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24.07.04 / "Dankbarkeit ist eine hündische Tugend" / Historiker analysiert Beziehungen zwischen Stalin und seinen später

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24.Juli 04


"Dankbarkeit ist eine hündische Tugend"
Historiker analysiert Beziehungen zwischen Stalin und seinen später von ihm hingerichteten Anhängern

Bei der Lektüre dieses monumentalen und guten Buches empfindet man Beklemmung. Das Leid, das Menschen einander zufügen, müßte Berge versetzen. In "Stalin und seine Henker" analysiert der britische Historiker Donald Rayfield "Mittel und Männer" der Geheimpolizei, die Stalins grausame Diktatur ermöglichten. "Sie waren die Werkzeuge eines Gehirns, das noch bösartiger war als ihr eigenes." Stalins wichtigste Vollstrecker, mochten sie Dserschinskij oder Berija heißen, kennzeichneten "Sadismus und moralische Stumpfsinnigkeit".

Stalin, "pathologisch veranlagt", als Kind vernachlässigt, geprügelt und oft krank, avancierte, wie auch Felix Dserschinskij, ein Adeliger polnischer Herkunft, der 1917 die Tscheka gründete, zum gelehrigen Priesterseminaristen, studierte leidenschaftlich die Bibel und bereitet sich damit "ideal auf die Lektüre der Klassiker des Marxismus" vor. Im Stil christlich-russischer Orthodoxie glaubte Stalin, das "Böse" vertilgen zu müssen, denn nur "gereinigt" wanderten die Seelen der "Untertanen in die kommende Welt". Askese bestimmte das Leben Stalins und Dserschinskijs. Beide "predigten eine Form von Katechismus" und handelten wie "unzertrennliche Inquisitoren".

Tückisch manipulierte der Georgier andere Menschen, formte sie zu Marionetten, nutzte skrupellos ihre Stärken und Schwächen. Düstere Traditionen der georgischen Geschichte, absolute Monarchie, die brutale Unterdrückung politischer Gegner, habe Stalin neu belebt. Der "einsame Sadist" quälte besonders gern jene, die ihn einst gefördert hatten. "Dankbarkeit ist eine hündische Tugend", meinte Stalin.

Die Tscheka mordete und folterte nach eigenem Gusto. Der aberwitzige Massenterror, den Trotzki und Karl Radek befürworteten, begann unter Lenin, der tote Widersacher zur Schau stellen wollte, "damit die Öffentlichkeit Gelegenheit hatte, über die baumelnden Leichname nachzudenken". Ganze Völkerschaften erklärte die Tscheka (seit 1922 GPU) für konterrevolutionär und "weiß". Dserschinskij erwartete von seinen Schergen "kreuzfahrerische Tugenden". Nach dem Ende des Bürgerkriegs ging der Terror unvermindert weiter.

Mit Hilfe der GPU fegte der "Stählerne" Trotzki außer Landes. Westliche Romantiker verkennen, daß Trotzki fast die gleichen Ziele ansteuerte und ähnliche Lehren wie Stalin propagierte. Trotzki bejahte nicht minder das diktatorische Einmann-System und forderte die soziale Vernichtung der Kulaken. Stalin war nur - besonders außenpolitisch - vorsichtiger, berechnender, staatsmännischer als der hitzige Trotzki.

Menschinskij und Jagoda, "defekte Persönlichkeiten", die Dserschinskij 1926 beerbten, hegten einen "messianischen Wahn", der sie veranlaßte, auch Anhänger des Bolschewismus zu drangsalieren. "Unerträglich zuvorkommend" lächelte Menschinskij, wenn er jemanden zur Exekution begleitete. Genrich Jagoda, Chef des NKWD bis 1937, kompensierte eine traumatische Kindheit durch bedingungslose Treue gegenüber Stalin. Seit etwa 1935 durchdrang der paramilitärische NKWD jede Zelle der Gesellschaft. Gerade auch Akademiker verschleppten die Staatsgangster in Folterkammern, wo ungebildete NKWD-Häscher als "gedankenlose Werkzeuge eines paranoiden Mörders" wüteten.

Stalin erstrebte eine pyramidenförmige, "monolithische Machtstruktur" und vernichtete alle potentiellen Gegner. Die Hinrichtungen von Sinowjew und Kamenew ließ Stalin zu Hause nachspielen. Karl Pauker, der Chef der Stalinschen Leibgarde, mimte Sinowjew.

Am Ende erfaßte die Verfolgungswelle sogar den NKWD. Dessen Angehörige ertränkten Angst und Panik in Alkohol und Sadismus. Im März 1937 wurde der "schreiende" Jagoda exekutiert. Bereits drei Jahre später ereilte Jagodas Nachfolger Jeschow das gleiche Schicksal. Bei der Verhaftung bekam Jeschow "hysterische Anfälle; er wurde geschlagen". Nach Verkündung des Todesurteils äußerte er: "Sagt Stalin, daß ich mit seinem Namen auf den Lippen sterben werde."

Der NKWD ist nicht als bloße Geheimpolizei zu verstehen; er bildete Herz und Hirn des sowjetischen Regierungsapparats und lenkte auch die Wirtschaft. Seit 1939/40 kamen eroberte Länder unter die Fuchtel der Schlapphüte. Nur kurzfristig bremste Stalin 1941/42 aus taktischen Gründen die Horden des Lawrentin Berija, eines "rachsüchtigen Sadisten und intelligenten Pragmatikers", der bald die Schraube wieder anzog. Berija war dafür berüchtigt, daß er Schulmädchen kidnappte und vergewaltigte. Als Stalin starb, wurde Berija entmachtet und liquidiert - weil er die diktatorischen Regime in Osteuropa hatte mäßigen wollen! In der Todeszelle winselte Berija vergeblich um sein Leben.

Das heutige Rußland, schreibt Rayfield, setzt stalinistische Traditionen in veränderter Gestalt fort. Der FSB (Föderatives Sicherheitsbüro) habe die "Kommandozentrale der Regierung übernommen". Ohne Aufarbeitung der Vergangenheit bleibe Rußland "geistig krank". Rolf Helfert

Donald Rayfield: "Stalin und seine Henker", Karl Blessing Verlag, München 2004, geb., 617 Seiten, 25 Euro


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