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12.06.04 / Samantha weint laut oder Die Einschlaf-Elfen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. Juni 2004


Samantha weint laut oder Die Einschlaf-Elfen
von Gabriele Lins

Unsere Enkelin Anna hat schon öfter bei uns übernachtet. Heute ist wieder so ein Tag. Annas Eltern müssen für zwei Tage verreisen. Laut lachend wirbelt die Kleine durch den Garten und begrüßt die Schaukel, den Sandkasten und die Fische im Teich. Ihre Mama weiht mich inzwischen in Annas neuestes Einschlafritual ein, was sehr wichtig ist; ich weiß es noch genau, ohne die abendlichen Riten konnten meine Kinder auch kein Auge zutun. Annas Zeremonie zieht sich jedoch sehr in die Länge. Ob ich wohl alles behalte? Mir wird ein wenig schwindelig bei dem Gedanken, daß ich nichts auslassen darf, denn sonst wird es schwierig, sagt ihre Mama, besonders die "Einschlaf-Elfen" dürften unter keinen Umständen vergessen werden.

Abends sitzt Anna frisch gewaschen und den Teddy fest in der Armbeuge haltend im Bett und schaut mich erwartungsvoll aus (leider) hellwachen Augen an. Ihre Zähne hat sie endlos lange und sorgfältig geputzt, und ihre langen Haare sind zu einem dicken Zopf geflochten. "Bitte, keinen Zopfhalter, Oma, der drückt mich sonst!"

Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, hüstele mich frei und fange an zu singen: "La le lu, nur der Mann im Mond schaut zu, wenn die kleinen Babies schlafen, schlaf auch du." So, das ist reibungslos über die Bühne gegangen! Nun folgt das Spiel mit den drei Tieren. Ich sage: "Träume schön von der Maus, dem Elefanten und dem Känguruh!" Anna erfindet auch schon mal ein Fabeltier dazu. Diesmal heißt es "Tingawuh". Klingt das nicht indianisch? Anna meint (gähnend): "Das ist Arabesisch." Was kommt denn jetzt? Ach ja, die Einschlaf-Elfen! "Träume schön von Elli, Samantha und Anton." (Elf Anton ist am Anfang immer abwesend, denn er spielt noch im Sandkasten.) "Träume schön von Ellis goldenen und Samanthas silbernen Flügeln und besonders von Antons rötlichen, und die sind aus ,Bronze'!"

Ich weiß: das Wort Bronce muß ich absichtlich falsch aussprechen, denn nun kann Anna mich verbessern: "Oma, das spricht man französisch aus." Habe ich auch nichts vergessen? Jetzt noch das Nachtgebet und anschließend der Gute-Nacht-Kuß. Aufatmend schließe ich die Tür hinter mir, nicht ohne vorher ganz laut "Küßchen" durch den Türspalt zu rufen. "Oma, das heißt aber ,Bussi'!" Geschafft! Erleichtert schleiche ich die Treppe hinunter und höre noch aus der Ferne Annas schon schläfriges "Bussi, Bussi, Bussiii ..."

Froh gestimmt verkünde ich Opa die gute Nachricht, daß das Sandmännchen seinen Sack schon geöffnet hat. Zwei Minuten später, wir haben es uns gerade vor dem Fernseher gemütlich gemacht, steht die Kleine mit Schmollmund im Türrahmen. "Omiii!" (Achten Sie auf die drei i!) "Was ist denn jetzt noch, Anna?" - "Omi, Sa-mantha hat Halsschmerzen und weint laut." Und ich dachte immer, Phantasiewesen wie Einschlaf-Elfen seien von allen menschlichen Widrigkeiten befreit. "Ja, was machen wir denn da, Anna? Wie wär's mit Salbeitee?" - "Igitt, da weiß ich aber was viel Besseres, Oma. Gib Samantha einfach ein Schokoladenplätzchen aus deiner Dose. Ich bringe es ihr aber selbst!"


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