19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
24.07.04 / Faszination eines Malers

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24.Juli 04


Faszination eines Malers
von Andreas Albert

Der Dresdner Künstler Georg Gelbke (1882-1947) weilte nachweislich in den Jahren 1934 bis 1937 mehrere Monate auf der Kurischen Nehrung. Zunächst im alten Künstlerort Nidden bei seinem Schwager und Malerfreund Richard Birnstengel angesiedelt, erkundete Georg Gelbke in rastloser Tätigkeit mit Pinsel und Zeichenstift die weitere Umgebung. So tauchen in seinen Skizzenbüchern Ortsnamen wie Pillkoppen, Rossitten sowie die jenseits des Haffs gelegenen Dörfer Gilge und Inse auf. Die sich über dem schmalen Land entfaltenden weiten Räume von Wasser und Himmel regten den Maler zu überaus fruchtbarem Schaffen an. Erstaunlich ist die sommerliche Ausbeute in einer Fülle von Skizzen und Aquarellen.

Auf seinen Wanderungen über die Dünen faszinierte Gelbke aber nicht nur die Landschaft in ihrem wechselvollen atmosphärischen Reiz, sondern auch die Menschen in dieser Landschaft. Zu den Fischern, die mit dem Element des Wassers vertraut sind, zu den an der Erde, in ihren farbenprächtigen Blumengärten arbeitenden Frauen der Fischer gesellten sich als ein herausragender künstlerischer Themenkomplex auch die Eroberer der Lüfte, die Segelflieger.

Zwischen den Fischerdörfern Pillkoppen und Rossitten auf der Nehrung entfaltet sich ein langgezogenes Dünengebiet mit in der Sonne gleißenden Steilhängen bis zum Haff. Der Altdörfer, der Skielwiet, der Predin und der Schwarze Berg ragen mit ihren höchsten Erhebungen von 30 bis 60 Metern über die etwa acht Kilometer lange Dünenkette heraus. Dieses Gelände zwischen dem Predin und dem Schwarzen Berg eignete sich vortrefflich für die Segelfliegerei. Bereits im Mai 1923 fand der "Erste Deutsche Küsten-Segelflug" statt. Ein Jahr darauf gründete die Rhön-Rossitten-Gesellschaft eine Segelfliegerschule, die bis 1944 bestand. Der ostpreußische Segelflieger Ferdinand Schulz stellte 1924 einen Weltrekord auf, indem er 8 Stunden und 42 Minuten in der Luft blieb. Später steigerte er diese Zeit auf einen Rekord von 14 Stunden und 7 Minuten.

Der Maler und Graphiker Archibald Bajorat, ein Zeitzeuge jener Tage, als man sich über mögliche Schäden an den Dünen noch keine Gedanken machte, berichtete: "Vor dem Kriege dachte man noch nicht an die Zukunft der Düne. Da wurde munter mit Segelflugzeugen drauflos gesegelt! Die Seilmannschaft, bestehend aus mindestens acht Mann, lief mit dem gespannten Gummiseil den steilen Abhang hinab und zog so das Segelflugzeug in den Aufwind hinein, der vom Haff herüberwehte ...

Wie eine Möwe flog man lautlos hoch über die Dünenwelt hin und her und hatte von oben einen überwältigenden Blick über die Dünen und die Nehrung sowie gleichzeitig über Haff und Meer. Man war so fasziniert von allem, daß man ungern dem Winken des Fluglehrers mit seiner Fahne folgen wollte, um wieder zur Erde zurückzukehren."

Es nimmt nicht Wunder, daß Georg Gelbke immer wieder die Segelflieger beobachtete und schließlich mit dem Zeichenstift zu Papier brachte. Dabei schuf er eine fast lückenlose Dokumentation, die mit dem Flugzeugtransport auf dem Weg zum Startplatz beginnt. Unter dem Kommando "Laufen" beugen sich die Rücken der Männer, straffen sich die Muskeln beim Ziehen der Gruppe am Gummiseil. Diese Dynamik der laufenden Mannschaft am Dünenhang faszinierte nicht nur den Künstler, sondern auch ein zahlreich erschienenes Publikum, welches in seiner Absonderlichkeit dem karikierenden Zeichenstift Gelbkes zum Opfer fiel.

Natürlich finden sich nach dieser humorvollen Einlage auch Blätter, welche den schwerelos scheinenden Flug über der Dünenlandschaft festhielten. Wir gönnen es den Fliegern, daß sich diese nach der Anspannung der Flugvorbereitung oder dem erfolgten Flug ausruhen möchten, allein - oder in lockerer Gruppe zum Erfahrungsaustausch. Auch diese Augenblicke ließ Georg Gelbke in seiner Dokumentation nicht aus. Hinzuweisen wäre noch auf eine Vielzahl von porträtierten Segelfliegern, welche individuell-charakteristische Züge tragen und oft mit landschaftlichen Andeutungen oder der Fliegermontur eine Einheit zum Thema "Segelflug auf der Kurischen Nehrung" darstellen.

Das Motiv des Fliegens, des schwerelosen Schwebens, hat den Künstler Georg Gelbke lebenslang beschäftigt. Wir finden es in Radierungen, beispielsweise in der Folge "Der Wind" (1913) und zahlreichen weiteren schwebenden oder tanzenden figürlichen Darstellungen. Auf der Kurischen Nehrung beschäftigte ihn der Vogelflug. Blitzschnell wurden die Bewegungen der Möwen erfaßt und skizziert. Schwebende Wolken und schwimmende Fische vervollkommnen Gelbkes Sehnsucht, die Schwere zu überwinden, sich freier im Raum ausbreiten und bewegen zu können. Diese Sehnsucht wird um so verständlicher, wenn man bedenkt, daß der Künstler infolge eines Wirbelsäulenleidens einen mißgestalteten Körper trug, dem er nur unter zeitweiligen Schmerzen sein Lebenswerk abrang. So glich er im künstlerischen Schaffen, in der Hinwendung zum Licht und zur Überwindung der Schwere in der Wahl seiner Motive aus, was ihm an eigener physischer Beweglichkeit versagt bleiben mußte. n

An diesem Wochenende wird im Kulturzentrum Ostpreußen, Deutschordensschloß Ellingen, die Ausstellung "Mit Windkraft und Propeller" eröffnet, zu sehen bis 7. November. - Über den Autor sind zwei verschiedene Postkartenkalender zur Kurischen Nehrung für 2005 von Gelbke und Birnstengel für je 9 Euro zuzüglich Porto erhältlich, Am Beutlerpark 7, 01217 Dresden.

 

Georg Gelbke: Am Steilhang (Litho auf Stein, 1935)


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren