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04.09.04 / Bad Kleinen: Elf Jahre Schweigen / Bürgerinitiative fordert Gedenkort für den getöteten GSG-9-Beamten Michael Newrzella

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. September 2004


Bad Kleinen: Elf Jahre Schweigen
Bürgerinitiative fordert Gedenkort für den getöteten GSG-9-Beamten Michael Newrzella
von Hans Lody

Seinen Namen kannte bald jeder: Wolfgang Grams, RAF-Terrorist. Sein letztes Opfer, der 25 Jahre alte Polizist Michael Newrzella, war den Medien so gut wie keine Zeile wert. Um Grams' Tod wurde ein Gestrüpp von Legenden geknüpft, es wurde sogar "gemutmaßt", er sei von GSG-9-Beamten "hingerichtet" worden. Die Untersuchungen ergaben das Gegenteil. Doch trotzdem mußten ein Minister und der Generalbundesanwalt den Hut nehmen. Ein Lehrstück zum Thema "Kampagne".

Am 27. Juni 1993 versuchte ein GSG 9 Kommando die seit 1984 mit Haftbefehl gesuchten Linksterroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams auf dem Bahnhof festzunehmen. Sie waren keine Unbekannten. Beide hatten eine lange politisch motivierte kriminelle Karriere hinter sich gebracht.

Aber die Zeiten waren schlecht geworden für den gewalttätigen linken Terrorismus. Der Zusammenbruch des Ostblocks hatte nicht bloß die ideologische Grundlage der Mörder und ihrer Helfershelfer erschüttert. Auch gelegentliche finanzielle und logistische Unterstützung blieben aus, der "Ruheraum" östlich der Mauer war entzogen - wesentliche Teile der dritten Generation der RAF konnten jahrelang in Ho- neckers DDR Unterschlupf finden und eine neue Identität erlangen. Ein V-Mann des Verfassungsschutzes hatte den Hinweis gegeben, wo das kriminelle Pärchen zu finden sei.

Alles läuft zunächst nach Plan an diesem 24. Juni 1993. V-Mann Steinmetz trifft um 11.57 Uhr in Bad Kleinen ein, Birgit Hogefeld um 13.11 Uhr. Sie fahren zusammen mit dem Zug nach Wismar weiter, wo sie sich ein Zimmer mieten.

Am 27. Juni 1993 kehren beide nach Bad Kleinen zurück. In der Bahnhofsgaststätte "Billard-Café" warten Hogefeld und Steinmetz auf Grams, der gegen 14.00 Uhr eintrifft. Um 15.15 Uhr verlassen alle drei die Gaststätte und gehen durch die Bahnhofsunterführung. Hier erfolgt der Zugriff durch sieben GSG-9-Beamte. Sie tragen wegen der Sommerhitze keine kugelsicheren Westen. Während Hogefeld und Steinmetz überwältigt und gefesselt werden können, hastet Grams die Stufen zum Bahnsteig hinauf - hinter ihm die GSG-9-Beamten. Oben angekommen bleibt Grams stehen und feuert in die Verfolgermenge, dabei trifft er den 25jährigen Beamten Michael Newrzella, der später im Krankenhaus seinen Schußverletzungen erliegt. Newrzellas Kameraden erwidern das Feuer und treffen Grams. Die gesamte Schießerei dauert nur wenige Sekunden.

Von Kugeln getroffen fällt Grams auf die Gleise, wo er auf dem Rücken liegen bleibt und die Waffe gegen sich selbst richtet, um der Verhaftung zu entgehen. Er folgt damit dem "großen Vorbild" des deutschen Terrorismus Andreas Baader, der ebenfalls versuchte mit seinem Selbstmord in auswegloser Lage den verhaßten Staat in Mißkredit zu bringen.

Was dann folgte, ist symptomatisch für den geistigen Zustand der Bundesrepublik Deutschland. Das Umfeld der beiden Terroristen Grams und Hogefeld geht mit der Behauptung hausieren, Grams sei "ermordet" worden. Prominente Stichwortgeber greifen die Behauptungen der RAF-Sympathisanten begierig auf. Wochenlang kauen Medien das "Für und Wieder" der RAF-Thesen von der "Ermordung" des Terroristen durch. Die politische Klasse des Landes wird nervös und beginnt hektisch, "Ballast" abzuwerfen. Bundesinnenminister Seiters tritt zurück. Die aus anderen Gründen selbst schwer angeschlagene Justizministerin Leuthäuser-Schnarrenberger von der FDP entsorgt ihren Parteifreund Alexander von Stahl vom Posten des Generalbundesanwalts.

