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26.06.04 / Fern der Menschen und der Völker / EU-Skepsis ist nicht gleich einer Absage an ein gemeinsames Europa

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. Juni 2004


Fern der Menschen und der Völker
EU-Skepsis ist nicht gleich einer Absage an ein gemeinsames Europa
von Klaus Hornung

Europa sei allzusehr ein "Pro-jekt der Eliten" geworden, kann man selbst in der Welt der Political Correctness hören. Doch wer dann deutlicher und konkreter wird, der wird bald auf den harten Kern dieser Welt treffen: Nationalismus, Rassismus, völkischer Antidemokratismus sind dann die Keulen, die man auf die Kritiker niedergehen läßt.

Daß die Europäer sich in zwei Weltkriegen selbst ruiniert hatten und deshalb 1945 ein Neubeginn durch die Überwindung eines engen Nationalismus dringend war, war ein Motiv, das nichts an Gewicht verloren hat. Aber vielleicht war schon der Beginn der europäischen Integration mit einer "Wirtschaftsgemeinschaft für Kohle und Stahl" 1950 in gewisser Weise ein Fehler. Ihr Erfinder, der Franzose Jean Monnet, hat später selbst bekannt, man hätte besser wohl nicht mit der Wirtschaft, sondern mit der Kultur begonnen, eine weittragende Erkenntnis, die man heute, nach dem Desaster der Europawahl mit ihrer Beteiligung von zum Teil unter 30 Prozent der Wahlberechtigten, gründlich diskutieren sollte. Mit dem Ausbau der Europäischen Kommission zu einer technokratisch-bürokratischen Super-Organisation mit inzwischen bald 30.000 "Beschäftigten" begann jedenfalls ein politischer Irrweg. Allein schon der Sitz der Kommission im Barlaymont-Gebäude in Brüssel offenbart als architektonisches Monstrum aus Stahl und Glas den Geist, besser den Ungeist dieser Kommandozentrale in Gestalt eines gigantischen Konzern-Hauptquartiers. Kalt, funktional, ohne die Andeutung einer historisch-politischen und kulturellen Vision, ein leeres technokratisches Gehäuse, in das der Geist nie einkehren konnte, eine riesige Bienenwabe anonymer Kräfte und Kommandohöhen, fern aller demokratischen Rückbindung, ist Europas Regierungssitz. In einem solchen Gebilde können sich dann natürlich auch leicht Korruption und die Verschleuderung von Steuermilliarden europäischer Bürger breitmachen. Der Sturz der EU-Kommission unter Jacques Santer mit seinen skrupellos sich selbstbedienenden Kommissaren wie dem Deutschen Martin Bangemann und der Französin Edith Cresson, Intima des Präsidenten Mitterrand, brachte es dann 1999 an den Tag, ohne daß die Dinge sich seitdem wesentlich gebessert hätten.

Will sie mit ihren bekannten höchsten Gehältern vom Türsteher über den Dienstfahrer bis zu den Generaldirektoren nicht in Beschäftigungslosigkeit versinken, muß die Kommission natürlich Geschäftigkeit und Regelungswut entfalten. Schon früh sprach man spöttisch über die Regelungen des Krümmungsgrads der Gurken und Bananen, der Fahrersitze landwirtschaftlicher Traktoren und so fort. Nun sollen durch die neue EU-Verfassung die Kompetenzen der Kommission immer mehr ausgeweitet werden, im Verbraucher- und Umweltschutz, in der Gesundheits- und Verkehrspolitik. Erste Proteste dagegen sind jetzt auch von der offiziellen deutschen Politik zu vernehmen, so in einem Brief des baden-württembergischen Europaministers Christoph Palmer (CDU) und des Justizministers Nordrhein-Westfalens, Wolfgang Gerhards (SPD), an Außenminister Fischer, der hier aber kein verständnisvoller Adressat sein dürfte. Ähnlich hat sich bereits der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, gegen den Brüsseler Zentralismus ausgesprochen. Bald könnte es dazu kommen, daß die Kommission die Preise des S-Bahn-Verkehrs und die Zahl der Kindergärten in den Kommunen "europaeinheitlich" festlegt. Inzwischen hat sich selbst der BASF-Vorstand Eggert Voscherau gegen die wachsende Bevormundung durch die EU-Bü- rokratie ausgesprochen, die jährlich der Wirtschaft in Europa Kosten von rund 50 Milliarden aufbürdet und Innovationen verhindert.

