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03.07.04 / Leserbriefe

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Juli 2004


Leserbriefe

Mit gespaltener Zunge gesprochen

Die Irritationen, die der Leitartikel vom 12. Juni 2004 ("Versöhnung über Gräbern") bei einem Teil unserer Leserschaft ausgelöst hat, sind im wesentlichen damit zu erklären, daß es in zentralen Punkten höchst widersprüchliche Äußerungen des Bundeskanzlers gab. Beim offiziellen Festakt zum 60. Jahrestag der Invasion in der Normandie hatte Schröder in Caen, der Hauptstadt des Départements Calvados, mehrfach und unmißverständlich auf die unterschiedlichen Bewertungsmöglichkeiten dieses Datums abgehoben: was für die Franzosen den Beginn der Befreiung von fremder Besatzung markierte, bedeutete für die Deutschen den Beginn der militärischen Niederlage (Auszüge aus dieser Rede dokumentieren wir nachstehend). Zeitgleich hatte der Kanzler in einer deutschen Sonntagszeitung ein Interview gegeben, in dem er - ebenso unmißverständlich - die Invasion als "Sieg auch für Deutschland" und somit als Beginn der Befreiung der Deutschen interpretierte. Diese Äußerungen kamen in den französischen Medien nicht vor, im Gegensatz zu deutschen Fernsehanstalten, die zum Teil den Eindruck erweckten, Schröder habe dies in der Normandie gesagt. Der Autor des umstrittenen Leitartikels hat sich auf Aussagen gestützt, die ihm vor Ort zugänglich waren; als er später den Tenor der deutschen Berichterstattung und Kommentierung aufarbeitete, hatte er allerdings das Gefühl, auf einer anderen Veranstaltung gewesen zu sein.

"Die Erinnerung Frankreichs an den 6. Juni 1944 ist eine andere als die Deutschlands. Und doch münden sie in einer gemeinsamen Überzeugung: Wir wollen den Frieden ...

Tausende alliierter Soldaten starben an einem einzigen grausamen Tag. Sie zahlten den höchsten Preis für die Freiheit. Deutsche Soldaten fielen, weil sie in einen mörderischen Feldzug zur Unterdrückung Europas geschickt wurden. Doch in ihrem Tod waren alle Soldaten über die Fronten hinweg verbunden, verbunden nämlich in der Trauer ihrer Eltern und Frauen, ihrer Geschwister und Freunde. Vor ihrer aller Schmerzen verneigen wir uns ...

Frankreich und seine Verbündeten, aber auch die Bürger der schwer geprüften Stadt Caen haben jenen 6. Juni 1944 anders in Erinnerung als viele Deutsche. Für Frankreich begann an diesem historischen Tag das ersehnte Ende der Besatzung. Für viele Deutsche symbolisierte der 6. Juni das endgültige militärische Scheitern ...

Die Soldatenfriedhöfe und die Narben der beiden Weltkriege haben den Völkern Europas, besonders dem deutschen Volk, eine andauernde Pflicht auferlegt: Rassismus, Antisemitismus und totalitären Ideologien zu widerstehen. Unsere Ziele heißen Freiheit, Gerechtigkeit und ein würdiges Leben für alle - in Frieden, ohne religiösen Haß, ohne nationalen Hochmut und politische Verblendung. Wir setzen auf das Erbe der Aufklärung, auf Toleranz und auf die tröstliche Schönheit der europäischen Kultur. Diese Ziele zu retten, war und bleibt der Auftrag des 6. Juni 1944.

Europa hat seine Lektion gelernt und gerade wir Deutschen werden sie nicht verdrängen. Europas Bürger und ihre Politiker tragen Verantwortung dafür, daß auch anderswo Kriegstreiberei, Kriegsverbrechen und Terrorismus keine Chance haben ...

Wir schauen auf die Schlachtfelder Europas in großer Trauer. Um so dankbarer sind wir dafür, daß Frankreich und Deutschland heute einander näher stehen denn je zuvor. Aus nationalistischem Irrsinn ist europäische Partnerschaft geworden. Lassen Sie uns diesen Tag des Erinnerns nutzen, um unser gemeinsames Friedenswerk voranzutreiben. Wir wollen ein vereintes, freiheitliches Europa, das seine Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit auf dem eigenen Kontinent und in der Welt wahrnimmt. Das ist unsere Hoffnung. Hoffnung stand auch am Anfang der deutsch-französischen Freundschaft. Vertrauen und Verläßlichkeit sind heute ihr Kennzeichen. Was am 6. Juni 1944 unmöglich schien, ist wahr geworden, weil die Menschen in unseren beiden Ländern es so wollten ..."

