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29.05.04 / Der Geist, der Einheit schafft

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Mai 2004


Der Geist, der Einheit schafft
von Kaplan André Schmeier

Der Herr ist auferstanden!" Diese Botschaft bringen die Frauen vom leeren Grabe mit. Sie waren in aller Frühe dorthin aufgebrochen, um einen Toten zu beweinen, und fanden statt dessen einen Lebenden vor. Nach dem ersten Schrecken bricht dann die Freude durch, die Freude darüber, daß etwas Ungeheuerliches geschehen ist, die Freude darüber, daß der Herr lebt.

Die kleine Schar der Apostel hatte alles auf diesen Jesus gesetzt. Er, der sie aus verschiedenen Schichten des Volkes zu sich berufen hatte, war nicht nur ihr Meister, sondern auch der Inhalt ihres Lebens geworden. Sie sind ihm auf seinem Weg nachgefolgt, sie haben seine Predigten gehört und seine Wunder gesehen. Mit dem Karfreitag war ihre Hoffnung plötzlich zusammengebrochen, doch mit der frohen Botschaft von der Auferstehung scheint es nun wieder weiterzugehen. Die Erscheinungen Jesu geben ihnen neuen Mut. Er kommt in ihre Mitte, sie dürfen ihn berühren, er teilt mit ihnen das Brot und ißt mit ihnen.

Zunächst sieht es so aus, als ob jetzt das gewohnte Leben fortgesetzt würde. Aber dem ist nicht so. Als sie nach vierzig Tagen wieder gemeinsam auf dem Ölberg sind, trägt ihnen Jesus auf, in Jerusalem zu bleiben und auf die Verheißung des Vaters zu warten. Danach fährt er vor den Augen der erstaunten Jünger in den Himmel auf. Diese können gar nicht fassen, was geschehen ist, kehren dann aber in die Stadt zurück und dort verharren sie: die elf Apostel, die Frauen, Maria und andere Verwandte Jesu.

Das gemeinsame Warten verbringen sie im Gebet. Durch das Warten üben sie sich in Geduld. Durch das ständige Gebet sind sie immer für Gottes Wirken bereit. Beides stärkt ihren Glauben an die Verheißung Jesu, daß der Vater ihnen einen Beistand senden wird. Während sie so auf den Heiligen Geist warten, wird ihnen klar, daß sie die Zeugen für all das sind, was sich in Jesus Christus ereignet hat. Und da Judas, der Verräter, sich nach der Reue über seine Tat das Leben genommen hat, wählen sie einen, der von Anfang an dabei war, an dessen Stelle. Es ist der Apostel Matthias, dessen Gebeine heute in Trier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

Schließlich kommt der Pfingsttag heran. Der Heilige Geist kommt mit einem Brausen wie von einem Sturm und in Zungen wie von Feuer auf die Jünger herab. Und nun geschieht ein großes Wunder: die Menschen, die bei diesem Ereignis aus ganz Jerusalem herbeiströmen und die verschiedenen Nationen angehören, können die Apostel in ihrer eigenen Sprache verstehen.

Was sich hier vollzieht, ist die Umdrehung des Turmbaus zu Babel. Damals haben die Menschen versucht, eine Verbindung von der Erde bis zum Himmel zu schaffen. Das taten sie auf einem irdischen Fundament, mit irdischem Material und von dem menschlichen Wunsch getragen, sich selbst zu erlösen durch einen selbstgeschaffenen Weg ins verlorene Paradies. Sie begannen das Werk gemeinsam, aber auf dem Weg zum Himmel hat Gott ihre Sprachen verwirrt, und so gingen sie auseinander, weil sie sich untereinander nicht mehr verstehen und sie so den Bau nicht fortführen konnten.

