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10.07.04 / Keineswegs nur guter Engel für NS-Opfer / Wegen Sippenhaft erhält die Tochter

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Juli 2004


Keineswegs nur guter Engel für NS-Opfer
Wegen Sippenhaft erhält die Tochter von Albert Speer Moses-Mendelsohn-Preis nicht in Berliner Synagoge

Die Berliner Erziehungswissenschaftlerin Hilde Schramm, eine rüstige Mittsechzigerin, ist eine vielbeschäftigte Frau. Sie war viele Jahre in der Friedensbewegung tätig, und in Berlin-Steglitz, wo sie wohnt, brachte sie Plakate über die Vergangenheit des Bezirkes an - über die NS-Vergangenheit selbstverständlich. Sie gehört zu den Initiatoren der kostspieligen und von Pleiten, Pech und Pannen begleiteten "Topographie des Terrors". Von 1985 bis 1990 saß sie für die Grünen im Abgeordnetenhaus und wurde dort sogar Vizepräsidentin. Sie machte von sich reden, als sie sich weigerte, die Eröffnungsformel mit dem Bekenntnis zur deutschen Wiedervereinigung zu sprechen. Als die deutsche Einheit trotzdem kam, wußte sie sofort, was den neuen Ländern nottut. Sie gründete in Brandenburg die "Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen" und war bis 1999 deren Leiterin. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Ausländer zu beraten, interkulturelle Projekte in Schulen und Kindergärten zu organisieren und Material zur Lehrerweiterbildung zu erarbeiten, mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus. Sie ist Initiatorin der Stiftung "Zurückgeben", die es sich zum Ziel gesetzt hat, "arisiertes" Vermögen an die Nachkommen enteigneter Juden zurück-zugeben. Auch ist sie Gründungsmitglied des Vereins "Kontakte", der sich für die Entschädigung von NS-Opfern aus Osteuropa einsetzt.

Sie wäre trotzdem kaum mehr als eine rührige Betriebsnudel im Antifa-Geschäft, wenn sie nicht gerade die Tochter des NS-Rüstungsministers Albert Speer wäre. In dieser Eigenschaft hat sie es zu einer fragwürdigen Bekanntheit gebracht, die ihr jetzt den Moses-Mendelsohn-Preis des Landes Berlin einbringt. Dieser sollte ihr am 6. September zu Beginn der Jüdischen Kulturtage in der Synagoge in der Rykestraße (Berlin, Prenzlauer Berg) verliehen werden. Dagegen aber hat sich der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Albert Meyer, gewandt. Er wirft dem Preisgericht vor, Schramm wegen ihres Verhaltens "als Tochter von Albert Speer" zu ehren. Ältere Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die unter Speer Zwangsarbeit leisten mußten, könnten sich verletzt fühlen. Auch der besonnene, stets um Ausgleich bemühte Geschichtswissenschaftler Julius Schoeps, der Sohn des Preußenhistorikers Friedrich Schoeps, hält die Entscheidung für fragwürdig: "Wenn die Jury der Meinung ist, daß Schramm der Preis zusteht, bin ich gespannt auf die Begründung."

Meyer und Schoeps haben recht mit ihrer Ablehnung, denn wenn man sich mit Hilde Schramm näher beschäftigt, bekommt man Zweifel an der Lauterkeit ihrer Motive. Es drängt sich die Frage auf, ob Schramms moralische Motive nicht vorgeschoben sind, um die Schuld, die mit dem Namen ihres Vaters verbunden ist, zu kollektivieren und eine Beschäftigung mit ihren eigenen Komplexen, die daraus folgen, zu vermeiden.

Schramm war in den 80er Jahren offensichtlich der Meinung, daß die Deutschen durch die fortwährende Teilung des Landes eine "Kollektivschuld" abzubüßen hätten. Mit der Schuld und Strafe ihres Vaters, der im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß mit 20 Jahren Gefängnis vergleichsweise milde davonkam - der viel weniger einflußreiche Gauleiter Fritz Sauckel wurde wegen seiner Beteiligung an der Zwangsarbeiterrekrutierung immerhin zum Tode verurteilt - kam sie weniger zurecht. Die Speer-Biographin Gitta Sereny hat detailliert geschildert, wie Schramm sich seit den frühen 50er Jahren intensiv um die Freilassung ihres Vaters bemühte. "Hilde, vielleicht der Mensch mit der tiefsten moralischen Gesinnung, dem ich je begegnet bin, hat rund zehn Jahre ihres jungen Lebens geopfert, um den Lebensmut ihres Vaters in Spandau zu stärken." Sie suchte zum Beispiel den ehemaligen US-Hochkommissar McCloy und US-Außenminister Dean Acheson auf. 1960 fuhr sie nach London und Paris, um bei Regierungsstellen vorzusprechen. Auch bei Bundespräsident Lübke, bei Kanzler Ludwig Erhard und beim Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, wurde sie vorstellig. Letztlich scheiterten ihre Bemühungen am Veto der Sowjets. Ihr Vater sah am Ende seines Lebens das Urteil als korrekt an und sah seine Hauptschuld "in der Billigung der Judenverfolgung und der Morde an Millionen von ihnen".

Darüber hört man nichts von Hilde Schramm. Über ihre eigene, privilegierte Kindheit mag sie ebenfalls nicht reden. Die Speers wohnten viele Monate im Jahr in der Nähe von Hitlers Berghof bei Berchtesgaden. Dabei kam es auch zu Kontakten mit dem "Führer". Obwohl sie ein "geistig freier Mensch [ist], ist es sehr schwie-rig, über Hitler und das Leben zu reden, das sie in ihrer Kindheit in seiner Nähe verbrachte. Sie kann oder will die Erinnerung daran nicht ertragen, daß Hitler ... manchmal zu ihnen hereinschaute, Kakao trank und mit den kleinen Speers spielte. Hilde kann die Tatsache nicht akzeptieren, daß es Zeiten gab, in denen Hitler sich ganz normal und freundlich verhielt und in denen sie ihn vielleicht sogar mochte", schreibt Sereny. Sie stützt sich auf den Bericht der Speer-Haushälterin Clara Samuels. Hilde Schramm dagegen behauptet, Hitler nur selten und bei offiziellen Anlässen gesehen zu haben und zur Begrüßung nur pflichtgemäß angetreten zu sein, was sie gehaßt habe. Sie wußte nicht, daß es Fotos gibt, auf denen die Speer-Kinder in Lederhosen und Dirndlkleidchen Hitler umringen oder an der Hand des Führers spazierengehen. Beim Hitler-Geburtstag 1943 hält eine strahlende Hilde die Hand Adolf Hitlers. Schramm, deren Steckenpferd die antifaschistische Erziehungsarbeit ist, weigert sich, sich mit ihren eigenen Gefühlen gegenüber Hitler zu beschäftigen. Sereny: "Eine rückwirkende, objektive Betrachtung der Gefühle, die sie selbst und andere damals für Hitler empfanden, ist Hilde nicht möglich ..."

Die Mitscherlichs nannten das einst: "Die Unfähigkeit zu trauen", ein Buch, das auch Schramm garantiert kennt. Es gibt Zweifel an der moralischen Kompetenz Hilde Schramms. Die Berliner Jüdische Gemeinde hat richtig daran getan, die Synagoge vor ihr zu verschließen. A. Kühnel

Widersprüchlich: Hilde Schramm (l.) sagt, sie hätte Hitler als Kind nicht gemocht, doch zahlreiche Fotos zeigen die Tochter Albert Speers, wie sie und ihre Geschwister mit Hitler übermütig spielen. Fotos (2): Spiegel Online, Ullstein


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