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29.05.04 / Von der Magie der Worte / Rebecca Bellano sah in Hamburg einen ansprechenden "Don Karlos"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Mai 2004


Von der Magie der Worte
Rebecca Bellano sah in Hamburg einen ansprechenden "Don Karlos"

Leicht verstrubbelt und verstört blickt der Jungschauspieler August Diehl seit einigen Wochen die Hamburger von einem Plakat des Schauspielhauses aus an. "August Diehl spielt Don Karlos" wird der Passant informiert, und gerade der junge Mensch schaut auf. August Diehl? So manchem ist der 28jährige Schauspieler aus deutschen Filmen gegenwärtig. Vor allem aus "23", "Kalt ist der Abendhauch", "Tattoo" und "Anatomie 2" ist er dem Kinopublikum bekannt.

Schon 1999 wurde der Sohn des Schauspielers Hans Diehl mit dem Deutschen Filmpreis als bester Hauptdarsteller sowie mit dem Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsdarsteller für seine Leistungen gewürdigt, doch der große Durchbruch ist August Diehl bisher nicht beschieden. So manchen Flop, darunter vor allem niveauvolle Filme, die eben aufgrund ihres Anspruchs nicht zum Kassenschlager wurden, findet man in seiner Vita.

"Liebe ist der einzige Grund, für den zu sterben wir bereit sind", heißt es in der Werbung für einen seiner beiden neuesten Filme, "Was nützt die Liebe in Gedanken", in dem er mit dem erfolgreicheren Jungschauspieler Daniel Brühl zu sehen ist. In "Birkenau und Rosenfeld", der derzeit in den deutschen Kunstkinos läuft, spielt Diehl einen deutschen Journalisten, der sich zusammen mit einer ehemaligen jüdischen KZ-Insassin auf die Spuren ihrer tragischen Vergangenheit in Birkenau begibt. Beides sind keine Filme für das Massenpublikum, und auch mit Schillers "Don Karlos" hat sich der junge Mann eigentlich ein Stück ausgesucht, das ebenfalls in die Rubrik "schwere Kost" einzuordnen ist.

Doch welch Überraschung: Vor dem Hamburger Schauspielhaus stehen vermehrt junge Leute zwischen 18 und Mitte 20. In kleinen Grüppchen warten sie vor dem Gebäude, genießen die spätnachmittägliche Frühlingssonne und begeben sich um 18 Uhr ins Innere, um bis 22.45 Uhr August Diehl in "Don Karlos" zu sehen. Daß es sich definitiv nicht um Schulklassen, sondern um junge Menschen handelt, die sich in ihrer Freizeit ein Stück von Friedrich Schiller ansehen wollen, überrascht auch das ältere Stammpublikum. Und die jungen Leute halten sogar die ganzen 4 Stunden 45 durch.

Leicht verstrubbelt und verstört sieht Diehl tatsächlich aus, wie auf dem Plakat. Er blickt über das Publikum hinweg, steht auf der leeren, schwarzen Bühne. Nur im Hintergrund befinden sich zwei Reihen mit Theatersesseln, auf denen seine Schauspielerkollegen sitzend auf ihren Einsatz warten. Doch Don Karlos bemerkt sie nicht. Mit hängenden Armen bekennt er seinem Freund Marquis de Posa die ihn zermürbende Liebe zu seiner Stiefmutter. Weinerlich, egozentrisch, nahezu hysterisch ist Schillers "Don Karlos", der in der Übergangsphase vom Sturm und Drang zur Klassik der Feder des Dramatikers entsprang.

Während August Diehl überzeugend den "Stürmer und Dränger" Don Karlos mimt, spielt sein drei Jahre älterer Kollege Devid Striesow ebenfalls hervorragend den von aufklärerischem Gedankengut getriebenen Marquis de Posa. So völlig in ihren Rollen aufgehend geben die beiden Jungdarsteller den Schiller, der dank des 30jährigen Regisseurs Laurent Chétoune auch Schiller sein darf und nicht wie heute üblich eine Selbstdarstellung und eigenwillige Interpretation des Regisseurs ist. Alle, selbst die Königin - die von Ursula Doll allerdings teils leb- und lieblos im Oberlehrerinnenton, teils wieder unvermutet in unpassen- de Theatralik verfallend dargestellt wird -, sind tatsächlich stets angezogen auf der Bühne zu sehen.

Eigenartig berührend: Don Karlos kniet flehend vor seinem Vater, dem König, beziehungsweise August Diehl kniet vor seinem Vater Hans Diehl. Vater und Sohn spielen Vater und Sohn, die sich voller Mißtrauen auf der kahlen Bühne umrunden. Bei ihnen klingen Schillers Verse wie Magie, für die der große deutsche Dichter bis heute geehrt wird. Sie machen Schiller lebendig, lassen das Publikum die Einmaligkeit von Schillers leicht und zugleich verwirrend daherkommendem Kampf der Worte begreifen.

Es ist unbestreitbar "schwere Kost", die dem im Durchschnitt überraschend jungen Publikum im Hamburger Schauspielhaus dargeboten wird, doch dieses verfolgt gebannt das Geschehen auf der Bühne. So voller Begeisterung und Enthusiasmus gehen vor allem die beiden jungen Männer in ihren Rollen auf, daß man nur für die Zukunft des Theaters hoffen kann. Deutschland braucht junge Männer wie August Diehl, die Kunst und Kultur im ansprechenden Gewand der Gegenwart präsentieren.

Hoffnungsvoller Nachwuchs: August Diehl in Friedrich Schillers "Don Karlos" Foto: Schauspielhaus


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