Erst Monate später stellen unabhängige Gutachter fest, daß an den Behauptungen der linken Szene nichts dran ist. Gleichwohl ent-wickelt die gewaltbereite linke Szene den Mythos Grams bis heute weiter, während die Repräsentanten des Staates nichts unternehmen, um das Gedenken für den ermordeten Polizisten Michael Newrzella wachzuhalten.

Die beiden Terroristen hatten eine für den deutschen Linksterrorismus typische Karriere absolviert. Der am 6. März 1953 geborene Grams versuchte früh, die eigene Familienvergangenheit zu bewältigen. Sein Vater, aus den Vertreibungsgebieten stammend, hatte während des Krieges in der Waffen-SS gedient. Der Geige spielende junge Grams wollte zunächst Pfarrer oder Förster werden. Später versuchte er sich als Schauspieler am Theater, kam aber über eine Statistenrolle nie hinaus. Nach dem Abitur studierte er Mathematik - allerdings ohne erfolg-reichen Abschluß. Er beteiligte sich an Antivietnamdemos und ent-wickelte sich zum bekennenden Kriegsdienstverweigerer fort. Bald wohnte Grams in Wohngemeinschaften des RAF-Umfeldes und begann, die inhaftierten Terroristen um Andreas Baader und Gudrun Ensslin im Gefängnis zu besuchen. Grams geriet so immer tiefer in die extremste Ausformung des betroffenheitsritualisierten, "kritischen" 68er-Milieus.

Auch Hogefeld trieb bei ihren mörderischen Verbrechen offenbar die Vergangenheit des eigenen Familienkreises um. In einem Interview am 17. Dezember 1999 äußerte sie auf die Frage: "Sie empfinden Ihre Strafe nicht als gerecht?": "Ja, Entschuldigung. Ich bin groß geworden mit Eltern, Nachbarn, Onkeln, einer ganzen Umwelt, die Völkermord im massiven Sinne begangen hatten. Von denen ist kein Mensch zur Rechenschaft gezogen worden." Aus der Haft heraus veröffentlichte Hogefeld ein Porträt ihres Geliebten: Sensibel sei er gewesen, die Schulzeit habe er durchgängig als nackte Unterdrückung erlebt usw. usf. So versucht sie Verständnis, Mitleid und Sympathie für einen Mörder in der Öffentlichkeit zu erlangen.

Die linke Szene organisierte am 10. Juli 1993 eine gewalttätige Demonstration für Grams, schließlich wurde in der Öffentlichkeit die Auflösung der GSG 9 diskutiert und sogar verlangt. Kanzler Kohl war aber aus anderem Holz als Seiters und Leuthäuser-Schnarrenberger. Er widersetzte sich den Forderungen und sprach am 22. Juli der Polizeieinheit das Vertrauen aus. Daraufhin schütteten zahllose Medien des Landes ganze Kübel von Schmutz über dem Kanzler aus. Kein Mensch stellte später die Verantwortlichkeit der betreffenden Medien für den dabei angerichteten Schaden zur Diskussion.

Vermutlich lernte Grams Hogefeld 1982 kennen und lieben. Beide waren durch die gleichen abstrusen Motive persönlicher Vergangenheitsbewältigung traumatisiert, und so funkte es. Sie wurden ein wahrhaft mörderisches Pärchen. 1984 tauchte Grams in die Illegalität ab. 1987 wurde in der Tagesschau mit Bild nach ihm gefahndet.

Neueste Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden weisen Grams auch eine Beteiligung an der Ermordung des Leiters der Treuhandbehörde, Detlev Carsten Rohwedder, im Jahre 1991 nach. Hogefelds Fanatismus ist aber noch von anderem Kaliber. Im August 1984 lockte sie den US-Soldaten Pimental nach einem Diskothekenbesuch in einen Hinterhalt. Der arglose, auf ein Liebesabenteuer hoffende Amerikaner erhält einen Schuß in den Hinterkopf. Mit dem Ausweis Pimentals transportierte ein anderer Terrorist am Folgetag einen VW-Passat, den Hogefeld gekauft hatte, mit 240 Kilogramm Sprengstoff auf einen US-Stützpunkt. Das Ergebnis des Anschlages: zwei Tote und zwei Schwerverletzte. Hogefeld wurde außerdem noch ein versuchtes Attentat auf Finanzstaatssekretär Tietmeyer im Jahre 1988 nachgewiesen - auch hier trat Hogefeld als Käuferin des Tatautos auf.

