Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
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Preußische Allgemeine Zeitung / 12. Juni 2004
Bis zum Anfang des Jahres 1991 war das nördliche Ostpreußen in den Herzen aller Menschen, die dort ihre Wurzeln hatten, eine offene Wunde. Erst dann hob sich der bis dahin unüberwindliche Eiserne Vorhang und gab diese alte Kulturlandschaft oder vielmehr das, was noch von ihr übriggeblieben war, nach und nach frei. Es gab schon im Vorfeld dieses historischen Ereignisses Kontakte zu den neuen Bewohnern des Königsberger Gebietes, und als erkennbar wurde, daß insbesondere die dort geborenen Generationen angesichts der überall noch sichtbaren Reste deutscher Vergangenheit eine spezifisch eigene Identität in diesem besonderen historischen Umfeld suchten, fanden sich viele in den Westen geflüchtete Ostpreußen bereit, diesen "Neubürgern" dabei zu helfen, diese zu finden. Eine von den "Altbürgerinnen" war Frau Volkerding, die als Beate Kaukars am 24. September 1944 in Hartenstein im Kreis Anger-burg/Ostpreußen geboren wurde. Schon bald färbte sich im Osten der Himmel rot, und die Familie mußte - gemeinsam mit Tausenden von Landsleuten - im Januar 1945 in den Westen fliehen. Die Familie landete in Surendorf im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Dort besuchte Beate Volkerding die Volksschule, machte am Ricarda-Huch-Gymnasium für Mädchen in Kiel das Abitur und studierte in Kiel die Studienfächer Geschichte und Deutsch sowie theoretische und praktische Pädagogik. Nach erfolgreicher Prüfung für das Lehramt an Volksschulen unterrichtete sie an der Grund- und Hauptschule Glinde im Kreis Stormarn. Am 27. Februar 1970 heiratete sie den Arzt Dr. med. Rainald Volkerding. Nach einer Versetzung von der Hauptschule im Schulzentrum Glinde an die 3. Oberschule (Gesamtschule) in Berlin-Spandau im Jahre 1975 leitete Beate Volkerding ab 1977 als Rektorin den Fachbereich Gesellschaftskunde. Erst 1985 kehrte sie nach Hamburg zurück und führte an der Bruno-Tesch-Gesamtschule als Abteilungsleiterin die Sekundarstufe I. Am 7. Dezember 1987 kam es dann zu der lang ersehnten Geburt eines Kindes, der Tochter Marit. Nach dem Erziehungsurlaub ließ sich Beate Volkerding dann ohne Dienstbezüge im Jahre 1988 beurlauben. Die Heimat Ostpreußen hat das Leben von Beate Volkerding von klein auf begleitet und bestimmt. Kindheit und Jugend waren gezeichnet von Schrecken und Flucht, Verlust und Einfindung in neue Lebensumstände. Aber eben auch von Rettung und Überleben. Später folgten das Studium, die prägenden Erfahrungen in der Evangelischen Studentengemeinde, die entscheidende Begegnung mit Rainald Volkerding, das gemeinsame Leben in Hamburg und Berlin sowie die vielfältigen Erfahrungen in Beruf und Freundeskreisen. Alles erlebte und gestaltete Beate Volkerding mit Leib und Seele und viel Herzblut. Als sie ein Thema wählen mußte für die schriftliche Examensarbeit, wählte sie "Das kulturelle und wirtschaftliche Leben Ostpreußens im 18. Jahrhundert". Und nachdem es endlich möglich war, die jahrzehntelang gesperrte Militärzone "Königsberger Gebiet" wieder zu betreten, gehörte Beate Volkerding zu den ersten, die es in die Heimat zog. Im Jahre 1991 begannen die unzähligen Reisen nach Nordostpreußen - Hilfstransporte wurden initiiert und begleitet, in der Ostpreußi- schen Dittchenbühne in Elmshorn übernahm sie die