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31.07.04 / Vom Swieznik und Kaubuk in Masuren

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Juli 2004


Vom Swieznik und Kaubuk in Masuren
von Johannes Herrmann

Der Glaube an gute und böse Geister im Hause, im Viehstall, im Kornfeld, im Sumpf, Wasser und Brunnen, der Glaube an Menschen mit bösen und guten Augen und anderes mehr wird in Masuren wohl nicht weniger verbreitet gewesen sein als in anderen Landschaften, und darüber ist ja schon sehr viel gesagt und geschrieben worden. Auch die "smora", dieses undefinierbare Ungeheuer, das sich in der Nacht auf Leib und Brustkasten

legte und den Schlafenden zu ersticken drohte, wenn er sich zu sehr befressen hatte, wird vielleicht nur unter anderem Namen (Mare) in anderen Landschaften bekannt und gefürchtet gewesen sein. Ob der "Swieznik" ein böser Geist war, der nur in Masuren sein Unwesen trieb, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls wurde er wirklich und "Wahrhaftigen Gott!" so oft gesehen, daß man mit Elmsfeuer und so nicht dagegen anzukommen vermochte.

Unser Dienstmädchen - so durfte man ja damals die Hausgehilfin nennen - war eines Nachmittags zum Einkauf nach Janow gegangen. Es wurde dunkel, und unsere Karline kam nicht zurück. Mein Vater ging mit mir auf die Suche, wir riefen nach ihr. Keine Antwort. Im Morgengrauen erschien sie dann mit wirrem Blick und zerzaustem Haar und konnte vorerst nichts sagen als immer wieder "Der Swieznik! - Der Swieznik!" Und als sie sich schließlich einigermaßen beruhigt hatte, erzählte sie, daß der Swieznik, gerade als sie am Wiesenrand vorbeiging, durch die Luft auf sie zugebraust kam und sie gerade noch Zeit hatte, sich in einer Heukepse zu verkriechen, und dann hätte sie ihn zischend und jaulend über sich gehört - wahrhaftigen Gott! Und als es dann anfing hell zu werden, da war er fort, und sie sei nach Hause gerannt! - Und dabei war unsere Karline eine robuste Marjell mit gesundem Nervenkostüm, und wenn sie "Wahrhaftigen Gott" sagte, dann war es ein heiliger Schwur, da war nichts daran zu rütteln!

"Kaubuk", dieser böse Geist, der es vor allem auf Kinder abgesehen hatte, hielt sich versteckt auf der Lucht zwischen altem Gerümpel auf. Ich habe ihn selbst als kleiner Junge einmal gesehen! Wie so oft kramte ich in dem mich sehr interessierenden Raritätenhaufen herum, als er plötzlich aus dem Wirrwarr heraushuschte und über die freie Bodenfläche tanzte. In panischem Schreck ergriff ich einen Bienenuntersatz und warf diesen, laut aufschreiend, auf den Kaubuk. Meine Mutter kam auch sofort die Treppe heraufgestürmt. Sie glaubte, es sei mir etwas passiert. Ich zeigte nur auf das Brett und grölte: "Unter dem Brett ist der Kaubuk!" Meine Mutter hob das Brett auf, und darunter lag eine Feder, die wahrscheinlich durch die Zugluft über den Boden geweht worden war. Sie zerknüllte die Feder in ihrer Hand, nahm mich auf den Arm, trug mich hinunter in die Küche und warf den "Kaubuk" in die Herdflamme. So, nun war der böse Kaubuk verbrannt, und ich brauchte ihn nicht mehr zu fürchten.

Aber der Kaubuk trieb auch im großen Roggenfeld sein Unwesen und nahm Kinder mit, die sich beim Kornblumenpflücken in das Kornfeld hineinwagten. Dann mußten sie dort elend verhungern, weil sie nimmer aus dem dichten Getreidefeld herausfanden. Wurde das Korn nach der Reife gemäht, so huschte der Kaubuk immer vor den Schnittern her. Bevor durch den letzten Schnitt die letzten Halme fielen, wickelte der Vorschnitter die Halmspitzen zu einen festen Knoten zusammen, damit der Kaubuk nicht entrinnen konnte. Dann fielen mit dem letzten Schnitt die letzten Halme - und der Kaubuk war tot.

Über Sitten und Bräuche in Masuren bei kirchlichen Feiern und Festen, bei familiären Ereignissen (Geburt, Taufe, Hochzeit, Sterbefall) ist ja schon viel und erschöpfend berichtet worden; die Frage: "Warum tut man dieses oder jenes?" wurde aber selten plausibel beantwortet. "Das tut man so!" - Aus! - Da starb 1911 die Frau des Bauern Nemak aus Lykusen, Kreis Neidenburg. Die Trauerfeier im Hause hielt traditionsgemäß wie in fast allen Dörfern der Ortslehrer. Vor dem linken Vorderrad des Bretterwagens, auf dem der Sarg zum Friedhof gefahren werden soll, steht eine irdene Schüssel mit Seifenwasser, mit dem die Verstorbene vor dem Einsargen gewaschen worden war. Der Sarg wird auf den Wagen gestellt, die Pferde ziehen an, und das Rad knirscht über die geborstene Schüssel hinweg. Auf meine leise Frage: "Warum ...?" die Antwort: "Das tut man so."

