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12.06.04 / Nur gähnende Langeweile und Frust / Europawahlen interessieren EU-Bürger nur geringfügig

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. Juni 2004


Nur gähnende Langeweile und Frust
Europawahlen interessieren EU-Bürger nur geringfügig
von Rebecca Bellano

Europa macht man nicht mit links", verkündet die CDU auf ihren Wahlplakaten zur Europawahl am 13. Juni. Zugegeben, ein recht pfiffiger Wahlspruch, den die Werbestrategen der CDU sich da haben einfallen lassen, aber ob die Europapolitik der CDU ebenfalls einfallsreich und pfiffig ist, ist daraus keinesfalls abzuleiten. Was hat die Union im Vergleich zu SPD und den Grünen eigentlich in den letzten Jahren für Europa, speziell für Deutschland in der EU, getan? Was bietet Europa uns überhaupt?

"Europa bietet den Menschen mehr als freie Märkte oder die Feinheiten der Gemeinsamen Agrarpolitik. Die wahre Bedeutung erhält Europa durch seine gemeinsamen Werte. Sie heißen Solidarität, Zusammenhalt und Demokratie. Ich bin davon überzeugt, daß man die Wahlbeteiligung steigern kann, wenn den Menschen klar wird, daß es um ein Europa der Werte geht und um ein Europa, das sich direkt auf ihr Leben auswirkt. Das ist die Herausforderung bei den Wahlen am 13. Juni!" So jedenfalls verkauft der derzeitige Präsident des Europäischen Parlaments, der Ire Pat Cox, den Bürgern der EU seinen Arbeitgeber. Die Bürger allerdings sind EU-weit nicht gerade Feuer und Flamme, wenn es darum geht, am kommenden Sonntag ihre Stimme abzugeben. Unter 50 Prozent Wahlbeteiligung prophezeien die Umfrageinstitute, und daß die EU-Bürger bei einer der größten Wahlveranstaltungen der Welt ihr Mitspracherecht nicht nutzen, hängt einfach damit zusammen, daß trotz Pat Cox' schöner Worte kaum einer genau weiß, wofür die EU gut ist. Die Herausforderung, den Menschen die EU anschaulicher darzubieten, scheint jedenfalls niemand der Kandidaten ernstgenommen zu haben.

Normen, Regeln, Paragraphen, Beiträge, Fördergelder, Erweiterung und Abgeordnete, die Arbeitszeiten abrechnen, obwohl sie gar nicht an Sitzungen teilgenommen haben. Im Grunde eint die Bürger Europas vor allem das Unverständnis über die Aufgaben der Europäischen Union, und anstatt die Menschen aufzuklären, wird nun eine Verfassung entworfen, bei der die Bürger nicht einmal mitreden dürfen. Die Folge ist Frust, Frust, der sich eben an einer niedrigen Wahlbeteiligung messen läßt.

Blickt man aber auf die vielen Parteien, die die Deutschen für die nächsten fünf Jahre im Europäischen Parlament vertreten wollen, stößt man auf welche, die weit über die im üblichen Politikalltag Tätigen hinausreichen. Neben den bekannten, immer zu Wahlzeiten zu vernehmenden Namen wie die Republikaner, die NPD, die Grauen Panther und die Partei Bibeltreuer Christen bewerben sich auch die Ökologisch-demokratische Partei und die Tierschutzpartei um einen Platz im Parlament. Absolute Oldies im Geschäft sind dem Namen nach die DP und DKP sowie die Zentrumspartei, die schon zu Kaisers Zeiten Bismarck mindestens so sehr verärgerte wie die Sozialdemokraten. Inhalte? So manche Programme klingen durchaus gar nicht so uninteressant, schließlich wollen alle für irgendwen das Beste, ob wir dazugehören, ist eine Frage der Deutung und der Umsetzung.

Wir Deutschen wählen im Grunde ziemlich wenig Splitterparteien. Doch vor allem in den neuen EU-Mitgliedsstaaten sieht es ein wenig anders aus. Nur 732 Abgeordnete werden für die gesamte EU gesucht, doch die neuen Mitglieder haben so viele Kandidaten im Angebot, daß sie allein schon ein Vielfaches von Posten besetzen könnten.

Das Spektrum dieser politischen Vereinigungen ist breit. Ihre Ausrichtung und ihre Seriosität lassen durchaus zu wünschen übrig. Von ganz links bis nach ganz rechts will man das Europäische Parlament beglücken oder gleich abschaffen, denn so manche der antretenden Parteien sind mehr als nur EU-skeptisch. So werden Moskau und Brüssel von den EU-Gegnern gern gleichgesetzt, und die Sorge um die nationale Souveränität und Identität steht ganz oben auf der Prioritätenliste.

Letzteres ist durchaus auch Thema der seriösen Parteien. Man hat Angst vor der Brüsseler Regulierungswut und fürchtet, von Ländern wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien unterdrückt zu werden. Während der Wahlkampf in Deutschland ziemlich leise und langweilig verläuft, werden in den neuen Mitgliedsstaaten so manche kämpferischen und populistischen Worte geschwungen. So fordert die Partei "Für Menschenrechte in einem vereinten Lettland" finanzielle Unterstützung von der EU, da diese mit ihren liberalen Wirtschaftsreformen schuld an der Verarmung der Bevölkerung und dem Niedergang der lettischen Industrie habe. In Ungarn stellt die übrigens zur Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) zählende Fidesz aus innenpolitischen Gründen nationalistische und protektionistische Forderungen, die so gar nicht zu einem vereinten Europa passen, und die in der Slowakei führende Partei Smer hetzt offiziell gegen die ungarische Minderheit und die Roma im Land, was ebenfalls nicht in ein Europa der vielen Völker paßt.

Aber auch wenn der Wahlkampf in den erstmals an den Europawahlen teilnehmenden Ländern enthusiastischer geführt wird, so ist auch hier nicht mit einer großen Wahlbeteiligung zu rechnen. Frust? Schon so früh?

Ein vereintes Europa ist vom Grundgedanken eine lobenswerte Idee, doch eben die Umsetzung mißfällt den Bürgern, wenn sie denn überhaupt Interesse und Verständnis für die Brüsseler Aktivitäten aufbringen. Zudem werden wichtige Themen von seriösen Parteien, zumindest in Deutschland, nicht angesprochen.

Der Deutsche will wissen, was nun mit einem EU-Beitritt der Türkei ist. Wer ist dafür und wer dagegen? Was hat Deutschland als Nettozahler eigentlich von der EU, wer holt für dieses Land das meiste raus? Wer liebt Deutschland mindestens so sehr wie Europa? Welche Partei hat das umfangreichste Programm, wenn es um den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen geht? Fragen über Fragen, doch Antworten stehen aus. Statt dessen: "Besser für Deutschland: Gegen rot-grünes Chaos" (CDU), "Europa Friedensmacht" (SPD), "Du entscheidest" (Bündnis 90 / Grüne) oder "Wir können Europa besser" (FDP).

Ob und wo die EU-Bürger ihre Kreuzchen machen, wird sich zeigen, allzu viele werden es vermutlich nicht sein. Schade, daß die so hart erkämpfte Demokratie inzwischen so entstellt wurde, daß sie bei den Bürgern hauptsächlich Frust und gähnende Langeweile auslöst.


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