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05.06.04 / Von der Welt alleingelassen / Schicksal einer

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. Juni 2004


Von der Welt alleingelassen
Schicksal einer von den USA abgewiesenen jüdischen Familie

In der Ortschaft Flörsheim am Main lud am 18. Juli 1932 die dortige NSDAP-Ortsgruppe zu ihrer ersten öffentlichen Kundgebung ein. Die Anzeige in der Flörsheimer Zeitung enthielt den Zu-satz "Juden haben keinen Zutritt". Dieser Zusatz leitete eine Zeitspanne deutscher Geschichte ein, die im Mai 1945 mit dem Zweiten Weltkrieg, mit Millionen Toten, Ermordeten, Gefallenen, Geflüchteten und Vertriebenen endete. Dem Schicksalsweg der Juden in Deutschland folgt David Clay Large mit seiner Dokumentation "Einwanderung abgelehnt". Er ist Professor für Geschichte in Montana. Akribisch recherchiert und fächert er die Lebensstationen der Flörsheimer Familie Max Schohl auf. Das Inferno überlebten die Ehefrau und die Töchter Hela und Käthe. Korrespondenzen, Dokumente, Fotos stellte Käthe zur Verfügung.

Dr. Max Schohl, ab 1919 Inhaber der Chemiefabrik Electro, lebte als vorbildlicher Arbeitgeber sowie geschätzter Bürger in Flörsheim. Seine Frau Liesel war Christin, im Sprachgebrauch des NS-Regimes "Arierin". Max Schohl, hochdekorierter Offizier des Ersten Weltkriegs fühlte sich in Deutschland sicher. Das änderte sich nach Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 und setzte sich fort mit der Verkündung der radikal rassistischen "Nürnberger Gesetze" 1935. Die Nacht zum 10. November 1938 ("Reichskristallnacht") beendete Max Schohls und seiner Familie Traum vom sicheren Heimatland. Zusammengerotteter Pöbel tobte durch Flörsheim, drang in die Häuser jüdischer Bürger, zertrümmerte die Einrichtungen und auch den Glauben an den Anstand deutscher Bürger. Familie Schohl blieb nur der Weg in die Emigration. Das war leichter gedacht als getan.

Amerika betrieb eine extrem restriktive Einwanderungspolitik. Schohls Einwanderungsantrag wurde abgelehnt; auch England, Chile, Brasilien verweigerten das Visum. Bis 31. März 1940 mußten die Schohls Deutschland verlassen, andernfalls drohte Verhaftung. Sie flüchteten nach Ruma in Jugoslawien. Dort spürten nach dem Einmarsch deutscher Truppen Gestapo-Kommandos versteckte Juden auf. Am 15. August 1943 fanden sie Max Schohl. Im Dezember starb er in Auschwitz. 1944 wurde auch die "arische" Liesel Schohl mit ihren "halbjüdischen" Töchtern verhaftet. Sie wurden in ein Zwangsarbeitslager nach Wiesbaden - rund 14 Kilometer von Flörsheim entfernt - überführt und arbeiteten in der Kartonagenfabrik Becker in Biebrich.

1945: Kriegsende! Mit Hilfe der Amerikaner erhielten die Schohl-Frauen ihr heruntergekommenes Haus in Flörsheim zurück. Liesel und Hela eröffneten in ihrer "alten Heimat" ein Kleidergeschäft. Käthe wanderte zu Onkel Julius Hess nach West-Virginia aus.

Flörsheim heute: Auf dem außerhalb des Städtchens gelegenen jüdischen Friedhof findet sich eine Gedenkplakette für die Juden Flörsheims, die "geächtet, verfolgt und vertrieben" wurden. Ein Grabstein mit Davidsstern erzählt Familiengeschichte: "Zum Andenken an Johanna Schohl, umgekommen in Theresienstadt, und ihren Sohn Dr. Max Schohl, umgekommen in Auschwitz. Ferner ruhen hier Liesel Schohl und ihre Tochter Hela." Seit 1968 gibt es in Flörsheim wieder die "Synagogengasse"; eine erhalten gebliebene Außenwand des Gotteshauses erinnert an das Einst. Und es gibt die "Dr.-Max-Schohl-Straße", der Weg zur ehemaligen Chemiefabrik.

Und sonst? Ist die Vergangenheit bewältigt? Wie man's nimmt!

Esther Knorr-Anders

David Clay Large: "Einwanderung abgelehnt - Wie eine deutsche Familie versucht, den Nazis zu entkommen", Blessing Verlag, München 2004, 384 Seiten, Abb., 20,60 Euro


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