 

Meinung über Schröder geändert?
Betr.: "Versöhnung über Gräbern" (Folge 24)

Seit geraumer Zeit bin ich Abonnent und Leser Ihrer Zeitung. Mit großem Interesse verfolge ich wöchentlich Ihre Veröffentlichungen. Doch Ihr obengenannter Artikel hat mich fassungslos gemacht und nunmehr in mir Zweifel an der Seriosität Ihres Mediums ausgelöst.

Mich bewegt die Frage zutiefst, wie "schnell sich die Zeiten wandeln können". Dies vor dem Hintergrund Ihrer nunmehr neuen Persönlichkeitseinschätzung "unser(es) Bundeskanzler(s)". Sicherlich dürfte es Ihnen kaum gelungen sein, vergessen zu machen, daß Sie selbst den Kanzler "in dieser Zeitung oft und heftig kritisiert" haben. Ich verweise insbesondere auf Ihren in der Folge 29 vom 19. Juni 2003 der PAZ erschienenen Beitrag über die "Organisierte Räuberbande"! Aber auch die Feststellungen in Ihrer Ausgabe vom 27. März 2004 zu "Deutschlands politische Probleme" waren alles andere als geeignet, "unserem Kanzler" und seinen Mitstreitern Lob auszusprechen. Vielmehr waren diese zum Teil sehr heftigen Attacken geeignet, das in der Bevölkerung ohnehin vorherrschende Mißtrauen und den Frust gegen das Management in Politik und Wirtschaft zu vertiefen. Dies habe ich begriffen und mir, wie sicherlich viele Menschen in diesem Lande, zu eigen gemacht. Es gibt nun einmal an Schröder und seiner Basta-Politik nichts schönzureden. Aus meiner unmaßgeblichen Sicht auch nicht nach seinem "würdevollen Auftritt" auf dem Soldatenfriedhof von Ranville! Die letzte - wenn auch nicht körperliche - Ohrfeige erhielten Herr Schröder und Genossen am Europawahltag. Dem werden weitere folgen. Die Herren sollten wissen, daß das Volk sich nicht auf Dauer belügen, demütigen und hintergehen läßt. Allerspätestens seit dieser Schlappe sollten die angesprochenen Herren wissen, daß sie sich als abgewählt betrachten müssen. Sie verfügen nicht mehr über das ihnen übertragene Mandat, die Interessen des Volkes zu vertreten. Insofern teile ich im wesentlichen den Inhalt Ihrer Beiträge.

Günter Thimm, Beelitz

 

Ehre nichts mehr wert
Betr.: "Versöhnung über Gräbern" (Folge 24)

"Stolz erhobenen Hauptes sollten wir an die Befreiung in der Normandie denken. Mit diesem Sieg wurde auch Deutschland befreit." So wurde am 6. Juni laufend Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Nachrichten zitiert. Was für eine Befreiung war das? Während uns die Sieger-Journalisten mitteilen: "Wir haben nicht gegen Deutschland gekämpft, um die Deutschen von Hitler und dem Nationalsozialismus zu befreien, sondern um Deutschland zu zerschlagen."

Als 1984 der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl von François Mitterrand darauf angesprochen wurde, an den Feierlichkeiten teilzunehmen, erklärte dieser seinem Freund, daß er nicht kommen werde. Kohl wußte also noch, was sich geziemt.

"Besiegt sind wir. Ob wir nun zugleich auch verachtet und mit Recht verachtet sein wollen, ob wir zu allem anderen Verlust auch noch die Ehre verlieren wollen, das wird immer noch von uns abhängen." Das sagte J. G. Fichte (1762-1814), Philosoph, nach Preußens Niederlage gegen Napoleon.

Dem heutigen Bundeskanzler Schröder ist offenbar die Ehre der Männer und Frauen, die für ihr Vaterland gekämpft und gehofft haben, zu denen auch sein eigener Vater gehörte, nichts mehr wert.

