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04.09.04 / Kaukasus - kalkulierte Dauerkrise? / Abhängigkeiten und Großmachtinteressen halten die Region in Unruhe

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. September 2004


Kaukasus - kalkulierte Dauerkrise?
Abhängigkeiten und Großmachtinteressen halten die Region in Unruhe
von R. G. Kerschhofer

Man neigt oft dazu, die Konflikte im Kaukasus unter "Sonstiges" abzutun. Das Internetportal des 1949 auf Initiative Churchills gegründeten Europarates sollte aber hellhörig machen, denn unter www.coe.int/T/D/Com/Europarat_kurz  findet sich die Drohung: "Kein Land ist bisher der (Europäischen) Union beigetreten, ohne zuvor Mitglied des Europarates zu sein". Wer denkt schon daran, daß sich unter den 45 Mitgliedern sämtliche Staaten der Kaukasusregion befinden! Natürlich die Türkei (schon seit 1949, also noch vor Deutschland und Österreich) und seit der "Wende" auch Rußland, Georgien, Armenien und Aserbaidschan.

Der Ausdruck "Kaukasus" bezieht sich gemeinhin nicht nur auf das Gebirge des "Großen Kaukasus", sondern auch auf das "Vorland" und auf "Transkaukasien" - beides aus russischer Perspektive. Bewohnt wird das Gebiet von höchst unterschiedlichen Völkerschaften. Armenier, Georgier und Russen sind der Orthodoxie, alle anderen dem sunnitischen Islam zuzurechnen. Zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehören Armenisch, Ossetisch und Russisch. Aserbaidschanisch und andere zählen zu den Turksprachen. Georgisch, Abchasisch, Tschetschenisch und diverse werden - obwohl meist nicht verwandt - als "Kaukasus-Sprachen" zusammengefaßt.

Es lassen sich heute drei Problemkreise unterscheiden, nämlich der Unabhängigkeitskampf der Tschetschenen, die Abspaltungsbestrebungen von Minderheiten in Georgien und der schwelende Territorialkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Alles hat mit Grenzziehungen zu tun, die teils auf Stalin zurückgehen und teils auf die "Ordnung" nach dem Ersten Weltkrieg. Dazu kommen Rivalitäten lokaler Sippen, gewöhnliche Kriminalität (wie immer bei unklaren Machtstrukturen) und in jüngster Zeit vor allem die Einflußnahme der USA auf einst sowjetisches Territorium.

Armenien hat eine mehr als zweitausendjährige Geschichte. Es wurde 301 als erster Staat christlich, wurde später aber meist unterdrückt. Im 19. Jahrhundert konnten die nach Süden vordringenden Russen den Osmanen und Persern Teile Armeniens abnehmen und dem Zarenreich einverleiben. Nach dem Zusammenbruch von Zarenreich und Osmanischem Reich gab es kurze Zeit sogar wieder einen armenischen Staat. Doch im Frieden von Lausanne 1923 durfte die Türkei das in mehreren Etappen zwischen 1894 und 1916 ethnisch gesäuberte armenische Kernland ("Westarmenien" mit Ararat und Van-See) behalten, und Restarmenien wurde Sowjetrepublik.

Heute gehört das armenische Gebiet Berg-Karabach völkerrechtlich zu Aserbaidschan, während das Staatsgebiet Armeniens die Exklave Nachitschewan vom aserbaidschanischen Kernland trennt. Der aserbaidschanische Versuch, Berg-Karabach auch de facto anzuschließen, führte 1992 zum Krieg, in dem Armenien siegreich blieb und seither einen Korridor nach Berg-Karabach besetzt hält. Armenien ist politisch, militärisch und wirtschaftlich auf Rußland angewiesen. Aserbaidschan hingegen kann auf Erdöl, auf das türkische "Brudervolk" und auf die USA zählen. Was das im Falle eines größeren Regionalkonflikts für die eingekreisten Armenier bedeuten würde, kann man sich ausmalen.