Leitung des Puppentheaters und des Tanzkreises und unterrichtete Rußlanddeutsche in der Muttersprache. Hatte sie sich schon in den 70er Jahren im Kirchenvorstand ihrer Heimatgemeinde engagiert, so gehörte sie jetzt zu den Gründungsmitgliedern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Nordostpreußen. Und als es zu Anfang der 90er Jahre darum ging, endlich alle In- itiativgruppen, Vereine und Heimatkreisgemeinschaften der Landsmannschaft Ostpreußen in Schles- wig-Holstein zu einem Gesprächskreis zusammenzuführen, um die anstehende Arbeit im Königsberger Gebiet zu koordinieren, war es wiederum Beate Volkerding, die dafür sorgte, daß auch der Verein Gedenkstätten Königsberg Mitglied in der "Arbeitsgemeinschaft Nord-Ostpreußen" (AGNO) wurde und es zu einem kontinuierlichen, fruchtbaren Gedankenaustausch zwischen den Gruppierungen der Landsmannschaft und den neu gegründeten Vereinen kam. Im Jahre 1991 begann dann die äußerst aktive und zukunftsorientierte Arbeit im neu gegründeten Verein Gedenkstätten Königsberg, deren Vorsitz in Hamburg sie von 1995 bis zu ihrem Tode innehatte. Parallel zur Gründung des deutschen Gedenkstättenvereins in Hamburg entstand in Königsberg / Kaliningrad eine entsprechende russische Sektion in der Rechtsform eines Kulturfonds unter dem Namen "Pamjatniki Kenigsberga" - Heimatbund Königsberg. Die beiden Vereine stellten sich die gemeinsame Aufgabe, in Nordostpreußen Denkmäler, Kunstwerke und andere Zeugnisse aus sieben Jahrhunderten deutscher Kultur aufzuspüren und wieder herzustellen. Hier seien nur einige wenige Projekte genannt, die auf Initiative der beiden Gedenkstättenvereine wie-derhergestellt werden konnten: das Denkmal von 1923 an der Radziwill-Straße für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten, das Denkmal zu Ehren des Mitbegründers und ersten Direktors des Königsberger Tiergartens, Hermann Claaß (1841-1913) im Königsberger Zoo mit der Skulptur "Knabe mit Löwen" des Königsberger Bildhauers Walter Rosenberg (1881-1945), die Reliefs "Schwebende Nymphe" und "Mädchen mit Bernstein" von Hermann Brachert (1890-1972) im Hermann-Brachert-Museum in Georgenswalde/Otradnoje bei Rauschen/Svetlogorsk, eingerichtet in dem Haus, in dem Brachert trotz Berufsverbots von 1933-1945 lebte und arbeitete, oder die Skulptur "Nach dem Bade" des Königsberger Bildhauers Stanislaus Cauer (1867-1943), früher neben der Luisenkirche an der Lawsker Allee/Prospekt Pobedy, jetzt Kunsthalle. Ganz besonders am Herzen lag Beate Volkerding jedoch die Deutschordenskirche Arnau, die etwa zwischen 1340 und 1370 zehn Kilometer östlich des Königsberger Stadtzentrums auf einer Anhöhe des nördlichen Steilufers des Pregel erbaut wurde und die Nachkriegszeit deshalb überstand, weil sie bis 1994 als Getreidelager der "Sowchose Marijno" genutzt wurde. Um das Ziel zu erreichen, die Arnauer Kirche als Begegnungs-, Gedenk- und Kulturstätte herzurichten, wurde die Ausstellung "Arnau in Not" konzipiert, die in den Jahren 1994 bis 1996 in vielen Städten in Mittel- und Westdeutschland gezeigt wurde. Die erste Präsentation der Wanderausstellung fand im Kieler Rathaus statt. Wie immer bei all diesen Projekten, die nur mit unkonventionellen Maßnahmen zu realisieren waren, war Beate Volkerding Seele und Motor zugleich. Für Theodor von Schön, den großen preußischen Reformer, Staatsminister und Oberpräsidenten, den man als geistigen Führer des