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12.06.04 / Warum dürfen wir Deutschland nicht lieben?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. Juni 2004


Gedanken zur Zeit:
Warum dürfen wir Deutschland nicht lieben?
von Hans Brückl

Das 1.-Mai-Wochenende verbrachte ich in Berlin. Es waren familiäre Gründe, und so war es auch mehr Zufall als Absicht, daß ich am Bahnhof Lichtenberg als Zaungast beobachten konnte, wie sich dort 2.300 NPD-Anhänger formierten, zu einem Marsch in Richtung Strausberger Platz. Die schweren Krawalle, zu denen es dann noch im Laufe des späten Nachmittags zwischen Linken und Rechten kam, habe ich glücklicherweise nicht "live" miterleben müssen. Erst am darauffolgenden Tage, während einer S-Bahn-Fahrt, ertappte ich mich bei einigen politisch unkorrekten Gedankensünden.

Mir schräg gegenüber saß nämlich einer der Jugendlichen, die ich am Vortage gesehen hatte, und er war mir in Erinnerung geblieben. Einerseits deshalb, weil er äußerlich so idealtypisch dem Klischee vom deutschen, besonders mitteldeutschen Rechtsextremen entsprach: feister Nacken, geschorener Schädel, tätowiert. Ein Typ zum Fürchten. Andererseits hatte ich aber auch beobachten können, wie er einen Kameraden zurückhielt, als dieser sich auf einen Autonomen stürzen wollte, von dem er angespuckt worden war.

Gestern hatte dieser Typ in der NPD-Marschformation ein Plakat, nein, ein Poster hochgehalten mit dem Bekenntnis "Ein Herz für Deutschland". Jetzt erkannte ich an seiner Jacke einen Aufnäher. Darauf stand: "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein." Und da ertappte ich mich bei dem absolut unkorrekten Gedanken: Was ist daran eigentlich so sehr falsch, wenn einer stolz ist, ein Deutscher zu sein? Wer würde sich dar-über mokieren, wenn Amerikaner oder Franzosen von sich sagten, sie seien stolz, Amerikaner zu sein, stolz, Franzosen zu sein? Ist automatisch alles obsolet, nicht mehr "in", was irgendwann irgendwie in der Vergangenheit mißbraucht wurde oder aktuell mißbraucht werden könnte?

Stolz sein auf sein Land - das ist gewiß nicht sehr originell, es ist nicht intellektuell, feinere Leute haben feinere Gedanken, etwa Kunst, Kultur, Weltbürgertum. Ja, wenn einer mehr hat als seine Nation, wenn er multikulti ist, gebildet und mit gutem Job und guter Zukunft - das ist natürlich viel erstrebenswerter. Aber dieser Junge hier in der S-Bahn, der ist doch offensichtlich ein Deklassierter, ein "Unterschichtler", ohne höhere Schulbildung, ohne gute Berufsausbildung, mit schlecht bezahltem oder gar keinem Arbeitsplatz. Darf dieser arme Teufel nicht wenigstens stolz sein auf seine Nation - mit wenig rationaler Begründung, hilflos, aber eben stolz?

Wie soll der Bursche umerzogen werden? Durch noch mehr Political Correctness, durch mehr Polizei, durch mehr Verbote? Dadurch, daß man ihm beibringt: "Weil du ein Deutscher bist, bist du ein Schuldiger, du darfst nicht stolz sein, ein Deutscher zu sein." Mit besserer Ausbildung und mehr Arbeitsplätzen? Gerade dies ist am allerwenigsten in Sicht. Kann man ihm mit besseren Leitbildern beikommen? Bieten ihm die RTL-Dschungelshow, "Vera am Mittag", "Big Brother", "Superstar" oder "Sex and the City" kulturell hochwertige Alternativen?

Wenn Leute wie mein Gegenüber in der S-Bahn unsere Demokratie nur als "Scheiß-System" empfinden, so nicht zuletzt deshalb, weil sie aufgrund ihres Alters keine Vergleichs-möglichkeit mit dem verflossenen SED-Regime haben, das ihnen nur noch aus frühen Kindertagen erinnerlich ist und das heute von ihren Eltern oft "(n)ostalgisch" verklärt wird: "Damals hatten alle Arbeit, damals herrschte mehr Gemeinsinn, damals gab's kein Rauschgift, viel weniger Kriminalität."

Auf die "BRD" dagegen hat mein Gegenüber unbändige Wut, weil sie offensichtlich zu seinem Anspruch auf Leben nichts beiträgt, weil sie ihn immer schneller sozial absinken läßt und ihn noch mehr ins "rechtsextreme" Abseits stellt, wenn er es wagen sollte, gegen die Ausländerpolitik oder den Sozialabbau der Etablierten Protest anzumelden.

Am S-Bahnhof Tiergarten stiegen zwei Männer im Anzug ein, offenbar Vertreter jener Spezies, die man in unserer Leistungsgesellschaft als "flexible und dynamische" Führungskräfte kennt. Als sie meinen Gegenüber mit dem "Stolz"-Aufnäher erspähten, warfen sie ihm mit äußerster Ästheten-Distanz konsternierte Blicke zu. "Wenn der nicht sowieso schon kahl wäre, müßte man ihm die Birne rasieren!" meinte der eine. Mit nicht geringerer Noblesse und Grandezza, wie es sich für eine souveräne moderne Standeselite geziemt, pflichtete der andere bei: "Für solche müßte man die Mauer wiedererrichten. Aber noch dreimal höher!"

Es wird eben nicht nur am 1. Mai und nicht nur zwischen Lichtenberg und Friedrichshain geboxt, gerangelt, gerauft. Derlei kann auch auf vermeintlich viel höherer Ebene vonstatten gehen, ganz ohne Rück-sicht auf Vornehmheit, dafür aber ganz im Sinne von Spaß, Geschäft, politischer Korrektheit und "neuer Mitte".

Lieb Vaterland, magst ruhig sein ...


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