Auch Georgien - das sagenhafte Kolchis der Antike - hat eine lange Geschichte. Seine Selbständigkeit war der zaristischen Expansion und nach den Revolutionswirren wieder dem Sowjetimperialismus zum Opfer gefallen. Präsident Saakaschwili, der voriges Jahr Edvard Schewardnadse stürzte, ist eindeutig ein Mann der USA. Er trachtet, die ursprünglich autonomen Gebiete - Adscharien im Südwesten, Abchasien im Nordwesten und Südossetien im Norden - wieder voll einzugliedern, was naturgemäß auf Widerstand stößt.

Am leichtesten lösbar wäre die Frage Adscharien, denn ethnisch sind die Adscharen Georgier und eine großzügige Autonomie würde sie zufriedenstellen. Die Unabhängigkeitserklärung Abchasiens 1992 hingegen hatte zum georgischen Einmarsch geführt, der mit russischer Hilfe abgewehrt wurde. Die Kämpfe forderten mindestens 8.000 Tote. Vorwiegend russische Truppen sowie UN-Beobachter sichern heute einen prekären Scheinfrieden.

Besonders die Südossetienfrage hat das Potential zu einem Stellvertreterkrieg, denn auch die Südosseten werden von Rußland unterstützt. Ob die Osseten einen eigenen Staat wollen oder - was für sie wirtschaftlich günstiger sein könnte - eine autonome Republik im Rahmen der Russischen Föderation, sollten sie selbst entscheiden dürfen. Aber Nordossetien als autonome Region Rußlands und Südossetien als nicht-autonomes Gebiet Georgiens - das kann keine Lösung sein. Denn es begünstigt nur Schmuggel, Korruption und - "Terrorismus".

Womit wir bei Tschetschenien angelangt sind. Zu einem Volk wurden die tschetschenischen Sippenverbände eigentlich erst durch den nun schon zwei Jahrhunderte dauernden Abwehrkampf gegen die Russen. Sie waren ursprünglich von Georgien aus christianisiert worden und konvertierten erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum Islam, bewahrten aber auch einen "Adat" genannten uralten Verhaltenskodex, der Schlüssel zum Verständnis ihrer Unbeugsamkeit ist.

Im "großen kaukasischen Krieg" 1833 bis 1859 waren die Tschetschenen von den zaristischen Truppen größtenteils ausgerottet oder ins Osmanenreich vertrieben worden. Auch nach der Oktoberrevolution konnten die Tschetschenen nicht die Freiheit erlangen. Und nachdem sie - wie andere Kaukasusvölker - bei Herannahen der Wehrmacht neuerlich den Aufstand gewagt hatten, wurden sie 1944 von Stalin nach Kasachstan deportiert. Nach Stalins Tod wurden sie rehabilitiert und konnten heimkehren. Aber auch die Unabhängigkeitserklärung von 1991 wurde nicht anerkannt. Sie führte 1994 bis 1996 zum "ersten" Tschetschenienkrieg, den der später verunglückte Afghanistanveteran General Lebed beendete: Er hatte die Unmöglichkeit einer militärischen "Lösung" klar erkannt.

Anders Präsident Putin, der 1999 den "zweiten" Krieg begann, welcher mittlerweile allein auf russischer Seite 13.000 Opfer forderte. Als Bush zum "Krieg gegen den Terrorismus" aufrief, glaubte Putin, auf diesen Zug aufspringen zu müssen. Nun aber sitzt er endgültig in der Falle, denn die einzige echte Lösung - "Russen raus aus Tschetschenien und Tschetschenen raus aus Rußland" - wurde verpaßt. Umgekehrt liegt die Fortdauer oder gar eine Eskalation der Tschetschenienkrise ganz im Interesse der Bushregierung: Sie belastet die russische Volkswirtschaft, trägt zur Demoralisierung der Armee bei, und nicht zuletzt könnten sich die Russen in einer emotionalen Aufwallung gegen die "islamischen Terroristen" doch noch breitschlagen lassen, Truppen in den Irak oder gar wieder nach Afghanistan zu entsenden.

Alle für einen: Der neue Präsident in Tscheschenien, Alu Alchanow, gilt als Mann Putins. Überhaupt hat Rußland in vielen Ländern des Kaukasus einen großen Einfluß. Foto: dpa


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