Schon seit langem geht von Brüssel ein "substantieller Egalitarismus" aus, wie Lorenz Jäger in diesen Tagen in der FAZ schrieb, die Zwangsbeglückung eines "strukturellen Sozialdemokratismus". So plant man in Brüssel Maßnahmen, "durch Bildung und Ausbildung, über Medien, Kunst, Kultur und Wissenschaft Verhalten, Eintellungen, Normen und Wertvorstellungen (zu) ändern, die die Geschlechterrollen in der Gesellschaft bestimmen und beeinflussen" - ein klares sozialistisches "kulturrevolutionäres Programm" herrschsüchtiger Kommandohöhen, wie wir sie aus der deutschen Kulturrevolution nach 1967 nur allzugut kennen. Trotz christlich-demokratischer und konservativer Mehrheiten im Europäischen Parlament ist in Brüssel längst eine sozialistisch-linksliberale Super-Bürokratie entstanden, eine Herrschaftskaste mit antidemokratischen Allüren. Der Mann auf der Straße hat darüber wohl selten genügend Wissen, aber doch ein feines Gespür, wie hier unser Kontinent mit seiner großen Geschichte und Kultur durch Selbstbedienungsmentalität zur Karikatur gemacht wird.

Die Menschen spüren es, daß hier etwas schiefläuft. Was selbst die Repräsentanten der Political Correctness feinsinnig ein "Eliteprojekt" mit "demokratischen Defiziten" nennen, die man überwinden müsse, zeigt eine Entwicklung, die an die Wand zu fahren droht. Als ob der alte griechische Mythos von der Entführung der Europa es geahnt hätte, wurde in unseren Tagen das Experiment Europa gekapert von einer herrschsüchtigen, demokratieverachtenden (partei)politischen, ökonomischen und medialen Klasse. Der kleine Mann zwischen Finnland und Sizilien, Ungarn und Irland sieht allenthalben, wie hier ein Europa der Banken, Konzerne und Parteien entstanden ist mit dem untrüglichen Maßstab, der den Euro zum Teuro werden ließ, so daß eine große Mehrheit der 450 Millionen Europäer den Eindruck hat, daß die neue Währung nicht unerhebliche Teile der früheren Kaufkraft verschlang und dabei ist, große Teile der Gesellschaft auf ein Armutsniveau zu drücken mit einer entsprechenden kleinen Schicht von Profiteuren.

Wird also das soeben neu gewählte Parlament in Straßburg willens und in der Lage sein, den in die Richtung eines gängelnden, unfreiheitlichen Super-Staates im Zeichen eines "strukturellen Sozialdemokratismus" fahrenden Europazug noch zu stoppen und umzulenken zu einem Europa der Bürger und Völker, echter und verbürgter Subsidiarität anstelle eines öden, zutiefst uneuropäischen und unfreiheitlichen Zentralismus?

Nicht zuletzt aber haben die Machteliten in Europa keine realistischen, oft auch gegensätzliche Vorstellungen von dem, was die abgehobene Fachsprache die europäische "Finalität" nennt. Häufig wird dann ein Höchstmaß an technokratischer Organisation und zentralistischer Bürokratie mit politischer, geistiger und kultureller Kraft verwechselt, die sie doch zum Verdorren bringen muß. Der heute in Brüssel sich austobende "strukturelle Sozialdemokratismus" gleicht - in Aufnahme eines frühen Wortes von Rüdiger Altmann - einem fetten, aber impotenten Kater. Während heute an vielen Stellen des Reformumbaus in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union von "weniger Staat", von "Verschlankung" und so fort die Rede ist, setzt man in Brüssel immer noch und verstärkt auf das Gegenteil, was auf eine Konterkarierung der einzelstaatlichen Reformmaßnahmen hinausläuft.

Überhaupt zeigt sich, daß die eigentlichen Kräfte der Reform und Erneuerung in Europa in den Mitgliedstaaten ihren Ort haben, wohingegen die Brüsseler Bürokratie vor allem eine Organisation der Mittelverteilung und des Verbrauchs des in den Staaten erzeugten Sozialprodukts ist. Gerade die Menschen in den Staaten, die am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetreten sind, hatten da mit dem sowjetrussisch beherrschten einstigen Comecon ihre eigenen bitteren Erfahrungen gemacht, weshalb ihre Furcht, unter anderen Vorzeichen erneut unter einen solchen Superstaat zu geraten, nur allzu verständlich ist. Seine Alternative ist noch immer das Europa der Vaterländer und damit ein Europa, das seinen Wurzeln nahe bleibt. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Sinne schon vor über einem Jahrzehnt von einem Staatenverbund sui generis gesprochen. Skepsis gegenüber dem Brüsseler Zentralismus ist daher gerade keine Absage an Europa, sondern ein Plädoyer für ein Europa, das sich auf seine Wurzeln besinnt, aus denen erneut seine Kräfte zu wachsen vermögen.

Mit seinem "Nein" zur EU entzog er nicht nur Blairs "Labour"-Partei viele Stimmen: Robert Kilroy-Silks Partei erreichte in Großbritannien bei den Europawahlen 17 Prozent der Stimmen. Aber nicht nur in England konnten die EU-Kritiker punkten. Vor allem in den neuen Mitgliedsstaaten ist die Europäische Union nicht sonderlich beliebt. Foto: pa/dpa


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