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Preußische Allgemeine Zeitung / 28. August 2004
Reimer Böge und Georg Jarzembowski sind tapfere Männer, was unter
Politikern heutzutage eher selten vorkommt. Mutig greifen sie in die aktuelle
Europa-Debatte ein und verkünden, Brüssel müsse bei den EU-Mitgliedsstaaten
nicht weniger, sondern mehr abkassieren. Die beiden Europa-Abgeordneten, beide
der norddeutschen CDU entstammend, wissen natürlich genau, daß dies nur zu
Lasten der Nettozahler, vor allem also der Bundesrepublik Deutschland, gehen
kann. Sie wissen aber auch, daß sie gerade erst wiedergewählt worden sind und
erst in knapp fünf Jahren dem wahlberechtigten Steuerzahler fern in der Heimat
erklären müssen, warum ihnen Europa, wenn schon nicht lieb, so doch recht
teuer sein soll. Genau dagegen laufen die meisten anderen deutschen Politiker - zum Beispiel
jene, die in wenigen Wochen in die Landtage von Sachsen oder Brandenburg
gewählt werden wollen - Sturm. Auslöser der parteiübergreifenden Empörung
war die Ankündigung des neuen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso,
den Brüsseler Haushalt ab 2007 auf 1,14 Prozent der Brutto-Wirtschaftsleistung
anzuheben, im Klartext: von derzeit 100 auf mindestens 143 Milliarden Euro
jährlich. Die Leidtragenden wären vor allem die deutschen Steuerzahler. Die jüngste Zahlungsbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank weist für 2003
deutsche EU-Beiträge in Höhe von 21,6 Milliarden Euro aus; davon flossen 7,9
Milliarden zurück, macht netto 13,8 Milliarden. Um einen Betrag in dieser
Größenordnung würden nach ersten Hochrechnungen die deutschen Bruttobeiträge
steigen, sollte die Kommission sich mit ihren Plänen durchsetzen. Verschärft
wird das Problem noch dadurch, daß immer weniger Geld zurück-fließt, da
Fördermaßnahmen für die Neuen Länder auslaufen. Nettobeiträge von deutlich über 20 Milliarden Euro, zahlbar an eine
Institution, die den Zahler zugleich wegen zu hoher Defizite kritisiert - wie
will man das einem Volk vermitteln, daß nahezu täglich mit neuen schmerzlichen
Einschnitten ins soziale Netz konfrontiert wird? Da die EU ja vorrangig eine
gigantische Agrarsubventions-Verteilungsmaschine ist, sei ein Vergleich aus dem
Landleben gestattet: Da wird die deutsche (Steuer-)Kuh immer kräftiger
gemolken, zugleich werden ihr die Futterrationen drastisch gekürzt, und am Ende
wird sie bestraft, weil die Milch immer dünner wird. Das hat man wohl unter
fortschrittlicher Agrarpolitik zu verstehen... Das bedrohlichste Damoklesschwert ist dabei noch gar nicht berücksichtigt:
die im Oktober drohende, vom deutschen Kanzler herbeigesehnte Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Allerdings scheint EU-Erweiterungskommissar
Verheugen weniger optimistisch zu sein als sein Parteifreund Schröder. Dies
wohl erst recht, wenn er die jüngste Studie der Brüsseler Denkfabrik "Friends
of Europe" liest. Danach würde die Türkei als EU-Vollmitglied jährlich 17,4
Milliarden Euro einkassieren, bei einem Beitrag von nur 3,4 Milliarden. Und in
den EU-Institutionen wäre das überwiegend asiatische Land dank seiner 90
Millionen Einwohner das einflußreichste, während sein Anteil an der
Wirtschaftsleistung nicht einmal zwei Prozent ausmachte. Deutschland wäre an
den Beitrittskosten mit jährlich 2,4 Milliarden Euro beteiligt. Trotz allem haben die beiden eingangs zitierten EP-Abgeordneten nicht ganz
Unrecht, wenn sie sagen: "Man kann Europa nicht immer mehr Aufgaben
übertragen, gleichzeitig aber nicht sagen, wie die finanziert werden sollen."
Man muß aus dieser im Prinzip richtigen Erkenntnis eben nur die richtigen
Konsequenzen ziehen: Wenn das Geld nicht ausreicht, muß man eben weniger
ausgeben, statt immer nur nach neuen Einnahmequellen zu Lasten anderer zu
schielen. Verheugen könnte hier mit gutem Beispiel vorangehen, indem er Ankaras
Freunden - vor allem denen unter seinen eigenen Parteifreunden - klarmacht, daß
die EU sich auf lange Sicht einen Beitritt der Türkei finanziell überhaupt
nicht leisten kann. Damit wäre das Thema vom Tisch, und man bräuchte auch
nicht mehr mit allen möglichen geistigen und sprachlichen Verrenkungen zu
versuchen, die Türken nicht spüren zu lassen, daß man sie eigentlich aus ganz
anderen, politischen Gründen nicht beitreten lassen will. Aber so weit reicht
wohl auch der Bekennermut frisch gewählter Europa-Abgeordneter nicht. H.J.M. Bei Geld hört die Freundschaft auf: Der neue EU-Kommissionspräsident Barroso fordert vor allem von Deutschland
höhere Nettobeiträge zur EU, doch inzwischen weiß selbst Schröder, daß die
Zeiten von großen Geschenken vorbei sind. Denn während Hartz IV die Deutschen auf die Barrikaden treibt, ist Freigibigkeit gegenüber der
ungeliebten EU unangebracht. Foto: AP |