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19.06.04 / Sie suchten nicht nur das Abenteuer / Rebecca Bellano auf den Spuren reisender Frauen in vergangenen Jahrhunderten

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. Juni 2004


Sie suchten nicht nur das Abenteuer
Rebecca Bellano auf den Spuren reisender Frauen in vergangenen Jahrhunderten

Im Rahmen der Globalisierung wächst die Welt immer mehr zusammen. Das Fernsehen liefert uns Indianer aus dem Regenwald, Nashörner aus Afrika und Eisberge vom Pol direkt ins Wohnzimmer. Wenn wir uns damit nicht zufriedenge-ben, bieten uns Fluggesellschaften fast überall hin einen Flug an, so daß wir uns alles selbst anschauen können. Pauschalreisen inklusive Safari beispielsweise sind heute für wenig Geld zu haben. Wer jedoch als erster seinen Fuß auf ein bislang unentdecktes Land stellen will, muß inzwischen ins Weltall ausweichen.

Vor nicht allzulanger Zeit war das allerdings noch anders. Nur wenige 100 Jahre zuvor wurden Forscher und Pioniere verzweifelt gesucht. Männer wie Marco Polo, Vasco da Gama, Christoph Kolumbus, aber auch Alexander von Humboldt entdeckten und erforschten die unbekannten Welten fernab der europäischen Grenzen, um Wege für den Handel, die Besiedelung oder auch einfach nur für bunte Phantasien zu ebnen.

Aber nicht nur Männer begaben sich auf bis dato unbetretene Pfade, auch Frauen wagten sich per Schiff, Maultier, Kamel und Sänfte in unbekannte Gefilde. Vor allem Engländerinnen waren hier besonders abenteuerlustig. Statt in luxuriösen Kurorten zu verweilen, begaben sich die Damen mit all ihren für die Zivilisation üblichen Accessoires auf Reisen. Vor allem Diplomatengattinnen kamen weit herum, aber auch unverheiratete Frauen hatten keine Hemmungen, ihr geordnetes Leben hinter sich zu lassen, um fremde, unbekannte Kontinente zu erforschen. "Ein Mann ist auf Reisen nur als Gepäckaufsicht zu gebrauchen, aber wir reisen am liebsten ohne Gepäck", befand gar die junge Engländern Emily Lowe.

So manche Frau machte sich sogar in Männerkleidern verkleidet auf den weiten Weg, da sie sich auf diese Weise mehr Respekt erschleichen und häufig auch bessere Stellenangebote erhalten konnte. Wurden die Frauen jedoch enttarnt, hatte das meistens die Kündigung zur Folge.

Natürlich waren Reisen in die unwegsamen Regionen auch voller Gefahren. "Wir führten keine Waffen bei uns, weil man uns die Partie als ganz gefahrlos schilderte, und hatten zur Verteidigung nichts als unsere Sonnenschirme", so die österreichische Weltreisende Ida Pfeiffer 1846. Ida Pfeiffer konnte sich eines Überfalls erwehren, doch das konnten nur die wenigsten. Alexine Tinne wurde auf ihrer Nilexpedition gleich mehrfach ausgeraubt. Auch Vergewaltigungen waren keine Seltenheit; hierüber schwiegen allerdings die meisten Frauen in ihren teilweise zu Bestsellern avancierenden Reisebeschreibungen.

Doch Sexualität war nicht für alle der schreibenden Damen, die häufig einer höheren sozialen Schicht entstammten, tabu. Haremsbesuche galten als Muß, auf deren detaillierte Beschreibungen vor allem die viktorianischen Leser mit gespieltem Entsetzen reagierten. Auch leisteten sich gewisse "Ladies" einen einheimischen Liebhaber. So mancher fesche Dragoman (Führer) zeigte den Frauen nämlich häufig nicht nur die Schönheiten der Pyramiden.

"Da lag sie, die unbekannte, schwimmende Stadt, mit ihren fremd aussehenden Menschen in all den offenen Veranden, auf den Kais und Molen; die unzähligen Flöße und Boote, Kanus und Gondeln, Dschunken und Schiffe; die schwarzen Rauchwolken der Dampfschiffe, das kräftige Stampfen der Maschinen, Gemurmel und Gekreische; das verwirrende Geschrei von Männern, Frauen und Kindern, die Rufe der Chinesen und das Hundegebell - doch niemand außer mir schien sich darüber aufzuregen." Von Anna Leonowens Beschreibung ihrer Ankunft im Jahre 1862 in Bangkok geht ein ganz besonderer Reiz aus, da sie weiß, daß sie eine der ersten Frauen ihres Heimatlandes ist, die ihren Fuß auf siamesischen Boden setzt. Als erste englische Lehrerin am Hofe König Monkuts taucht sie ein in eine aus europäischer Sicht völlig fremde Welt. Eine Welt, die es heute schon lange nicht mehr gibt, zumal sie sich der unseren beinahe erschreckend angenähert hat.

Grund für die Annäherung sind nicht zuletzt auch jene reisenden Frauen, die als Missionarinnen den christlichen Gott und die damit verbundenen Werte priesen oder als Krankenschwestern mit ihrem Wissen und europäischer Medizin das Leben der Einheimischen veränderten.

"Der Biene gleich dem Stock zu entfliehen und eines Tages mit dem Füllhorn süßer Schätze heimzukehren - den unvergeßlichen Erinnerungen einer durch spannende Abenteuer beflügelten Phantasie, ein Wissen, das den Geist erquickt und aus dem lähmenden Korsett der Vorurteile befreit, und einer größeren menschlichen Anteilnahme: Darin sehe ich den Sinn des Reisens, das einen jeden besser als auch glücklicher macht" (Mary Shelley).

Wer sich näher mit reisenden Frauen befassen möchte, dem ist das wunderschön bebilderte Buch "Die Krinoline bleibt in Kairo - Reisende Frauen 1650 bis 1900" von Barbara Hodgson (Gerstenberg, Hildesheim 2004, geb., 216 Seiten, 24 Euro) zu empfehlen.

Aufbruch zu den Pyramiden: Das Foto zeigt Reisende und Einheimische um 1886 bei dem Versuch, die Pyramiden zu erklimmen.

Begegnung der Kulturen: "Besuch englischer Damen im Haus eines Mohren", nannte J. B. Burges 1875 diese Illustration Fotos: aus dem besprochenen Band


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