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08.05.04 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 08. Mai 2004


Meuterei / EU: Das Volk mitreden lassen?
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Und Geschichte wiederholt sich doch: Wissen Sie noch, damals, 1848? Überall in Europa zog der aufgehetzte Pöbel los, um den von Gott erwählten Fürsten ihre Rechte streitig zu machen. Die großen Feste, Paraden und Reden wollten dem Pack nicht mehr genügen, es wollte die Macht über sich selbst. Dieser Tage kehrt der alte Schrecken zurück: "Volksabstimmung über die EU-Verfassung" fordern die Demagogen. Sie wollen den demokratischen Mob entfesseln. Wieder einmal.

Doch ruhig Blut: Anders als vor anderthalb Jahrhunderten haben sich die weisen Führer diesmal rechtzeitig zusammengeschlossen und reagieren mit der angemessenen Härte und Finesse. Eine ganz große Koalition von Grün über Rot bis Schwarz zeigt dem Volk, wo der Säbel hängt. Außenminister Fischer macht allen Nationen, die sich wider die Vernunft zusammenrotten und die Verfassung ablehnen, die Konsequenzen klar: "Wenn nein, dann raus" aus der EU. Nun verlöre die europäische Vision ohne den Hauptnettozahler Deutschland viel von ihrer moralischen Strahlkraft für die verbleibenden Unionsglieder, weshalb man hierzulande das Risiko des "dann raus" in jedem Fall vermeiden will. Daher hat CDU-Europa-Experte Peter Hintze einen besonders einschüchternden Tagesbefehl für das Niederhalten der demokratischen Anmaßung in Deutschland ausgegeben. (Sie erinnern sich? Der war mal Kohls Generalsekretär, in der Position allerdings so wirkungsvoll wie ein Kettenhund mit Prothese.) Eine Volksabstimmung führe "zur Herrschaft der Gefühle über die Vernunft", haut Vernunfthintze dem Gefühlsvolk um die Ohren. Das hätte Fürst Metternich nicht treffender ausdrücken können, und außerdem: Wozu denn noch Demokratie, wenn die Demokraten doch längst an der Macht sind?

Die Aufmüpfigkeit richtet sich nicht allein gegen die legitime Herrschaft der Parteivernunft über das Volk. Erste Querulanten beginnen zudem, das bewährte Mehrklassenwahlrecht in der EU zu bekritteln. Dabei ist das EU-Wahlrecht keinesfalls so grobschlächtig wie das einstige Dreiklassenwahlrecht in Preußen. Nein, in der EU gibt es gleich ein rundes Dutzend unterschiedlicher Güteklassen für Wähler: ganz oben Luxemburger und Malteser, ganz unten die Deutschen. Die Stimme eines einzigen Luxemburgers hat soviel Einfluß auf die Sitzverteilung im EU-Parlament wie die von zwölf Deutschen (siehe Meldung). Abgesichert ist das Mehrklassenwahlrecht in der EU-Verfassung, weshalb die so wichtig ist. Das Grundgesetz tönt noch in ideologischer Verblendung: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt." In der EU-Verfassung klingt das fast genauso, nur das Wörtchen "gleich" wurde kassiert. Im zurückgebliebenen Südafrika hätte man diese Weglassung als "rassistisch" entlarvt. In Europa hingegen ist sie das Tor zu einer neuen, glücklichen Epoche - so bunt und vielfältig ist unsere Welt heute.

Das darf nicht aufs Spiel gesetzt werden, auch und gerade in Zeiten, in denen die Untertanen aus dem untersten Stand, die Deutschen, aufmüpfig zu werden drohen. Jetzt haben offenbar selbst Soldaten schon eigene Meinungen. So richteten die Angehörigen der Elitetruppe KSK ihrem Ex-General Günzel eine eigene Abschiedsfeier aus, frech ignorierend, daß jener Günzel vor Monaten von höchster Stelle für vogelfrei erklärt und geistiger Verwirrung überführt worden war! (Die kommt nämlich heraus, wenn das Volk, siehe Hintze, unkontrolliert drauflosfühlt.) Ein Anwesender soll gar gegen ein "Netz verwirrter Politiker" gegiftet haben. Meuterei! Verteidigungsminister Struck wird sich fragen lassen müssen, ob er bei seinen Säuberungen gründlich genug gewesen ist.

Denn sauber muß es sein. Ganz besonders beim Militär. Was sind das bloß für Bilder, die da aus den Behandlungsräumen des US-Militärs für irakische Befreite durch die Medien huschen: Überall liegen Kleidungsstücke und anderer Krempel herum, und die Wände machen auch nicht gerade einen appetitlichen Eindruck. Foltert man in so einer widerlichen Umgebung für die freie Welt? Nicht einmal die rechtlichen Grundlagen waren geklärt. Die engagierten US-Soldaten prügelten sich durch juristisches Niemandsland, weshalb sie jetzt abgestraft wurden mit einem Eintrag ins Klassenbuch. 44 Prozent der US-Bürger sind nach einer Umfrage der Washington Post zwar für die Folter (42 Prozent dagegen), aber auf solider Rechtsgrundlage und unter hygienischen Bedingungen, bitte schön. Man ist ja nicht irgendwer und foltert somit auch nicht irgendwie!

Zwei Dozenten der angesehenen Harvard-Universität, Michael Ignatieff und Alan Dershowitz, haben sich der Sache jetzt angenommen. Ignatieff fordert eine offizielle Fol-tererlaubnis, die man den Vernehmungsbeamten je nach Bedarf ausstellen solle, damit alles seine Ordnung hat. Jurist Dershowitz hat sich unterdessen dem Problem mit der Sauberkeit gewidmet. Was, wenn sich die Vernommenen von den eingeführten Besenstielen, Leuchtstoffröhren oder den Faustschlägen mit schmutzigen Fingern (es ist ja so staubig im Irak) was wegholen? Dershowitz plädiert dafür, den Uneinsichtigen desinfizierte Nadeln unter die Fingernägel zu rammen. Dann passiere schon nichts weiter. Die Idee hat etwas: Denn wenn die chronisch antiamerikanische Journaille später Bilder von den zerpflügten Nägeln zeigen sollte, könnte man ja sagen, die Iraker hätten selber dran gekaut.

Bis solche Gesetze durch den Kongreß in Washington sind, dürfte noch einige Zeit vergehen. Zwischenlösungen müssen her. Eine hat sich bereits bewährt: Washington beauftragt seit langem gern militärisch operierende Privatunternehmen, um Maßnahmen zu ergreifen, deren Bekanntwerden oft Mißverständnisse zur Folge hat. Mit einem "Also-wenn-wir-das-gewußt-hätten" ist die Sache dann schnell vom Tisch, die Firma kriegt einen neuen Namen und alles ist wieder porentief rein.

Im Irak hat die Bush-Regierung nun allerdings einen noch eleganteren Ausweg gefunden: Sie läßt die alten Kämpen von Saddam Hussein wieder ran! US-Brigadegeneral John Batiste, im Zentralirak stationiert, gibt seiner Freude Ausdruck: Es sei "eine gute Sache", die "Energien" ehemaliger Saddam-Partei- und Militärchargen "nutzbar zu machen". Tja, die Geschichte. Wie eingangs festgestellt: Sie wiederholt sich eben doch manchmal. Hat sich Saddam eigentlich mittlerweile ordentlich rasiert - fürs Gruppenbild mit Paul Bremer?

 

Feierliche Inkraftsetzung unter Beteiligung der Betroffenen Zeichnung: Götz Wiedenroth


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