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05.06.04 / Bessere Zeiten in Ratka / Das Schicksal eines deutschen Ortes in Ungarn

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. Juni 2004


Bessere Zeiten in Ratka
Das Schicksal eines deutschen Ortes in Ungarn
von Rüdiger Goldmann

Vor dem von Ungarn an der Seite des Deutschen Reiches geführten Zweiten Weltkrieg gab es in dem ostmitteleuropäischen Land rund eine halbe Million Deutsche. Sie waren bei einer Einwohnerzahl von acht Millionen die größte nicht-magyarische Volksgruppe.

Heute stellen die Zigeuner mit offiziell 300 000 Personen die quantitativ stärkste Minderheit in der Republik Ungarn. Für das Jahr 1980 gibt Miklos Molnar in seiner "Geschichte Ungarns" die Zahl der Bürger deutscher Nationalität mit 138 000 an (1,35 Prozent der Gesamtbevölkerung).

Bei der letzten Volkszählung im Februar 2001 bekannten sich dann nur 62 233 Menschen als Deutsche, 88 416 gaben an, sich der ungarndeutschen Kultur und Tradition verbunden zu fühlen.

Molnar macht für die Ungarndeutschen eine erschreckende Bilanz auf: 254 000 von ihnen wurden vertrieben bzw. kamen ums Leben (darunter 16 000 Tote durch Internierung), 64 000 wurden in die Sowjetunion verschleppt, Zehntausende flüchteten nach Österreich und in die Westzonen Deutschlands. Er geht davon aus, daß 1945 nur 223 000 in Ungarn verblieben sind.

Auf die Vertreibung sämtlicher Deutschen des Landes hatten neben den sowjetischen Besatzern (allen voran die Marschälle Woroschilow und Swiridow sowie Botschafter Puschkin) insbesondere die ungarischen Kommunisten und einige Führer der Bauernpartei gedrängt, die sich dabei auf Punkt 13 des Potsdamer Protokolls der alliierten Siegermächte stützen konnten.

Die Koalitionsregierungen von Zoltan Tildy und Ferenc Nagy traten demgegenüber "nur" für die Vertreibung all jener Deutschen ein, die mit dem Dritten Reich zusammengearbeitet hatten oder Mitglied in der Minderheitenorganisation des Volksbundes gewesen waren.

Angesichts des Bündnisses, das Ungarn unter Admiral Horthy mit Deutschland geschlossen hatte, seiner Beteiligung am Kriege und der antisemitischen Verfolgungen im Zusammenwirken mit den NS-Organen mutet die kollektive Degradierung der Ungarndeutschen zu Sündenböcken geradezu grotesk an. Erst im Jahre 1944 war von Horthy der Versuch eines Seitenwechsels unternommen worden, mit dem Ziel eines separaten Waffenstillstandes mit der Sowjetunion. Das Unterfangen scheiterte und führte zum Einmarsch der Wehrmacht, der Bildung einer prodeutschen Regierung durch die faschistischen "Pfeilkreuzler" sowie zur Inhaftierung des Admirals in Bayern (Horthy lebte dann noch bis 1957 im Exil in Portugal).

Am Beispiel des ungarndeutschen Dorfes Ratka im Tokajer Gebiet im nordöstlichen Zipfel des heutigen Ungarns lassen sich die Schicksalsschläge von 1945 nachvollziehen.

Im Januar desselbes Jahres hatte die sowjetische Besatzung viele Bewohner unter einem Vorwand in die Schule gelockt und ließ über 200 der rund 1160 Einwohner in einem vierwöchigen Transport in die Kohlengruben von Woroschilowka verschleppen. Unter schlimmsten Bedingungen mußten sie Zwangsarbeit leisten, wobei jeder dritte umkam. Erst nach zweieinhalb Jahren duften die Überlebenden zurück in die Heimat. Viele waren krank und seelisch gebrochen.

Es folgte die harte Zeit des Kommunismus, in der der Besitz der meist von der Landwirtschaft lebenden Einwohner Ratkas in Kollektive überführt wurde.