Über den Sinn von Erntebräuchen erhielt ich allerdings plausible Auskunft. Die aus den vollsten Ähren gewundene und mit bunten Blumen geschmückte Erntekrone wurde mit dem letzten Erntewagen von den Schnittern und Binderinnen in feierlicher Prozession singend auf den Bauernhof gebracht und nach rituellem Zwiegespräch zwischen dem Vorschnitter und dem Bauern im Rahmen der Eingangstür zum Wohnhaus an einen Haken gehängt. Jeder, der nun in das Haus oder aus diesem hinaus gehen wollte, war somit gezwungen, in gebeugter Haltung unter der Erntekrone durchzugehen. "Beuge dich vor dem Segen Gottes, der dir eine reiche Ernte geschenkt hat!" Nach dem Erntefest wurde dann die Erntekrone in der "Guten Stube" aufgehängt und blieb dort, bis der Getreidedrusch begann. Dann wurde die Erntekrone auf der Mitte der Tenne zuerst ausgedroschen und ihr Korn in einem besonderen Säckchen bis zur neuen Aussaat aufbewahrt und mit den ersten Würfen vom Bauern ausgesät. Wenn nun auch das Saatgut gewechselt wurde: Immer wurde dem Bauern etwas altes Saatgut anvertraut, das auf diesem Boden gewachsen war und geerntet wurde. "So lange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte!"

Wenn die Zeremonie der Übergabe der Erntekrone an den Bauern beendet und alle Sprüche hergesagt waren, wenn auch der Choral "Nun danket alle Gott" verklungen war, dann ging erst der richtige "Plon" los! Man hat vergeblich nach der Deutung dieses Wortes gesucht; ich meine, es könnte vielleicht von dem Wort "polach", begießen, abgeleitet sein. Denn schließlich war dieses ja der Höhepunkt des ganzen Ernte-festes! Es war mehr als ein lustiges Schauspiel, wenn Burschen und Mädel sich gegenseitig ganze Eimer voll Wasser über die Köpfe gossen! Die Marjellen quietschten und hielten sich quasi die Hände schützend über den Kopf; aber sie hatten es mit dem Fortlaufen durchaus nicht sehr eilig, besonders die heiratsfähigen und heiratslustigen! Wer wenig Wasser abbekam, hatte wenig Aussicht, vor der nächsten Ernte zu heiraten! Und wenn man sich auch jung verheiratete und sich kinderlose

Männer und Frauen bei diesem gegenseitigen Begießen eifrigst beteiligten, so lassen sich ihre Gedanken und Hoffnungen dabei leicht deuten: Der Acker braucht Wasser, braucht Regen, wenn er Frucht tragen soll. Beim ersten Regen im Mai gingen Eltern und Kinder nach draußen, um sich tüchtig beregnen zu lassen; denn "Mairegen ist Gottessegen! Maienregen gibt Lebenskraft!" (Frieda Jung).

Nun war ja das Heiraten, namentlich bei den Bauern, nicht immer eigene Angelegenheit der jungen Menschen, die einander mochten. Die beiderseitigen Eltern hatten vielmehr in den meisten Fällen das erste und letzte Wort. Sie bedienten sich in der Regel eines Mittelsmannes, der sein Gewerbe sehr gut verstand, die wirtschaftlichen Vorbedingungen geschickt erforschte und ein ebenso ganz "zufälliges" Treffen der Elternpaare inszenierte. Hierzu bot sich immer eine gute Gelegenheit an Markttagen. Der Herbstmarkt in Willenburg wurde bei uns in Roggen einfach "Hochzeitsmarkt" genannt, bei dem die Eltern ganz unter sich die wirtschaftlichen Verhältnisse besprachen und die Mitgift abmachten. Dann durften - wieder so ganz zufällig - die Zusammengefreiten hinzukommen und, wenn soweit alles glatt ging, wurde der "Bekuck" der Höfe vereinbart.

Aber manchmal ging eben nicht alles glatt, auch wenn die jungen Leutchen sich vorher schon kannten und auch gerne mochten. Gegenseitige Zuneigung oder Liebe - nun ja, das waren wohl angenehme Zutaten; ausschlaggebend waren aber, namentlich bei den Bauern, die wirtschaftlichen Verhältnisse, nicht zuletzt aber die strotzende Gesundheit der Erkorenen, die eine Gewähr dafür bot, daß sie dem Hof viele gesunde Kinder schenkte. So gesehen, fand man es deswegen in der Ordnung, daß die Verlobte schon vor der Hochzeit mit ihrem Zukünftigen zusammenlebte und der Termin der Hochzeit erst dann festgelegt wurde, wenn begründete Aussicht auf Nachkommenschaft bestand (Nattatsch, Kreis Neidenburg).

Nur am Rande sei erwähnt, daß ich als Standesbeamter in Kurken unzählige Geburten und sehr viele Eheschließungen registriert habe, in dieser Zeit aber (1917 bis 1925) keine Ehescheidung vorgekommen ist.

Schönes Masuren: Partie am Juno-See im Kreis Sensburg Foto: Erwin Goerke


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