Schließlich gab Hogefeld in einem Schreiben an ihre Mutter zu, am Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt im März 1993 beteiligt gewesen zu sein. Für diesen "Gesamtkomplex" wurde sie schließlich zu einer Freiheitsstrafe von dreimal lebenslänglich verurteilt. 1998 hob das Oberlandesgericht Frankfurt das Urteil in Bezug auf die Mittäterschaft in Weiterstadt indes wieder auf. Seither sitzt Hogefeld ein. Die Taz lamentierte unlängst darüber, daß frühestens nach 15 Jahren mit einer Begnadigung zu rechnen sei.

Und Newrzella? Er ist kaum jemandem eine Zeile wert. Nach der Diktion derer, die klammheimliche Freude über seinen Tod empfanden, ist er ja auch nur ein "Bullenschwein" gewesen. Im September 1967 wurde Michael Newrzella in Aachen geboren. Das Geld war knapp, die Familie lebte von den Bezügen des Vaters, der als kleiner Postbeamter seinen Dienst verrichtete. Michael hatte noch zwei Geschwister. Als er sechs Jahre alt war, zog die Familie nach Hamburg.

Lehrer und Mitschüler können sich noch daran erinnern, daß Michael früh einen ausgesprochenen Sinn für Gerechtigkeit entwickelt hatte. In der 2. Klasse schrieb er in einem Schulaufsatz, daß er später Polizist werden wolle. Ab 1984 besuchte Newrzella ein Aufbaugymnasium in Hamburg-Altona. Er gehörte zu den Leistungsträgern der Schulklasse, hatte viele Einser auf dem Zeugnis. Ein Jahr vor dem Abschluß verließ Michael Newrzella jedoch das Gymnasium ohne Abitur, er wollte eine Ausbildung als Polizeibeamter beginnen. Nach dem erfolg-reichen Abschluß meldete er sich zur GSG 9. Er wurde nicht einmal 26 Jahre. Welten liegen zwischen Wolfgang Grams und Michael Newrzella. Nicht nur menschlich, sondern auch moralisch. Doch während Grams in aller Munde blieb, verschwand Newrzella aus dem öffentlichen Bewußtsein.

Genau dorthin will ihn nun die Bürgerinitiative "Bürger in Wut" zurückbringen. Jan Timke, selbst Polizeibeamter und ehemals Spitzenkandidat und Vorsitzender der Schillpartei in Bremen, hat sich vorgenommen, in Bad Kleinen, dem Ort des Mordes an dem jungen Polizeibeamten, einen Gedenkstein für Michael Newrzella zu errichten. Denn selbst elf Jahre nach dem Tode des jungen Beamten erinnert noch nicht einmal eine Tafel am Ort des Verbrechens an den frühen, gewaltsamen Tod des Mannes. Die Bürgerinitiative hat nun beim Rat der Stadt den Gedenkstein für den Getöteten schriftlich beantragt. An der Errichtung wollen sich die engagierten Bürger um Jan Timke auch selbst aktiv beteiligen. Timke geht davon aus, daß sich der Rat schon bald mit dem Antrag befassen wird.

Infos über "Bürger in Wut" bei Jan Timke, 28717 Bremen, Rotdornallee 18 a, www.buerger-in-wut.de

 

Ende eines blutrünstigen Fanatikers: Nachdem er den GSG-9-Beamten Michael Newrzella tödlich getroffen hatte, sank der RAF-Terrorist Wolfgang Grams angeschossen auf die Gleise des Bahnhofs von Bad Kleinen. Dort richtete er die Waffe gegen sich selbst und jagte sich eine Kugel in den Kopf. Der angeschossene Newrzella erlag wenig später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Er trug keine schußsichere Weste. Foto: Die Woche

Schon als Schulkind der zweiten Klasse wollte er Polizist werden: Michael Newrzella


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