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22.05.04 / Korb voller Äpfel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 22. Mai 2004


Korb voller Äpfel
von Eva Hönick

Im Frühjahr 1944 bekamen Schimuneits Einquartierung. Die junge Frau Ulmer aus Berlin mit ihrem kleinen Jungen wurde bei dem älteren Ehepaar in Ostpreußen untergebracht. Denn Berlin wurde bombardiert. Und das Dachzimmer bei Schimuneits im eigenen Häuschen stand leer.

Es schienen nette Leute zu sein. Aber Frau Ulmer wunderte sich, daß sie Frau Schimuneit sehr selten sah. Und wenn, dann war sie scheu und bedrückt. Das Zimmerchen war hell und freundlich und nett eingerichtet. Es sah aus, als ob eben noch jemand darin gewohnt hätte.

Mit den Schimuneits war nicht ins Gespräch zu kommen, obgleich sie immer freundlich waren.

Wenn die junge Frau für ihren Säugling nachts in der Küche etwas zu tun hatte, mußte sie die steile Treppe hinuntergehen. Dabei hörte sie eines Nachts - es war bereits drei Uhr - aus dem Schlafzimmer des Ehepaares unterdrücktes Weinen. Es glich dem Wimmern eines Menschen, der sich unter Schmerzen windet. Frau Ulmer war verstört.

Aber sooft sie nachts hinunterging - ob um ein Uhr oder um zwei -, hörte sie Frau Schimuneits verhaltenes Schluchzen und verzweifeltes Flüstern mit ihrem Mann und dessen gequältes Antworten und Trösten.

Die Frau mußte ein furchtbarer Kummer drücken. Frau Ulmer war auch nicht auf Rosen gebettet. Sie hatte inzwischen in Berlin all ihre Habe, ihre Wohnung und ihr Haus verloren. Ihr Mann war an der Front. Was würde die Zukunft bringen?

Aber trotz Kummer und Angst ging ja das Leben weiter, und die kleinen Dinge mußten auch zu ihrem Recht kommen. Eines Tages trafen sich die beiden Frauen in der Diele. Frau Schimuneit war aus dem Keller gekommen und trug ein Körbchen voll rotbackiger Äpfel in der Hand. Sie waren liebevoll blankpoliert - man sah es. Die Äpfel mußten sorgsam behandelt worden sein, daß sie sich so lange gehalten hatten. Und überhaupt begann Obst damals eine Seltenheit zu werden. Man konnte so vieles dafür eintauschen. Sie schenkte die Äpfel Frau Ulmer und sagte mit einem Beben in der Stimme: "Die sind für Ihren Sohn."

Die junge Frau bedankte sich gerührt. Aber hätte sie gewußt, was für eine Tragödie dahinterstand und wie der Älteren in diesem Augenblick das Herz blutete, sie hätte ihr die Hände geküßt.

Nach und nach erfuhr Frau Ulmer von anderen Leuten, daß sich Frau Schimuneit zuerst mit allen Mitteln gegen ihre Einquartierung gewehrt hatte und daß das Dachstübchen das Zimmer ihres in Rußland vermißten Sohnes war, von dem sie sehnsüchtig hoffte, daß er doch wiederkäme. Für ihn hatte sie auch seine rotbackigen Lieblingsäpfel aus dem kleinen Garten gepflegt und aufgehoben. Als sie Ende März dann die endgültige Todesnachricht erhielt, war das nächtliche herzzerreißende Wimmern am schlimmsten.

Frau Ulmer erfuhr etwas später auch alles von dem Ehepaar selbst, denn es entwickelte sich allmählich eine Freundschaft zwischen ihnen. Frau Schimuneit liebte das Kind bald wie einen Enkel.

Lange allerdings sollte die Freundschaft nicht währen. Denn als der Feind näherrückte, mußte Frau Ulmer mit ihrem Kind im Kinderwagen auf die Flucht, die sehr lange dauern sollte und alle Freundschaften auseinanderriß. Und die zuletzt in einem endlosen Treck in der zerstörten Heimat endete.


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