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08.05.04 / Otto und die Prachermarjell

© Preußische Allgemeine Zeitung / 08. Mai 2004


Otto und die Prachermarjell
von Eva Pultke-Sradnick

Von Zeit zu Zeit packte Grigulls Hella ihre große bestickte Reisetasche, pranzelte bei Vaterchen und Muttchen so lange rum, bis sie wieder die Verwandtschaft besuchen durfte. Wie Feuer brannte es ihr unter den Fußsohlen. So auch jetzt wieder. Vaterchen gnurrte zwar mächtig, aber er konnte seiner krätschen Marjell doch keinen Wunsch abschlagen, zumal er wußte, daß in der Küche schon alles abgesprochen war. Na ja, war ja hier auch nicht viel los auf dem abseits gelegenen Hof. Aber letztendlich mußte es auch hier auf dem Hof passen, jeder hatte ja seine Aufgaben zu erfüllen.

So fuhr Hella unter wehmütigem Winken der Eltern und des Gesindes im Einspänner nach Klingendorf zu Vaters Schwester. Selbst Otto, ihr Bruder, kam noch schnell mit der Forke über der Schulter aus dem Stall gerannt. "Grüß mir die Freiheit", rief er ihr lachend nach - und: "Nach dem Pferdemarkt nehm' ich dich wieder mit zurück."

Bei ihrer Tante, Vaters einziger Schwester, ging es ganz anders zu. Da wirbelten vier Kinder zwischen zwölf und zwanzig über Hecken und Zäune, halfen im Stall, auf der Weide, am See und hatten doch noch so viel Freizeit, um ihren eigenen Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen. Da war Besuch auch immer eine willkommene Abwechslung. Hella war ein recht luchternes Mädchen, und so fand sie dort mit ihrer Cousine Lea jede Menge Zeitvertreib. Natürlich mußte sie auch im Haushalt und im Garten helfen, so war das nicht, aber die Tante ließ auch Nachsicht walten, die Jugend war so kurz.

Hella freute sich schon auf den Schrumm im Dorfkrug. Sie verstand es, den Jungens schöne Augen zu machen, und wenn es einer ernst meinte, nahm sie Reißaus und spottete, daß alles nicht so gemeint war. Lachend schlug sie die Warnungen ihrer Mutter, daß sie noch mal hucken bleiben würde, in den Wind. Mädchen sollten nicht zu lange warten und allzu wählerisch sein, meinte sie.

Der Stab über ein Mädchen war schnell gebrochen, und so hatte sich die Mutter auch schon mit Rosine Waldhoff in Verbindung gesetzt. Sie kannte alle Höfe landauf und landab und wußte, wer zu wem passen konnte. Rosine selbst hatte keinen Mann abbekommen, und so genoß sie das Glück ihrer alternden Tage.

Natürlich war Hella nicht Mutters einzige Sorge. Da war ja noch der Sohn, einziger Hoferbe. Er war ein tüchtiger Bauer, aber er lebte genau so froh in den Tag wie Hella, wußte aber Arbeit und Vergnügen zu trennen. Doch im Gegensatz zu den Mädchen sollte ein Bursche seine Jugend genießen. Man nannte ihn auch den flotten Otto, was ihm schmeichelte. Hella aber widersetzte sich der Kuppelei. Sie fand an jedem Mann etwas auszusetzen. "Öck bruk keinem Bridgam, wo hinder jeder Schörz herrennt, on dem August vom Proffsche Hoff, dem könn ju mi noch mött Zocker bestreit serveere. Utgereeknet dem mött siene Ohre wie Flinse on Händ wie Patschemmerdeckel, da schuddert mi. Oawer dem Schorsch Wittlau, dem nehm öck ok nich, dem kann söck siene Mudder önsollte loate."

Hella war natürlich so obsternatsch, weil sie schon längst einen anderen im Visier hatte. Bisher wußte noch niemand was davon, nicht einmal Johannes Mielke, des Lehrers Sohn. Er war nämlich der Auserkorene. Er war ein gut aussehender junger Mann, studierte in der Stadt, war nur ein bißchen schüchtern, hatte aber sonst Herz, Mund und angeborene Bescheidenheit auf dem rechten Fleck. Natürlich war ihm die lustige Hella schon aufgefallen, aber es mußte ja nicht gleich sein.