Ruth Bachmann, Bad Arolsen

 

Das tut kein deutscher Kanzler
Betr.: "Versöhnung über Gräbern" (Folge 24)

Die Versöhnung über Gräbern vollzieht sich am besten auf den Soldatenfriedhöfen in Gegenwart von Veteranen und Angehörigen der Gefallenen. Einen Aufmarsch von Poli-tikern benötigt sie nicht. Auch ist es etwas eigenartig, wenn unsere Freunde in unserer Gegenwart einen Sieg über uns feiern. Es waren ja unsere Väter und Großväter, die besiegt worden sind und die gegen eine gewaltige Übermacht tapfer gekämpft haben und von denen viele für ihr Land gestorben sind. Die damaligen Kriegsziele der Alliierten waren keineswegs edel und wollten niemanden befreien. Zu Befreiern haben sie sich erst nach dem Krieg gemacht und machen lassen.

Kanzler Schröder hat den großen deutschen Soldatenfriedhof von La Cambe nicht betreten, obwohl er doch deutscher Bundeskanzler ist. In seiner Rede hat er die Soldaten und Gefallenen der Waffen-SS diskriminiert und ihr Sterben beschmutzt, indem er es zu den bis heute nicht zweifelsfrei geklärten schrecklichen Vorgängen in Ouradur in Verbindung gebracht hat. Das tut kein deutscher Kanzler.

Von meinen Schulfreunden sind in den Reihen der Waffen-SS für Deutschland gestorben: Hubert Ehrhard (19 Jahre), Günter Geib (17 Jahre), Josef Gorne (18 Jahre), Herbert Schusser (19 Jahre), Hans Schweikert (18 Jahre), Norbert Türk (19 Jahre). Sie alle glaubten, ihr Leben für ihr Vaterland einsetzen zu müssen. Für mich stehen sie haushoch über diesem Kanzler. Ihnen die Achtung und die Trauer zu verwehren ist für mich unbegreiflich und fern jeden Anstandes.

Gottfried Trost, Leverkusen

 

Betr.: "Versöhnung über Gräbern" (Folge 24)

Schon dieses Bild vom 4. Juni 2000 zeigt die Versöhnung über Gräbern. Deutsche, Engländer und Franzosen trafen sich damals auf dem Friedhof Kloster Arnsberg. Schröders Ehrerbietung hingegen galt nicht allen. So mied er am D-Day den deutschen Soldatenfriedhof La Cambe, da dort bei 22.000 deutschen Soldaten auch einige Dutzend SS-Angehörige bestattet sind.

Gerhard Kienzle, Gschwend

 

Nur wer in der FDJ war, hatte eine Chance
Betr.: "DDR-Schulsystem war vorbildlich" (Folge 19)

Wo gibt es schon ein vorbildliches Sozialsystem? Auch in der heutigen Bundesrepublik kämpfen die dafür Zuständigen mit den Altlasten der 68er-Revoluzzer für unser Erziehungs- und Bildungssystem.

Meine vier Kinder durchliefen zwischen 1961 bis 1981 die DDR-Einheitsschulen. Die an den DDR-Schulen üblichen SED-Parteisekretäre hatten alles fest im Griff. Erstkläßler wurden von ihren Lehrern mit der "harmlosen" Frage konfrontiert, ob die Fernsehuhr rund oder eckig sei. Und schon stellte sich heraus, in welchem Elternhaus "Westfernsehen" angeschaltet wurde. Während des Unterrichts wurden nur genehme Themen behandelt, der Geschichtsunterricht gefälscht und ideologisch überfrachtet. Wer nicht in die Pio-nierorganisation eintrat (später FDJ), wurde zum Außenseiter und von vornherein davon ausgeschlossen, zur Erweiterten Oberschule gehen zu können und das Abitur abzulegen (meine Kinder haben erst nach ihrer Flucht beziehungsweise Übersiedlung auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur machen können). Denn nur Kinder, die gesellschaftlich aktiv wie ihre Eltern waren, wurden zur Erweiterten Oberschule zugelassen. Ohnehin betraf das nur ein bis zwei Kinder jeder 8. Klasse, die "delegiert" werden konnten. Jungen mußten sich obendrein noch für drei Jahre zum Dienst in der "Nationalen Volksarmee" verpflichten. Fahnenappelle morgens vor dem Unterricht auf dem Schulhof waren genauso üblich wie das Tragen von Pioniertüchern und FDJ-Hemden während des Unterrichts an bestimmten Tagen. Alle Schüler der 10. Klasse, Jungen wie Mädchen, mußten an einem Lehrgang zur "vormilitärischen Ausbildung" zwei Wochen lang teilnehmen.

