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Preußische Allgemeine Zeitung / 22. Mai 2004
In der Kosten-Nutzen-Relation übersteigt der betriebswirtschaftliche Nutzen familienfreundlicher Maßnahmen - auch kurzfristig betrachtet - die Investitionen. Die Einsparpotentiale bewegen sich für kleine und mittlere Unternehmen trotz angespannter Wirtschaftslage in einer Größenordnung von mehreren 100.000 Euro." Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Prognos AG über betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen. Familie ist also nicht nur aus moralisch-ethischer Perspektive "in". Sie zahlt sich sogar aus. Das ist neu. Befürworter von Familienunterstützung ließen die finanzielle Rendite jahrzehntelang unerwähnt. Sie wurde eher verschwiegen, da die hehren Bemühungen um die Familie nicht dem schnöden Mammon ausgesetzt werden sollten. Viele, die von vornherein befürchteten, daß derartige Eskapaden ihr Budget bei weitem überfordern, haben das "Problem" beiseite geschoben. Das hat sich geändert. Und zwar grundlegend. Die Prognos-Studie beweist es. Die Hans Böckler Stiftung wie auch die Bertelsmann Stiftung offerieren die Untersuchung wichtiger Elemente der Familienförderung im Eltern- und Pflegebereich. Das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend hat die spezifischen Handlungsmöglichkeiten von Handwerksbetrieben untersucht, und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) will sogar festgestellt haben, daß sich die möglichen Mehreinnahmen durch den Ausbau von Kindertageseinrichtungen bei der Einkommenssteuer wie bei der Sozialversicherung für die deutschen Betriebe insgesamt in Milliardenhöhe bewegen. Mittlerweile soll eine weitere Prognos-Studie die bereits an Erfahrung reichen "Work-Life-Balance-Konzepte" großer Unternehmen bündeln. Denn es hat sich nunmehr auch in der Politik herumgesprochen: "Für die Sicherung der Leistungsfähigkeit ist ein Umdenken bei Personalpolitik und Arbeitsorganisation unverzichtbar." Zur Umsetzung der vielfältig gesammelten Erfahrungen haben die Vizepräsidentin der Bertelsmann-Stiftung, Liz Mohn, und Bundesfami-lienministerin Renate Schmidt zu einer Netzwerkbildung zur Familienunterstützung im Betrieb eingeladen. Ein Wettbewerb "Familienfreundlicher Betrieb 2005" wird vom Familienministerium gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium ausgeschrieben. Die Handels- und Handwerkskammern, die Wirtschaftsjunioren, alle wollen dazu beitragen, daß das "Humankapital" sorgfältiger gepflegt wird. Kritische Stimmen meinen schon, man solle doch bei der Einschränkung von Entlassungen anfangen. Aber es gibt nicht nur theoretische Ansätze, sondern durchaus auch praktische. Bereits seit einiger Zeit leistet das Audit für Beruf und Familie der Hertie Stiftung Pionierarbeit (Audit ist der Prozeß, bei dem ein Unternehmen eigene Systeme prüft). Mit dem Ziel "Familie bringt Gewinn" will das Audit die Koordinierung familiärer Belange mit der Arbeitswelt fördern. 1998 bekam die Initiative zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sechs Millionen Mark von der Hertie-Stiftung. Damit konnte eine erste Untersuchung zur Familienförderung in Unternehmen in Auftrag gegeben werden. Die Konsequenz war die Einrichtung des Audit Beruf und Familie und die Gründung der eigenständigen Tochtergesellschaft gleichen Namens. Sie führt die entsprechenden Prüfungen durch und bildet Auditoren aus. Sie sollen mit den Betrieben gemeinsam deren Personalarbeit spezifisch im Hinblick auf eine Einbeziehung familiärer Verpflichtungen analysieren. Dazu betonte der Initiator Artur Wollert: "Wir haben das nicht unter dem Sozialgesichtspunkt entwik- kelt. Bei uns stand stets das Interesse des Unternehmens im Vordergrund. Wir betrachten das Ganze als einen Prozeß. Er ist keineswegs abgeschlossen, wenn das Audit verliehen wird." Ihm ist von den mehr als 100 Firmen, die sich bisher an der Auditierung der Beruf und Familie GmbH beteiligt haben, bestätigt worden, daß die Motivation der betroffenen Mitarbeiter deutlich zugenommen hat und auf den Unternehmenserfolg durchgeschlagen ist. Interessierte Unternehmen analysieren zunächst gemeinsam mit einem Auditor die Betriebssituation in einem Arbeitskreis. Eine Projektgruppe erarbeitet danach die mit dem Auditor gemeinsam festgelegten Verbesserungen der bestehenden Einrichtungen. Die Betriebe erhalten für diese Willensbildung ein Grundzertifikat. Nach Ablauf von drei Jahren, in denen jährlich an die Beruf und Familie GmbH Bericht erstattet wird, und nach Prüfung durch den Audit-Rat erhält das Unternehmen das Zertifikat "Beruf & Familie". Die Berater träumen sogar von einer europäischen Dimension, in der Schweiz und Österreich gebe es bereits vielversprechende