Auch dieses waren Gründe gewesen, um nach Klingendorf zu reisen. Man fuhr in Ostpreußen nicht - man reiste, und wenn es nur 20 Kilometer waren. Dort war immer etwas los, und Hella wurde nicht so überwacht wie bei der Mutter. Die Tante hatte genug mit den anderen Kindern zu tun. Hellas Mutter sehnte sich nicht gerade nach einer Schwiegertochter, aber der Hof sollte doch mal Erben haben, und sie wollte noch die Enkel aufwachsen sehen. So hatte sie auch Hella beauftragt, ja nach einer Braut für Otto zu suchen, es könnte ja mal eine drunter sein.

Doch auch Otto hatte bereits seine Netze selbst ausgeworfen und sein Fischlein gefangen. Er ließ sich nur noch ein bißchen Zeit, weil er meinte: "War de Wiewer erscht weete, weet boald dat ganze Dörp." Seine Liebste war ein bildhübsches Mädchen mit Grübchen in den Wangen und braunen Augen. Sie hatte kruselige Haare, feine Hände, die aber doch zuzupacken verstanden. Sie würde einen schweren Stand haben. Dazu kam, daß sie keine Bauerntochter war. Ihre Aussteuer stand der anderer in nichts nach, aber ihre Eltern waren arm. Der Grigullsche Hof hatte eine Mitgift nicht nötig, und jetzt bewahrheitete sich das, was Ottos Mutter immer laut erzählt hatte. "Dat nämlich ähr Jung so e grote Utstier kriege würd, dat he ok e Prachermarie heirode kunn." Aber so dumm wird er ja nicht sein, sprach sie im gleichen Atemzug. Man mußte ja schon auf Reputierlichkeit sehen.

Was lag nun für alle näher, als sich auf den Pferdemarkt zu freuen? Zuerst kam natürlich der Handel, dann das Treffen mit alten Bekannten, für die Jugend das Vergnügen. Hier hatten alle ihren großen Auftritt, und Männerblicke streiften die Mädchen oft, so als ob sie ein Pferd kaufen wollten. Man mußte wissen, worauf man sich einließ. Meistens ging Geld zu Geld und Hof zu Hof. Warum auch nicht?

Hella hatte ihre Augen überall, und so hatte sie auch schnell herausgefunden, daß zwischen Otto und Gerlinde schon längst das grüne Pflänzchen der Liebe sproß, um den brauchte sie sich nicht mehr zu sorgen. Ihre Eltern würden es noch früh genug erfahren, sie freute sich über seine Wahl. Mutter würde ihre Prachermarjell bekommen, aber der Hof würde es verkraften können. Gerlinde würde eine gute Bäuerin und Mutter werden.

Sie selbst hatte ihre Augen dem Studenten Johannes nachgeschickt und wünschte sich nichts mehr, als daß er seine Schüchternheit den Mädchen gegenüber aufgeben würde. Sie konnte ihn doch unmöglich ansprechen, das schickte sich nicht. Aber wie glückliche Umstände es fügen, Johannes stand auf einmal neben ihr und konnte nicht anders, als sie zum Tanz aufzufordern. Hella war sich nicht im klaren, ob er ihre Nähe gesucht oder das Schicksal seine Hand im Spiel hatte. Beim Tanzen fanden beide den gleichen Rhythmus, und Hella hielt es für ein gutes Zeichen. Ehe die Zeit zum Heimfahren kam, hatten sie bereits ein weiteres Treffen verabredet.

Mutter und Vater hatten allerdings mit alten Bekannten, Nachbarn, Freunden, den Kauf und Verkauf der Pferde besiegelt und sich wenig um ihre Kinder gekümmert, es konnte ja nichts passieren. Mutter schmiedete bereits wieder an einem neuen Band, das doch wenigstens eines ihrer Kinder unter die Haube bringen sollte ...

 

Auf dem Weg zum Pferdemarkt nach Wehlau: Dort wurden nicht nur Geschäfte gemacht, sondern auch Verbindungen fürs Leben geknüpft. Foto: Archiv


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