Wie überall gab es gute und weniger gute Lehrer. Vielseitigkeit und Toleranz waren nur bei wenigen Lehrern vorhanden. Es gab aber auch mutige Lehrer, die sich die Lücken im System suchten und Menschlichkeit erkennen ließen. Der Schreiber des obigen Leserbriefes muß in einem "anderen Land" 40 Jahre Lehrer gewesen sein.

Doris Richter, Berlin

 

Millionen in den Sand gesetzt
Betr.: "Hauptsache: Schuldig!" (Folge 22)

Der Kritik von Thorsten Hinz über die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg in Berlin ist beizupflichten. Man hätte sogar etwas schärfer formulieren können.

Auf der anderen Seite sollte man Nachsicht üben mit Ausstellungsmacher Rother und den beiden Damen Bavendamm und Burchardi, wenn sie nicht die neuere Literatur über den Ersten Weltkrieg kennen. Ihr Wissen ist offensichtlich immer noch von der Zeitepoche des inzwischen ausrangierten Fritz Fischer ("Griff nach der Weltmacht") gekennzeichnet.

Auch die Kenntnis des vor kurzem erschienenen Buches der amerikanischen Professorin Margaret Lavinia Anderson über die praktische Demokratie im deutschen Kaiserreich hätte der Ausstellung bei der Schilderung der inneren Verhältnisse Deutschlands nicht geschadet. Alles in allem: Hier sind Millionen didaktisch in den Sand gesetzt worden.

Ehrhardt Bödecker, Berlin

 

Informationspflicht verfehlt
Betr.: "Rheinwiesen? Alles Legende" (Folge 24)

Wer die Welt oder die Berliner Morgenpost liest, kennt ihren auf dem rechten (von Recht) Auge blinden Historiker und Jünger der Political Correctness Kellerhoff, zumindest dann, wenn er urteilsfähig ist und sich um Wissen bemüht. Für Kellerhoff scheint es nur eine Einbahnstraße zu geben, rechts und links mit hohen Sichtblenden versehen. Ich stelle mir vor, er hat irgendwann studiert, das ihm Vorgegebene aufgesogen und es in seinem Inneren betoniert. Und seitdem scheint er sich nur noch innerhalb seines persönlichen Horizontes zu bewegen. Aber das ist natürlich vorrangig Sache des Chefredakteurs dieser von einer Redaktion gemachten Zeitungen. Nur frage ich mich seit Jahren, ob es unter deren Mitarbeitern wirklich niemanden gibt, der das, was Herr Kellerhoff den Lesern bietet, in Frage stellt.

Ich erinnere mich, daß er an einem Jahrestag des Ausbruchs des sowjetisch-deutschen Krieges nur über einen deutschen Überfall schrieb, kein Wort darüber, was es für Erkenntnisse über die belegbaren Absichten Stalins gab.

Ich meine, daß Welt und Berliner Morgenpost hier ihrer Informationspflicht nicht ausreichend nachkommen.

Volker Reisen, Berlin-Niederschöneweide

 

Eine neue Wahrnehmung der Welt
Fotografie und Malerei: Ausstellung der Münchner Hypo-Kulturstiftung zeigt Gegensätze und Gemeinsamkeiten

Als vor gut einem Vierteljahrhundert im Münchner Stadtmuseum die vielbeachtete Ausstellung "Malerei nach Fotografie. Von der Camera Obscura bis zur Pop Art" gezeigt wurde, sprach die Fachwelt noch von einer "heimlichen Allianz" zwischen Kunst und Kamera. Auch wurde viel diskutiert, ob es für einen Maler schicklich sei, Fotografien als Vorbild zu nehmen. Mittlerweile jedoch weiß man, daß Künstler im 19. Jahrhundert schon mit großer Selbstverständlichkeit Fotografien für ihre Entwürfe nutzten. Das neue Medium fand Eingang in die Archive der Künstler, wie es im 20. Jahrhundert Eingang fand in die Museen. Auf Auktionen erreichen großformatige Aufnahmen von Gursky oder Ruff zum Beispiel oft Millionenbeträge, Summen, von den Maler meist nur träumen können. Seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts nutzten Maler Fotografien als Vorlagen für ihre Studien. Arnold Böcklin allerdings betonte, die Fotografie hebe unwesentliche, kleinliche Geschichten hervor und lasse die Gesamtform fast verschwinden - "sie gibt den Schatten schwarz und undurchsichtig und warme Töne diesem gleich." Dennoch nutzte er wie andere auch das neue Medium. Sich ständig ändernde Wolkenformationen, Porträt- und Aktfotos waren die Motive, aber auch Tierstudien und Bewegungsabläufe. Fotos als Skizzen der Wirklichkeit.

