03.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.06.04 / "Natürlich wird die Zukunft nicht nur rosig sein" / Kersten Radzimanowski im Gespräch mit der Vorsitzenden des Herder-Vereins im Kreis Mohrungen, Ursula Manka

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. Juni 2004


"Natürlich wird die Zukunft nicht nur rosig sein"
Kersten Radzimanowski im Gespräch mit der Vorsitzenden des Herder-Vereins im Kreis Mohrungen, Ursula Manka

Ein Herder-Verein in Mohrungen. Heißt das nicht, Eulen nach Athen zu tragen? Ist Herder nicht ein Anliegen der ganzen Stadt und seiner Verwaltung?

Manka: Ihre Frage klingt lustig, aber leider ist es im wirklichen Leben nicht immer lustig. Herder gehört zu den Persönlichkeiten, die von den Polen schon fast als Angehöriger ihrer Nation angesehen werden. Insofern bot sich Herder und sein Eintreten für die slawischen Völker als Namensträger für unseren Verein an, um eine Brücke zwischen der deutschen Bevölkerung und den Behörden zu schlagen. Unser Verein, der 1992 in Mohrungen gegründet wurde, zählt heute mehr als 250 deutschstämmige Mitglieder, Familienangehörige nicht mit eingerechnet. Als zum 250. Geburtstag von Johann Gottfried Herder im Jahre 1994 eine große Festveranstaltung stattfand, wurde erstmals wieder in der Öffentlichkeit Mohrungens eine Rede in deutsch gehalten. Gleichberechtigt, gleichwertig neben dem Polnischen. Das war ein tief bewegender Augenblick für mich. In diesen zehn Jahren hat sich vieles zum Positiven für uns verändert.

In diesen Wochen ist auch Mohrungen Teil der EU geworden. Welche Erwartungen oder Befürchtungen haben die Deutschen, die hier leben?

Manka: Zunächst einmal freuen wir uns darüber. Natürlich wird die Zukunft nicht nur rosig sein, doch als Deutsche in Polen sind wir wie nie zuvor gefragt - unsere Kontakte, Beziehungen, unser Wissen und unsere Sprachkenntnisse. Mit der Entscheidung Polens zur Mitgliedschaft in der EU hat sich unser Stellenwert in der Gesellschaft spürbar verbessert. Aber der Beitritt ist auch eine großartige Leistung, die die deutsche Bevölkerung insgesamt erbracht hat, um Polen den Weg in die EU zu ebnen. Wir sind Hoffende, hoffen darauf, daß nun die Welt offener und die verantwortlichen Politiker ehrlicher werden. Aber insgesamt gibt es auch die Angst vor einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, der Teuerung, die sich mit der Freude und den großen Erwartungen gegenüber dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft mischen.

Wie gestaltet sich die praktische Arbeit des Vereins?

Manka: Eine herausragende Bedeutung hat die Pflege der deutschen Sprache und Kultur. Zur Zeit haben wir drei Sprachgruppen, in denen die Kenntnisse in der deutschen Sprache vervollkommnet werden - oder auch für Sprachanfänger, zum Beispiel polnische Mitbürger, die sich verstärkt für unsere Muttersprache interessieren. Ganz besonders stolz sind wir auf unsere Mutter-und-Kind-Gruppe, wo schon die Vorschulkinder zusammen mit ihren Muttis richtiges Deutsch lernen. Auch hier sieht man einen großen Fortschritt, zwei von den drei Deutschlehrern, die unterrichten, haben selbst in der Schule nicht eine Stunde Deutsch gehabt, denn Deutschunterricht war in Polen lange verboten. Anläßlich des Europa-Tages ist in Horn, an der Bahnstrecke zwischen Mohrungen und Allenstein, etwa zehn Kilometer von der ehemaligen Kreisstadt gelegen, am 4. Mai ein buntes Kulturprogramm gestaltet worden, an dem auch deutschstämmige Jugendliche Gedichte in deutsch rezitierten und ein kleines Theaterstück aufführten. So sind auch wir Deutsche in Ostpreußen ein Teil des vereinten Europas, um noch einmal auf Ihre vorige Frage zurückzukommen. Es macht uns sehr stolz, daß im März dieses Jahres der Jugendverband der Deutschen in Ostpreußen hier bei uns in Mohrungen gegründet wurde und seinen Sitz hat. Auch der Zweite Vorsitzende des Jugendverbandes ist ein Mohrunger. Darüber freuen wir Herderaner uns natürlich sehr. Des weiteren gibt es bei uns auch eine Handarbeitsgruppe, in der unsere alte Volkskunst gepflegt und weitergegeben wird. Die kleinen Kunstwerke sind inzwischen ziemlich gefragt, und die Frauen haben so einen kleinen Nebenerwerb. Interessant auch, was der Landfrauenverein bei der Dachorganisation der deutschen Minderheit auf die Beine stellt. Regelmäßig werden zum Beispiel Seminare angeboten, um den Agrartourismus zu fördern - Urlaub auf dem ostpreußischen Bauernhof! Zu nennen wäre auch der Bauernverein, der ebenfalls beim Dachverband angesiedelt ist. Sehr hilfreich ist für die hiesigen Bewohner, daß über diesen Verein auch Kredite für deutschstämmige Bauern vermittelt werden. Für die Mohrunger gibt es einen Experten, der von Allenstein aus entsprechende Anträge prüft und seine Empfehlungen gibt. Durch diese Kredite, die auch für Handwerker und andere Unternehmen vergeben werden, ist schon vielen eine gesicherte Existenz ermöglicht worden. Nicht zuletzt ist unser Herder-Verein einer der drei Träger einer Johanniter-Sozialstation in Mohrungen, die eine sehr wichtige und von der Öffentlichkeit hoch anerkannte Arbeit leistet. Aus anderen Teilen Ostpreußens waren schon verschiedene Vereine bei uns, um sich über das Wirken der Station zu informieren und Vergleichbares in ihren Regionen aufzubauen.

Was sind Ihre Wünsche hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen dem Herder-Verein und der Mohrunger Kreisgemeinschaft?

Manka: Einfühlsamkeit und gegenseitiges Verständnis werden hoffentlich wieder die Atmosphäre zwischen unseren Vereinen prägen. In den letzten sechs Jahren hat es faktisch keine Zusammenarbeit gegeben, und das hat uns sehr traurig gestimmt. Es hat uns verletzt, wenn Landsleute aus der Bundesrepublik uns als "ehemalige Deutsche" abqualifizierten. Aber das ist hoffentlich Vergangenheit. Demnächst wählt der Mohrunger Kreistag eine neue Leitung. Es ist nicht unsere Sache, der Kreisgemeinschaft Ratschläge zu erteilen. Aber einen Wunsch möchte ich äußern: Der künftige Vorstand findet auf den Weg der Partnerschaft zurück. Gemeinsam geht's besser, denn geteiltes Leid ist halbes Leid, aber geteilte Freude ist doppelte Freude. Es liegt nicht zuletzt an jedem einzelnen von uns, ob wir viel Grund zur Freude in den nächsten Jahren haben werden.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren