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Preußische Allgemeine Zeitung / 28. August 2004
Es gibt Bücher, da wird jedes natürliche Bedürfnis zur Qual. Da hat man lieber ein knurrenden Magen, als daß man riskiert, das Buch auch nur für einige Minuten aus der Hand zu legen. So ist es auch bei der "Wanderhure" von Iny Lorentz. Marie, brave Bürgertochter aus Konstanz, soll von ihrem durch den Handel reich gewordenen Vater 1410 mit einem unehelichen Sohn eines Grafen verheiratet werden, der als Advokat seinem Vater treue Dienste leistet. Doch in der Nacht vor der Hochzeit wird Marie der Unzucht beschuldigt, ins Gefängnis gebracht und am Tag darauf dem Richter vorgeführt. Die Witwe Euphemia prüft ihre Unschuld, doch da der von ihrem Verlobten bezahlte Büttel sie in der Nacht zuvor vergewaltigt hat, stellt Euphemia fest, daß Marie keine Jungfrau mehr ist. Marie wird ausgepeitscht und aus der Stadt gejagt, der Besitz ihres Vater geht an den "betrogenen" Verlobten, und der sich wehrende Vater wird kurzerhand auf dem Armenfriedhof entsorgt. Marie stirbt vor den Stadttoren beinahe an den Verletzungen, doch die Wanderhure Hiltrud nimmt sich ihrer an. Von Rache getrieben wird Marie wieder gesund, aber um zu überleben, muß die Mittellose mit Hiltrud durch die Dörfer ziehen und ihren Körper verkaufen. Fast fünf Jahre nachdem sie Konstanz in Schimpf und Schande verlassen mußte, wird ihr und ihren Weggefährtinnen das Angebot gemacht, anläßlich eines vom Kaiser einberufenen Konzils als Hübschlerinnen den Rittern ihre Dienste anzubieten. Marie ergreift diese Chance, um ihrem ehemaligen, inzwischen reich gewordenen Verlobten nahe zu sein und endlich seine Intrigen zu offenbaren. Iny Lorentz Mittelalterroman ist so farbenfroh und ihre Schilderungen des harten Schicksals der Wanderhuren sind so anschaulich, ohne jemals ins Geschmacklose abzugleiten, daß sie genauso viel Lob und Fuore verdient wie Noah Gordon in den 90ern für seinen "Medicus". Aber nicht nur die Erlebnisse der Wanderhure Marie, sondern auch die Verwicklungen um die Intrigen ihres Verlobten Ruppert Splendius sind spannend und überraschend. Ständig passiert auf den 607 Seiten etwas, das neugierig macht, fasziniert oder schockiert. Zugegeben, der glückliche Ausgang kommt ein wenig zu phantastisch daher, aber laut Verlag soll es jenen Aufstand der Huren beim Konzil in Konstanz wirklich gegeben haben. Außerdem gönnt der Leser nach all den Gefahren, Erniedrigungen und Schicksalsschlägen Marie ihr Glück, so daß man der Autorin einen weniger glücklichen Ausgang übelgenommen hätte. Fabelhafte Unterhaltung! R. Bellano Iny Lorentz: "Die Wanderhure", Knaur, München 2004, geb., 607 Seiten, 19,90 Euro |