Ansätze: "Wenn man nämlich erst einmal erkennt, daß das Familien-Audit auch ein Baustein für Qualifizierung ist, wird die Nachfrage rasant wachsen", so Wollert. Und das ist sie schon. Bei der Commerzbank legt man besonderen Wert auf die Unterstützung von Mitarbeiterinnen bei der Wiedereingliederung nach der Familienphase. Bei DaimlerChrysler im Werk Wörth ist die Betriebsvereinbarung zur Telearbeit durch ein flexibles Konzept "mobiles Arbeiten" erweitert worden. Nahezu ausnahmslos bietet die Flexibilisierung von Arbeitszeit einen Schwerpunkt als familienfreundliche Einrichtung. Und das gilt ebenso für die kleineren Firmen: Die Vaude Sport GmbH & Co. KG, Sportartikelhersteller für Berg-, Rad- und Wassersport, verstand sich schon immer als familienfreundlicher Betrieb. Der Inhaber hat vier Kinder, kennt die Nöte, Beruf und Familie auf einen Nenner zu bringen, und wollte seinen 200 Mitarbeitern in Tettnang dabei behilflich sein. Für die Belegschaft in Deutschland nahm der Beauftragte für Qualitätsmanagement und Organisation Kontakt zur Hertie-Stiftung auf und stieß auf ein positives Echo im eigenen Betrieb. Die Firma schätzt den Überstundenabbau sowie individuellere, also familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle als praktische Folgen der Kooperation. Neben einem Intranet ist ein neues betriebliches Vorschlagswesen eingeführt worden, das auf die Organisation im Haus großen Einfluß nehmen kann, bis hin zu Umstellungen in den EDV-Systemen. Daß der vorhandene Kindergarten im Rahmen der Auditierungsmaßnahmen aufgewertet wird, versteht sich von selbst. Sylvia Neugebauer, im Betrieb zuständig für Familienangelegenheiten, sagt: "Kinderwunsch ist bei Vaude kein Grund für einen Karriereknick." Auch bei der Inosoft AG in Marburg, die 50 Mitarbeiter beschäftigt, stehen familiäre Pläne hoch im Kurs. Mitbegründerin und Vorstand Karin Batz erklärt: "Wir waren von Anfang an auf allen Feldern aktiv, die von ,Beruf & Familie' aufgelistet werden." So klein die Firma ist, hat sie doch weltweite Bedeutung erlangt. Die in ihrem Hause entwickelte Desktop-Standardisierungslösung "Garibaldi" ist von Weltmarktführer Microsoft als weltbeste Software-Leistung ausgezeichnet worden - in Sachen Familie werden ebenfalls Spitzenbewertungen angestrebt. In der zuständigen Projektgruppe sind alle Familienpositionen vertreten: Väter, Mütter, Krankenbetreuer, und Alleinerziehende. Das Motto lautet: "Wer persönlich betroffen ist, kann alles besser beurteilen." Um die Familien zu fördern, nahm man sich auch bei Inosoft der Arbeitszeitgestaltung besonders intensiv an. In Einzelfällen wird Vertrauensarbeitszeit praktiziert, in deren Rahmen die Mitarbeiter ihre Einsätze selbst regulieren können. Doch zur Verringerung von Überstunden und gegen Überlastung der Mitarbeiter führte man Grenzwerte ein. In der Rege GmbH verspricht man sich "durch eine gezielt familienfreundliche Personalpolitik einen deutlichen Qualitätsgewinn". Rege ist eine regionale, gemeinnützige Personalentwicklungsgesellschaft, die in Bielefeld als hundertprozentige Tochter der Stadt 86 Mitarbeiter beschäftigt. Als Bausteine einer familienfördernden Politik werden in Zusammenarbeit mit der Stiftung die Lebenssituation, das Alter, etwaige Behinderungen und der Migrationshintergrund (Probleme von Zugewanderten) miteinbezogen. Auch hier gilt bei jeder Verbesserung die Aufmerksamkeit der Arbeitszeitflexibilisierung. 22 Prozent der Belegschaft arbeiten in Teilzeit. Eine Arbeitsgruppe hat Vorschläge zur familienfreundlichen Ergänzung der bestehenden Betriebsvereinbarung erarbeitet. Die Einführung eines Sabbaticals (betrieblich unterstützte Auszeit), die Entwicklung größerer Arbeitszeitspielräume für Mitarbeiterinnen mit Kindern sowie eine Sensibilisierung für die Koordinierung von Familie und Betrieb sollen ereicht werden. Eine Liste zur konstruktiveren Einbindung der Belegschaftsmitglieder in der Elternzeit ist vorgesehen. Das rundweg positive Echo in den teilnehmenden Firmen gibt den Initiatoren recht. Die Arbeit von "Beruf und Familie" brachte neben Vorteilen einer besseren Koordination von Beruf und Familie wertvolle Hinweise auf die Vorlieben der Mitarbeiter. So wurde überraschend festgestellt, daß die vom Betrieb ermöglichte Tele-Arbeit durchaus nicht überall hoch im Kurs steht. Sehr viele Mitarbeiter kommen lieber in den Betrieb, als von zu Hause zu arbeiten. Kleine Unternehmen gestatten in der Regel individuellere Lösungen in allen Bereichen familienfreundlichen Handelns als große. Das zeigt sich vom Service für Familien bis hin zu speziellen Leistungen wie der Vermittlung von Tagesmüttern. Auf dem Weg hin zum Einklang von Familie und Beruf sind also noch viele lohnenswerte Schritte möglich. |