Auch die Kunstakademien nutzten bald die Vorteile der Fotografie und legten erste Archive an. In Mailand, Paris, Berlin und Wien haben sich solche Archive für den akademischen Unterricht in Malerei, Bildhauerei und Architektur erhalten. Aus diesen Lehrsammlungen entwickelten sich häufig später die Keimzellen der Museumsabteilungen. In dem Fachblatt Kunst-Chronik aus dem Jahr 1873 las man: "Keinem technischen Hülfsmittel der Gegenwart ist die Kunstwissenschaft zu solchem Danke verpflichtet wie der Photographie. Sie eigentlich hat uns erst in die Lage gesetzt, vergleichende Studien mit jener Sicherheit zu betreiben, auf welche der Wechsel subjektiver Stimmung, der Beleuchtung, der Tageszeit, des Aufbewahrungsortes keinen Einfluß mehr übt. Die durch die weiteste Entfernung getrennten Objekte führt die Photographie in einer Nachbildung, mit deren Treue Nichts wetteifern kann, uns neben einander zu Prüfung vors Auge und läßt uns zu Wahrnehmungen gelangen, an welche vorher nicht zu denken gewesen wäre."

Auch umgekehrt nutzte man die Vorteile der Fotografie - zur Verbreitung der Werke mittels fotografischer Reproduktion. Adolph von Menzel retuschierte sogar höchstpersönlich die Negative: "Nach der ersten Retouche verlangte er Probeabzüge, retouchierte dann, wenn nötig, abermals und wiederholte das ein Dutzend mal, bis er befriedigt war. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, lebte er sich förmlich in die Natur eines Negativs, welches doch eigentlich für den Künstler eine verkehrte Welt ist, ein." Mit Erfolg: 1867 wurde auf der Pariser Weltausstellung eine großformatige Reproduktion von Menzels Gemälde "Tafelrunde Friedrichs des Großen in Sanssouci" mit einem Preis gekrönt. Sie bestand aus neun einzelnen Teilen und war meisterhaft zusammengefügt worden. In einem anderen Werk des Breslauers erhielt die Fotografie ebenfalls eine besondere Bedeutung: die "Krönung Wilhelms I. in Königsberg am 18. Oktober 1861". Vier Jahre lange arbeitete der Meister an diesem Gemälde, auf dem 132 Personen dargestellt sind. Für einige der Porträts mußte er Fotografien in Anspruch nehmen, weil die Porträtierten entweder verstorben waren oder nicht Modell sitzen wollten. Die enge Verbindung dieser beiden Künste, aber auch die Unterschiede zeigt eine Ausstellung in der Kunsthalle der Hypo-Kultur-stiftung in München. Noch bis zum 18. Juli sind unter dem Titel "Eine neue Kunst? Eine andere Natur!" rund 260 Fotografien und 40 Gemälde aus dem 19. Jahrhundert zu sehen (Theatiner Straße 8, 80333 München, täglich 10-20 Uhr; Ka- talog im Museum 35 Euro). Hier kann man durchaus entdecken, daß die Fotografie im 19. Jahrhundert eine eigenständige Bildwelt und Ästhetik entwickelte, zugleich aber auf die Tradition der Malerei Bezug nahm. "Auch wenn die Fotografie im 19. Jahrhundert unter dem Druck stand, sich als Kunst zu legitimieren und eine autonome künstlerische Ästhetik zu entwickeln, die sich gegenüber den Künsten behauptete, so ist eine besondere Faszination mit ihr verknüpft", erläutert Ulrich Pohlmann, Kurator der Ausstellung im Katalog. "Sie hält eine andere Natur der Erscheinungen fest, die geprägt ist von der Ästhetik des Zufälligen, der Vorliebe für das Beiläufige des täglichen Lebens, aber auch von dem Prinzip der seriellen Produktion von Aufnahmen." So habe die Fotografie "uns zugleich eine neue Wahrnehmung der Welt vermittelt". Helga Steinberg

 

Wie sich die Bilder gleichen: Wolkenstudie von Adolph v. Menzel (Öl, 1851; im Besitz der Nationalgalerie Staatliche Museen zu Berlin) und Wolkenstudie mit Kuppel in Rom von Carlo Simelli (Foto/Albuminpapier, 1860/62; Sammlung Dietmar Siegert, München)


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