An Pfingsten vollendet nun Gott sein Erlösungswerk, welches er in Jesus Christus begonnen hat, und stellt von sich aus eine Verbindung vom Himmel zur Erde her. Diese hat im Himmel ihr göttliches Fundament und besteht in Gott selbst, im Heiligen Geist, der in Feuerzungen herabkommt. Feuer verbrennt nicht nur, sondern Feuer reinigt auch. Und so können sich die Menschen untereinander verständigen, weil der Geist ihren Verstand reinigt und ihnen auf diese Weise die Kraft des Verstehens schenkt. Sie verstehen nun, worauf es ankommt, und dieses Verstehen, dieses Wissen, um was es eigentlich geht, stellt die verlorene Einheit unter ihnen wieder her.

Aber was sich vor vielen 100 Jahren in Babel zugetragen hat, können wir auch heute in unserer modernen Gesellschaft beobachten. Das Fundament, auf dem wir stehen, ist für uns in erster Linie die Welt. Wir vertrauen auf unsere Technik und wir

glauben an unsere Wissenschaft. Auf diese Weise versuchen auch wir, eine Verbindung von der Erde zum

Himmel herzustellen, das heißt, die für uns unerklärlichen Dinge mit menschlichen Methoden zu verstehen, gleichzeitig auch auf die Frage nach dem Sinn des Lebens eine menschliche Antwort zu finden. Aber auch wir müssen erleben, daß diese Anstrengungen zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Ganz im Gegenteil. Auf dem Weg seiner Erklärungsversuche macht jeder Mensch verschiedene Erfahrungen, die dazu führen, daß man sich, statt zu einen, immer mehr voneinander entfernt. So entstehen immer neue Konflikte, seien es nun gesellschaftliche, politische oder religiöse.

Immer weniger befinden wir uns in der Lage der Apostel vor dem Pfingsttag. Wir verstehen es nicht mehr zu warten, denn wir wollen selbst die Handelnden sein, was dazu führt, daß wir immer ungeduldiger werden. Wir beten immer weniger, denn unsere eigenen Fähigkeiten und Erkenntnisse führen uns weiter vorwärts, was dazu führt, daß wir uns immer mehr vor Gottes Wirken in unserem Leben verschließen. Das Ergebnis ist, daß wir letztendlich den Glauben an die Verheißung Jesu verlieren, daß der Vater im Himmel uns einen Beistand senden wird.

Vor einem Monat haben wir den Beitritt von zehn weiteren Ländern zur Europäischen Union erlebt. Staaten schließen sich zusammen, Grenzen fallen, neue Wirtschaftsräume entstehen. Aber damit die Menschen zueinander finden und sich trotz der verschiedenen Sprachen untereinander verstehen können, brauchen sie den Geist, der mit Feuerskraft ihren Verstand reinigt und sie so zu einem gegenseitigen Verständnis führt. Wenn wir wieder die christlichen Werte zu unserem Fundament machen und damit den Glauben an Jesus Christus und seine Verheißungen in uns erneuern, werden wir auch wieder offen sein für das Wirken Gottes in uns. Erst dann kann der Heilige Geist zu uns kommen und so für jeden von uns die Verbindung zwischen Himmel und Erde schaffen, nach der wir alle uns sehnen.

Liebe Leserinnen und Leser, so wünsche ich Ihnen nicht nur ein frohes Pfingstfest, sondern vor allem ein offenes Herz für den Heiligen Geist. Wenn wir ihn in unserem Leben wirken lassen, werden wir feststellen, daß er uns verwandelt, so wie er es mit den Aposteln getan hat. Er wird uns seine Gaben schenken und uns zu treuen Zeugen für die Auferstehung Jesu werden lassen. Damit erhalten auch wir den Mut und die Zuversicht, die uns alle menschlichen Grenzen überwinden hilft und in jedem Mitmenschen, ganz gleich welcher Nation, einen Bruder und eine Schwester in Jesus Christus erkennen läßt. Nur so kann eine Einheit entstehen, die nicht nur für einen Augenblick, sondern auf Dauer Bestand hat.

Ausgießung des Heiligen Geistes: Altarbild von Tizian in S. Maria della Salute in Venedig (1555) Foto: Archiv


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