Doch die Ratkaer erwiesen sich als zäh; schon ihre Vorfahren waren an schwere Verhältnisse gewöhnt. Ihre Geschichte begann mit der Besiedlung des wüst gewordenen Dorfes im Jahre 1750 - also in der Ära Maria Theresias - durch Herzog Trautsohn. Den Grundherren, die noch mehrfach wechselten, waren sie zu Frondiensten verpflichtet, die erst Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschafft wurden.

Der Ort ist planmäßig in Form eines Anger- bzw. Straßendorfes angelegt; zu beiden Seiten der Hauptstraße liegen die Gehöfte mit der Schmalseite zur Straße, dahinter befinden sich Ställe, Gärten und Felder. Neben dem Ackerbau, der Viehzucht und der Anpflanzung von Tabak lebten die "Schwaben" vom Weinbau, den sie schon bei der Ankunft an den Hängen des Hegyalja-Gebirges vorgefunden hatten.

Man heiratete unter sich, teilweise in andere deutsche Dörfer der Umgebung oder auch ins heute rumänische Sathmarer Land, wo ebenfalls Schwaben eine neue Heimstätte gefunden hatten.

Ende des 19. Jahrhunderts ging der Weinbau durch Reblausbefall zugrunde. Teils wurde er durch Obstbäume ersetzt, seit 1960 aber wiederbelebt, so daß er mittlerweile 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen einnimmt.

Wer heute Ratka besucht, wird gastfreundlich aufgenommen und in die zehn bis zwölf Meter unter der Erde im Tuffstein eingehauenen Keller geführt. Dort lagert der bernsteingelbe Tokajer, von dem es herbe und süße Sorten gibt.

Die Weinbauern beklagen jedoch unzureichende Absatzmöglichkeiten und haben in den benachbarten magyarischen Orten Tokaj, Tallya oder Mad mit ihren großzügigen und sehr gepflegten Weinbergen eine starke Konkurrenz.

So muß mancher Ungarndeutsche aus Ratka sein Brot in den Steinbrüchen der Region verdienen, wo Bentonit, Traß, Zeolit und Quarzit gewonnen werden.

Hochachtung verdienen die regen Bemühungen der Bevölkerung, allen voran der Bürgermeisterin Istvanne Hering, die deutsche Sprache wiederzubeleben und die angestammte Kultur zu erhalten bzw. weiterzuentwickeln. Schon im Kindergarten wird Deutsch gelernt und gesungen, in der Schule stehen dann sechs Wochenstunden auf dem Plan.

Während die mittlere Generation kaum noch Deutsch spricht, reden die Alten schwäbisch, allerdings in der Art des 18. Jahrhunderts, und junge Leute mit Abitur verwenden ein makelloses Hochdeutsch. Hierzu haben nicht zuletzt die Patenschaften mit Balingen (Baden-Württemberg) und Kreuzenort (Oberschlesien) beigetragen.

Auf dem Friedhof von Ratka ruhen die Müllers und Drischners neben den Gintners, Zuckermandls und Brauns. Die Gräber liegen einträchtig nebeneinander, egal ob einer aus dem reicheren und älteren Oberdorf oder aus dem ärmeren und jüngeren Unterdorf stammte.

Der Staat hat offensichtlich der rigiden Magyarisierungspolitik vergangener Zeiten abgeschworen. 1993 wurde ein Minderheitengesetz beschlossen, das "jeder Minderheitengemeinschaft (...) das Recht auf die Ungestörtheit des Lebens in der Heimat" verbürgt.

In vorbildlicher Weise heißt es in dem Gesetz: "Das Recht auf Heimat bedeutet die Freiheit und den Schutz der Bindung nicht nur zum eigenen Geburtsort, sondern auch zum Geburts- und Wohnort der Eltern (...), zur Urheimat sowie zu deren Kultur und Traditionen."

Im Weinkeller: Hier lagert der berühmte bernsteingelbe Tokajer


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