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19.06.04 / Das Fräulein vom Gut

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. Juni 2004


Das Fräulein vom Gut
von Hannelore Patzelt-Hennig

Zum ersten Mal hatte Albert Rasokat das Fräulein in der Zeit der Heuernte gesehen. Sie war mit dem jungen Herrn vom Gut auf die Wiesen geritten gekommen, wo die Leute bei der Erntearbeit schwitzten. Das Fräulein war ein kesses Persönchen, aber keineswegs arrogant. Sie fand für alle, in deren Nähe sie sich gerade aufhielt, ein freundliches Wort. Und auch dem Albert auf seinem Rübenacker rief sie ein paar nette Sätze zu.

Der Albert hatte daraufhin ganz verdutzt aufgeblickt und gar nicht recht gewußt, was er antworten sollte. Ein paar Tage später aber ergab sich die Gelegenheit, dieses nachzuholen. Das Fräulein kam wieder zu ihm geritten und sprach ihn freundlich an. Und diesmal versäumte er es nicht, sie in ein Gespräch zu ziehen. Bei dieser Unterhaltung war ganz offensichtlich, daß die beiden sich gut verstanden. Aber Albert gab sich an diesem Tag auch so aufgeschlossen wie lange nicht mehr.

Albert hatte es nicht leicht, seit ihm Vater und Mutter kurz nacheinander gestorben waren. Er bewirtschaftete den kleinen Hof jetzt ganz allein. Ihm war auch noch kein Mädel begegnet, das er gern an seiner Seite gesehen hätte. Möglicherweise war ein Grund, daß Albert die Zeit, die ihm der Tag ließ, gern mit Lesen verbrachte. In der guten Stube seines Hauses gab es nämlich ein ganzes Regal voll Bücher - von einer Tante aus der Stadt ererbt. Sie nahmen einigen Einfluß auf sein Leben. Das sollte sich auch bei der kleinsten Unterhaltung mit dem Fräulein vom Gut bald zeigen. Albert bemerkte, wie überrascht sie war. Im Dorf erzählte man, das Fräulein, das seine Ferien immer auf dem Gut verbrachte, sollte einmal die Frau des jungen Herrn werden. Und es war auch ganz verständlich, daß dem jungen Herrn an diesem munteren Geschöpfchen lag. Nur konnte man sich schwerlich vorstellen, daß sich das Fräulein für einen Mann wie den jungen Herrn entscheiden würde.

Die Leute dachten viel über den Herrn vom Gut und das fremde Fräulein nach, wenn sie die beiden gemeinsam über die Felder und durch die Wälder reiten sahen. Und am meisten beschäftigte das in der nun folgenden Zeit den Albert Rasokat, denn er hatte sich mächtig in das Fräulein verliebt. Das gestand er sich selber ein - ohne Wenn und Aber.

Ab Johanni durfte er dann sogar hoffen, daß seine Gefühle gar nicht einseitig waren, sondern daß das Fräulein ihm auch ein wenig zugetan schien. Am Johannisabend nämlich, als die Teerpudel angesteckt wurden und lichterloh brannten, hatte der Albert, ehe sie den Berg hinunterkollerten, im hellen Schein, der auf die Zuschauer ihm gegenüber fiel, das Fräulein mit einigen Leuten vom Gut stehen sehen. Und sie hatte ihm sehr innig zugelächelt. So innig, daß dem Albert ganz weich in den Knien geworden war. Diesen Abend, an dem sich ihre Blicke so tief begegnet waren, vergaß der Albert nicht mehr. Das Fräulein hat er in jenem Jahr aber nicht ein einziges Mal mehr gesehen. Voll Erwartung schaute er dann im folgenden Sommer, während der Zeit um Johanni, nach ihr aus. Aber auch da sah er den jungen Herrn vom Gut immer allein auf die Felder geritten kommen.

Dann kam wieder ein Johanniabend. Es war noch ziemlich früh, als der Albert sich zum Festplatz begab. Noch war kaum jemand da, mit dem er reden konnte. Nur kichernde Marjellchen standen in kleinen Gruppen her-um, von eifrige Reden führenden jungen Burschen kaum beachtet. Die Sonne schien noch keineswegs bereit, sich zu senken. Aber alle warteten auf die Dunkelheit. Dann sollten, wie immer, brennende Teerfässer von Berg zu Tal gerollt werden. Darüber hinaus wollte man in diesem Jahr noch zusätzlich ein Sonnwendfeuer anzünden, über dessen brennende Scheite die Burschen mit ihren Mädchen springen sollten. Diese Kunde verbreitete sich bei allen Hinzukommenden schnell und brachte die Gemüter der In-Frage-Kommenden in Aufruhr.

Dann war es soweit. Die Dunkelheit brach herein, und das übereinandergeschichtete Astwerk begann zu brennen. Die Frage war jetzt, wer es als erstes Paar versuchen würde. Es schien niemand so recht dazu bereit zu sein. Dann ging jemand aus der Runde zu den Leuten vom Gut, die inzwischen auch eingetroffen waren. Erst dadurch wurde Albert auf sie aufmerksam. Freudig stellte er fest, daß sich auch das schöne Fräulein unter ihnen befand. Sein Herz machte ein paar Hüpfer, und sein Blick blieb wie gebannt auf das Fräulein gerichtet. Dem jungen Herrn und ihr wurde nun angetragen, als erste über das Feuer zu springen. Sofort blitzten die Augen des Fräuleins begeistert auf, aber der junge Herr zögerte. Nur widerwillig griff er schließlich doch nach ihrer Hand. Dann machten die beiden ein paar Laufschritte auf das Feuer zu. Aber nur ein paar. Schon blieb der junge Herr stehen. Er ließ ihre Hand los. Sie lief sekundenlang allein. Aber wirklich nur sekundenlang. Da schoß Albert auf sie zu. Im Laufen ergriff er ihre kleine feste Hand, und schon flogen sie in hohem Sprung über die Flammen. Beide gleichzeitig, in voller Harmonie. Jubel brach los. Dann sprang das nächste Paar. Mehr und mehr wagten es unter dem Beifall der Menge.

In dem bunten Treiben fanden Albert und das Fräulein Gelegenheit, sich beiseite zu stehlen. Sie hatten sich einiges zu sagen, was nicht für andere Ohren bestimmt war.

Der junge Herr wartete nur eine kleine Weile, dann ging er mit langen Schritten davon. Und Albert führte das Fräulein eines Tages als seine Frau über die Schwelle seines Hauses.

Sommerliche Landschaft: Wigrinnen am Beldahnsee - auch hier hat man, wie überall im ländlichen Ostpreußen, die Sonnenwende mit Johannisfeuern gefeiert Foto: Bosk


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