Kredit- und Scheckkarten ohne PIN explodierte regelrecht um 60 Prozent, ein Bereich, wie viele andere Wachstumsbereiche, in dem jeder betroffen sein könnte.

Um so ungewöhnlicher klingt angesichts dieser tatsächlich negativen Bilanz folgende Aussage: "Die Zahl der Straftaten ist in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren nicht gestiegen." Mit dieser Behauptung, die dem Sicherheitsgefühl vieler Bürger so gar nicht entsprechen will, überraschte der frühere niedersächsische Justizminister Professor Christian Pfeiffer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Öffentlichkeit. Er erforschte in einer "repräsentativen" Umfrage unter 2.000 Deutschen die Meinung der Bevölkerung zur Kriminalitätsentwicklung. Das Ergebnis: Nur etwa zehn Prozent der Befragten, so Pfeiffer, würden den "wahren", also einen geringen Anstieg der Verbrechen in Deutschland vermuten. Eine Untersuchung wert wäre, mit welcher Umfrageanordnung Pfeiffer arbeitete, um der Bevölkerung diese "Diskrepanz zwischen der von der Polizei dokumentierten Entwicklung und der Vorstellungswelt der Bürger" vorzuwerfen.

Das durchaus renommierte Institut TNS Infratest führte im Auftrag von Pfeiffers Kriminologischem Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) den Auftrag aus. Vorgelegt worden seien den Befragten Kriminalitätszahlen von 1993, basierend auf Daten des Bundeskriminalamtes. Sie sollten dann raten, wie sehr die Kriminalität seither zugenommen habe. Daß der eigentliche Anstieg gerade in den Städten zwischen den 60er und 70er Jahren stattfand, der Kriminalitätssockel also hoch ist, interessiert Pfeiffer schon mal nicht.

Tatsächlich sind im vergangenen Jahr 6,6 Millionen Straftaten verübt worden, seit 2001 in sichtbar wachsender Tendenz. Pfeiffer attestiert hingegen, die Zahlen würden seit Anfang der 90er beständig sinken. Daß die offiziellen Statistiken trügerisch sind und sich ein weiter Interpretationsspielraum ergibt, nutzt

der Kriminologe offenbar aus. Manches geht nämlich nicht in die offizielle Bilanz ein, so die vom Staatsschutz untersuchten Fälle - also auch der Rechtsextremismus. Auf diese und andere Tücken der Statistik geht er lieber nicht ein. Grundsätzlich scheint Pfeiffers Institut eine gute Adresse für plangemäße Sinkflüge in unangenehmen Statistiken zu sein. Eine andere Studie des KFN zur "Gewalt gegen Polizeibeamte und Beamtinnen" weist unter deutlichem Hinweis auf einen "außerordentlich hohen Wert 2000" darauf hin, daß es ähnlich hohe Zahlen auch zu Beginn der 90er Jahre gegeben habe, das Ergebnis jener Studie also auch gegenwärtig gelte. Ein Ergebnis, wohlgemerkt, das die Kriminalität gegen Polizisten als rückläufig betrachtet - ähnlich der Gesamtkriminalität.

Bei dieser Untersuchung wie bei der zur Gesamtlage hätte der Professor lieber auch Polizisten befragen sollen. Die hätten ihm sagen können, welche und wie viele Personen sie verhaften: Sie könnten aus erster Hand von einem wahren Anstieg berichten, gerade der ausländischen Verdächtigen. Mit ihnen hatte Pfeiffer schon 1999 Probleme, so sehr, daß er angesichts damals kaum zu leugnender Zahlen über junge delinquente männliche Südländer und deren Beitrag zur Kriminalitätsstatistik seine bisherige ideologische Marschroute zwangsweise verlassen mußte - und prompt bei der Linken in Ungnade fiel, die Tageszeitung taz berichtete.

Doch jetzt scheint er wieder auf Kurs zu sein: Selbst von der offiziellen Statistik sei der Bürger unbeeindruckt, so Pfeiffer entrüstet im März. Es gebe weniger Delikte, der Alterungsprozeß der Gesellschaft habe dazu beigetragen: Vergreisung ist also gut für Deutschland, interpretiert er. Selbst bei Betrugs- (insgesamt 11,1 Prozent Zunahme) und Körperverletzungsdelikten, ein Wachstumsfeld das nicht zu vertuschen ist, irre sich der Bürger. Beide Tatbestände seien seit 1993 "um etwa die Hälfte angestiegen", ärgert er sich. Der Tatsache, daß der Ausländeranteil an den vom BKA erfaßten Straftaten sichtbar höher ist, als ihr prozentualer Anteil an der Bevölkerung, trägt Pfeiffer keine Rechnung. Er erwähnt zwar den hohen Ausgangswert bei Straftaten von 26,7 Prozent für 1993, behauptet aber, er habe abgenommen. Eine

Diskussion über Ursachen und mögliche integrative oder strafrechtliche Gegenmaßnahmen möchte er nicht einmal ansatzweise wagen. Die Bürger, die einen Anstieg des Verbrechens vermuten, sind nach Pfeiffer das wahre Problem, wenn es denn eines gibt. Für ihn sind sie alle dumm, doch so ungeschickt argumentiert er nicht. Er nennt die Schuldigen so: "Der Trend zur Dramatisierung des Kriminalitätsgeschehens ist besonders ausgeprägt, seit die öffentlichen und privaten Fernsehanbieter um die Gunst der Zuschauer rivalisieren." Wie beispielsweise die hohe Jugendkriminalität zu erklären ist, blendet der Hannoveraner Wissenschaftler aus. Dabei sollte er sich gerade dort auskennen, immerhin promovierte er "summa cum laude" zum Thema "Kriminalprävention im Jugendgerichtsverfahren". Auch dem Trend zu konsequenteren Strafen soll seiner Auffassung nach generell entgegengewirkt werden: "Angesichts der knappen Haushaltsressourcen muß hier die Frage gestellt werden, ob es wirklich richtig ist, daß wir der Verschärfung unseres Strafrechts eine derart hohe Priorität einräumen."

Wessen Geistes Kind er ist, zeigt der Professor nicht zuletzt auch bei seinen Forschungsinteressen: "Strafzumessung - regionale Unterschiede sozialer Kontrolle" begeistert ihn besonders, sprich, warum in einigen Bundesländern konsequentere Urteile gefällt werden. Auch der Täter-Opfer-Ausgleich liegt ihm am Herzen, denn der könnte helfen, die Statistik zu heilen - klar: wo kein Kläger, da kein Richter und somit keine Straftat. Ein Schuft, wer Schlechtes dabei denkt. Sehr aufschlußreich für Pfeiffers politische Sozialisation ist sein Aufsatz "Gefährdet die Dominanz der Männer das Überleben der Menschheit?", und schon 1996 fragte er "Steigt die Kriminalität wirklich?" - schön, wenn ihm auch diesmal wieder das Gegenteil herbeizuinterpretieren gelungen ist, sicher ganz im Sinne von Rot-Grün. Als Wissenschaftler sollte sich der kriminologische Deutungskünstler in Zukunft den Leitspruch aller Statistiker zu eigen machen: "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast." Beim Bürger hingegen käme die Wahrheit sicher am besten an.


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