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Preußische Allgemeine Zeitung / 22. Mai 2004
Wenn in diesen Wochen wieder die Touristen den Süden Europas erobern, wenn sie in Griechenland und Italien staunend vor den klassischen Skulpturen stehen und sich einfangen lassen von dem strahlenden Weiß vor azurblauem Himmel (immer ein beliebtes Fotomotiv), dann wird den einen oder anderen doch in Erstaunen versetzen, wenn er vom Fremdenführer hören muß, daß diese prächtigen Kunstwerke einst bemalt waren. Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), der Begründer der klassischen Archäologie, bekannte zwar, daß die Farbe zur Schönheit der Skulptur beitrage, doch war ihm die "barbarische Sitte des Bemalens von Marmor und Stein" zuwider. Er sah in der Farbe die Gefährdung des Ideals der weißen Statue: "Da nun die weiße Farbe diejenige ist, welche die mehresten Lichtstrahlen zurückschicket, folglich sich empfindlicher machet: so wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist." Ganz anderer Meinung war da Martin von Wagner, Kunstagent des bayerischen Königs Ludwig I. Er war 1812 nach Griechenland gereist, um dort im Auftrag des Königs die Giebel-skulpturen des Aphaia-Tempels von Ägina bei einer Auktion zu erwerben. An den Skulpturen erkannte der Maler und Bildhauer bald Reste von Farbe, und er empfahl seinem König, dem Werk die ursprünglichen Farben und Verzierungen zu geben, sollte es doch in der von Leo von Klenze neu errichteten Glyptothek in München Aufnahme finden. Dort hat man sich in jüngster Vergangenheit vermehrt der Farbigkeit antiker Skulpturen zugewandt. Neue, besonders verfeinerte Untersuchungmethoden machten es möglich, auch kleinste Farbpigmente aufzuspüren. Und erst vor wenigen Wochen ging in München eine Ausstellung zu Ende, die anhand von originalgroßen Rekonstruktionen die Farbenvielfalt der Skulpturen zeigte. Die Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen und die Vatikanischen Museen haben für diese Ausstellung mit eigenen Forschungsprojekten und Exponaten einen wichtigen Beitrag geleistet, und so ist die Münchner Ausstellung in leicht abgeänderter Form zunächst noch bis Ende Mai in Kopenhagen zu sehen, bevor sie im Herbst dieses Jahres nach Rom geht. In einem sehr informativen und umfangreichen Katalogbuch (272 Seiten, Klappbroschur, 24 Euro) schildern ausgewiesene Fachleute die Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion. "Die falsche Wahl einer Farbe kann die ästhetische Wirkung der gesamten Figur beeinflussen." Vinzenz Brinkmann, der zusammen mit Raimund Wünsche die Ausstellung konzipierte, erläutert die Probleme: "Die originalen Farben finden sich häufig noch an geschützten Bereichen der Objekte. Unsere Kenntnis der Farben, die in den unterschiedlichsten Zeiten angewendet wurden, ist inzwischen sehr genau. Trotzdem ist es jedoch kaum möglich, an einer einzelnen Statue alle Pigmente mit Sicherheit zu bestimmen. Einzelne Farbwerte sind austauschbar, Nuancen können verschoben werden ..." Selbst diese Fachleute brauchten Zeit, sich an die Farbigkeit der sonst so strahlend weißen Kunstwerke zu gewöhnen. Der Betrachter ist nun aufgefordert, sich vorurteilsfrei auf diese neue Farbigkeit einzulassen. "Kategorien wie ,primitiv' oder ,kitschig' werden zu hören sein", so Vinzenz Brinkmann im Katalog, der, wenn er auch nicht den Ausstellungsbesuch ersetzt, so doch einen umfassenden Einblick in die Problematik gibt. "Diesen ersten Schreck gilt es zu überwinden. Denn wir müssen wieder lernen, die Farbigkeit der Skulptur als Kunstform zu akzeptieren." Und so müssen nicht nur die Rekonstrukteure Farbe bekennen bei der richtigen Auswahl, auch die kunstsinnigen Betrachter sind gefordert. Helga Steinberg Wiederentdeckte Farbigkeit: Rekonstruktion des Paris, trojanischer Bogenschütze aus dem Westgiebel des Aphaia-Tempels Foto: Museum |