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07.08.04 / "Mit forschendem Blick bereiset" / Volkskundler aus Leidenschaft - Zum 95. Geburtstag

© Preußische Allgemeine Zeitung / 7. August 2004


"Mit forschendem Blick bereiset"
Volkskundler aus Leidenschaft - Zum 95. Geburtstag von Alfred Cammann

Sein Leben hat er dem Märchen und der Volkserzählung gewidmet. Das Bildungserlebnis Kant, Hamann, Herder, die Begegnung mit Land und Leuten im Osten aber haben ihn, den Niedersachsen Alfred Cammann, der 1994 mit der Verleihung des Ostpreußischen Kulturpreises für Wissenschaft durch die Landsmannschaft Ostpreußen geehrt wurde, seit seiner Jugend nicht mehr losgelassen. Nicht von ungefähr zitiert er in der Einführung zu seinem wohl wichtigsten Werk "Märchenwelt des Preußenlandes", 1973 erstmals erschienen und 1992 in dritter Auflage bei Otto Meissner in Berlin wieder herausgekommen, den Mohrunger Johann Gottfried Herder: "Es ist, als ob die Vernunft alle Völker und Zeiten der Erde habe durchwandern müssen, um nach Zeit und Ort jede mögliche Form der Einkleidung und Darstellung zu finden. - An uns ist es jetzt, aus diesem Reichtum zu wählen, in alte Märchen neuen Sinn zu legen und die besten mit richtigem Verstande zu gebrauchen. Welche reiche Ernte von Weisheit und Lehre in den Dichtungen voriger Zeiten, in den geglaubten Märchen der verschiedensten Völker zu einer besseren Anwendung für unsere und die Nachzeit in Keimen schlummre, weiß der, der die Felder der menschlichen Einbildungskraft mit forschendem Blick bereiset hat ..."

In diesen Tagen nun kann der rüstige Niedersachse seinen 95. Geburtstag feiern. - An der Märchenstraße, in Hann. Münden, erblickte Alfred Cammann am 9. August 1909 das Licht der Welt. An der Universität Göttingen studierte er Germanistik, Geschichte und Sport. Wie zu dieser Zeit üblich, ging er für ein "Ostsemester" im Sommer 1930 nach Königsberg an die ehrwürdige Albertina. Die Professoren Rothfels, Weber, Nadler und Worringer, der Herderforscher Dobbek als Seminarleiter und der Historiker Gause als Fachleiter für Geschichte haben in Königsberg den Grundstein gelegt für Cammanns Lebenswerk. Die Referendarzeit in Stallupönen und in Königsberg, schließlich aber auch die erste Stelle am Gymnasium in Marienwerder, wo er gleichzeitig als Assistent am Heimatmuseum wirkte, boten Gelegenheit, das Land und die Menschen gründlich kennenzulernen. Gemeinsam mit seiner Frau Luise erwanderte sich Cammann das Land der Wälder und Seen, besuchte die schmucken Dörfer und stattlichen Städte, sprach mit den Menschen.

1937 dann kam es zu einer Begegnung, die den Lebensweg Alfred Cammanns entscheidend prägen sollte. Ein Freund berichtete von seinem 73 Jahre alten Großvater, der für sein Leben gern Geschichten erzählte: Karl Restin aus Stuhmerfelde. Die Märchen und Geschichten dieses Mannes, erzählt an langen Abenden in der Kate des Land- und Waldarbeiters, fanden ihren Niederschlag in Cammanns erstem Buch "Westpreußische Märchen", das 1961 erschien.

Schwerversehrt aus dem Krieg heimgekehrt, ließ sich Cammann mit seiner Familie in Bremen nieder. Dort gelang ihm wieder der Anschluß an die volkskundliche Wissenschaft, dort kam es schließlich auch zu wichtigen Begegnungen mit heimatvertriebenen Ost- und Westpreußen, so daß der Niedersachse seine Arbeit in der Erzählforschung fortsetzen konnte. In Eigeninitiative gründete er die "Forschungsstelle für ostdeutsche Volkskunde in Bremen"; so "ganz nebenbei" wirkte er schließlich auch noch unermüdlich in seinem Hauptberuf als Oberstudienrat am Bremer Gymnasium Hamburger Straße.

In zahlreichen Schriften, Vorträgen und Veröffentlichungen widmete Alfred Cammann sich in dieser Zeit "seinem" Thema - der volkskundlich-ethnologisch-anthropologischen Forschung. Immer wieder begegnete er Menschen, die ihm Geschichten erzählten, die ihm Hinweise gaben, wo er "fündig" werden könnte. Vorträge im Ostheim in Bad Pyrmont gaben ebenso Anstöße wie ein Aufruf im Ostpreußenblatt. Als seine "Westpreußischen Märchen" 1961 erschienen, wurde Alfred Cammann auch international als Sammler bekannt. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde und der International Society for Folk Narrative Research. Zahlreiche Ehrungen sind ihm für seine Arbeit zuteil geworden, so auch der Europa-Preis für Volkskunst der Hamburger Stiftung F.V.S., und die Ehrengabe des Georg-Dehio-Preises der Künstlergilde.

Seine Bücher zeichnen sich vor allem dadurch aus, daß der Sammler dem Erzähler den Vorrang läßt, den unverwechselbaren Sprachstil erhält. Das soziale Umfeld des Erzählers ist gleichermaßen von Bedeutung wie der Inhalt der Überlieferung. So sind seine Publikationen von wissenschaftlicher Akribie und dennoch auch für ein breites Leserpublikum geschaffen. Sein umfangreiches Archiv mit Akten, Bildern, Büchern und Tonband-Aufzeichnungen befindet sich im Institut für Heimatforschung in Rotenburg (Wümme), wo es fachkundig aufbereitet wird.

Bis jetzt hat Alfred Cammann eine so stattliche Reihe von Büchern herausgebracht, daß es unmöglich ist, alle Titel an dieser Stelle zu erwähnen. Darüber hinaus hat er auch noch über 100 wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht.

Wer Alfred Cammann kennt, der weiß, daß er unermüdlich am Wirken ist. So hat er jetzt bei N.G. Elwert, Marburg, in der Schriftenreihe der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung als Band 25 ein neues Buch vorgelegt. Es trägt den schlichten Titel "Die Masuren - Aus ihrer Welt, von ihrem Schicksal in Geschichte und Geschichten" (276 Seiten, gebunden, 34 Euro). "Masuren ist ein Traumland, ein Märchenland, und nicht leicht zu beschreiben", sagt Cammann in seinem durchaus persönlich gehaltenen Vorwort zu dem Buch, in dem man auch vieles über den Herausgeber erfährt. Dennoch hat er versucht, dieses Traumland lebendig werden zu lassen. Menschen aller Schichten kommen zu Wort in diesem Buch - Märchen- und Sagen werden ebenso erzählt wie persönliche Erlebnisse und Geschichten, die einst die Alten erzählten. Cammann stellt wieder einmal den Menschen in den Mittelpunkt seiner Forschungen, und so erfährt der Leser unendlich viel über die Geschichte des Landes, über die Menschen und ihre Schicksale. Ein buntes Bild des Traumlandes Masuren ist so entstanden, ein spannendes Lesebuch allemal, das man nur ungern aus der Hand legt. - Männer wie Alfred Cammann sind selten geworden. Hören wir ihm zu, so wie er anderen aufmerksam gelauscht hat. Silke Osman

Alfred Cammann: Schaute dem "Volk aufs Maul" Foto: Archiv


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