preußischen Liberalismus bezeichnen kann, wurden im ehemaligen Pfarrwitwenhaus neben der Kirche in Arnau zwei kleine Ausstellungsräume hergerichtet. Auch gelang es trotz einer Unzahl bürokratischer Hemmnisse und Hürden, die letzte Ruhestätte Theodor von Schöns, der sich Pr. Arnau als Alterssitz ausgesucht hatte, wiederherzustellen. Wenn es heute in Arnau/Marijno wieder eine würdige Grabstätte gibt, dann nicht zuletzt dank des unermüdlichen Einsatzes von Beate Volkerding. Es kam im Jahre 1993 einer kleinen Sensation gleich, als Mitglieder der beiden Gedenkstättenvereine nach dem Forträumen des Schuttes an der Arnauer Katharinenkirche und dem Abriß von Holzställen und Ziegelgaragen auf die Familiengruft derer von Schön stießen. Professor Dr. V. J. Kulakow, Leiter der Baltischen Expedition der Akademie für Wissenschaften in Mos- kau, übernahm mit seinem Team für den Gedenkstättenverein die Ausgrabung und legte Stück für Stück die Gruft frei. Nachdem Beate Volkerding das Einverständnis der noch lebenden Familienangehörigen eingeholt hatte, kam es zum Kauf des 500 Quadratmeter großen Land- stücks, zur Wiederbestattung Theodor von Schöns und zur Errichtung eines Granitblocks mit deutscher und russischer Inschrift auf dieser genehmigten privaten Grab- und Gedenkstätte. Bei all diesen Projekten war es für mich eine große Freude, als Landesbeauftragter für Vertriebene und Flüchtlinge des Landes Schleswig-Holstein mit Beate Volkerding zusammenzuarbeiten. Die Anträge, die sie im Kultusministerium in Kiel stellte, waren immer bestens begründet, förderten die deutsche Kulturarbeit in Osteuropa und dienten der Zusammenarbeit und der Verständigung mit dem russischen Volk. Die Länder Schleswig-Holstein und Bayern förderten - neben vielen anderen Projekten in Nordostpreußen - nicht nur die Wiederherstellung dieser Grabstätte, sondern auch Seminare über Theodor von Schön in der Freien Lauenburgischen Akademie und im Staatsarchiv von Kaliningrad. In den letzten Jahren galt das Hauptinteresse Beate Volkerdings in Königsberg/Kaliningrad der dortigen E. T. A. Hoffmann-Kindermusikschule unter Leitung von Tatjana Rybakina. Auch ihr arbeitsintensives und einfallsreiches Engagement in der Kontaktgruppe zur Förderung der lutherischen Gemeinden im Königsberger Gebiet wird vielen unvergeßlich bleiben! Selbst als es im Frühjahr 1996 nach der schweren Krebserkrankung und Operation zur Gewißheit wurde, daß sie mit diesem Schicksal künftig würde leben müssen, blieb sie sich und ihren Aufgaben und Zielen treu, immer hoffend und auf Gott vertrauend. Bis zuletzt war es ihr Wunsch zu reisen. So führte denn auch ihre letzte Reise im Sommer 2003 in die geliebte Heimat Ostpreußen - gemeinsam mit ihrer Familie. Am 22. April 2004 haben wir von Beate Volkerding in der überfüllten Johanniskirche von Hamburg-Rissen Abschied genommen. Es ist der Pastorin, Dr. Ute Grümbel, in hervorragender Weise gelungen, die Persönlichkeit von Beate Volkerding in ihrem Trauergottesdienst zu würdigen und allen Anwesenden Trost zu spenden. Ihrer gelungenen Charakteristik ist nichts hinzuzufügen: "Beate Volkerding: so viele Begabungen, so viel Energie, Disziplin, Vitalität, Kreativität. So viel gesehen und erfahren, so vieles auf den Weg gebracht und durchgehalten. So viele und vieles kritisch begleitet und bewegt. So vieles gepflanzt - nicht nur im Garten! - und gepflegt, geliebt und bedacht!" |