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11.09.04 / Hartz IV ist erst der Anfang

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. September 2004


Wilhelm v. Gottberg:
Hartz IV ist erst der Anfang

Seit mehr als einem Jahrzehnt ist es den an der Politik interessierten Menschen klar, daß die Gesellschaft in Deutschland über ihre Verhältnisse lebt. Die Wohltaten des Sozialstaates werden schon lange durch Schulden finanziert und vor den Folgen der demographischen Entwicklung in dieser Republik haben Experten schon vor zwei Jahrzehnten gewarnt. Leider haben die Verantwortungsträger der politischen Klasse und in den gesellschaftlich bedeutsamen Vereinigungen (Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden) das sich abzeichnende wirtschaftspolitische und finanzpolitische Chaos in dieser Republik ignoriert.

Durch nicht zu verantwortende Gesetzesmaßnahmen ist unsere heutige Misere im letzten Jahrzehnt zusätzlich prekär geworden. Man denke nur an die massenhafte Frühverrentung Mitte der 90er Jahre, die gewissermaßen mit einer großen Koalition unter Einschluß der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände zustande kam, und an die Zurücknahme der bescheidenen Rentenkassenkonsolidierung durch Rot-Grün zu Beginn der Legislaturperiode 1998.

Mit dem Hartz-IV-Programm ist nunmehr auf dem Sektor der Arbeits- und Sozialpolitik ein erster Schritt zum Abbau des ausgeuferten Sozialstaates vollzogen. Der damit einhergehende Einschnitt in die sogenannten sozialen Errungenschaften bringt zahlreichen Menschen Einschränkungen in ihrer Lebensqualität. Dennoch, die menschenwürdige Existenz ist für jeden nach wie vor gesichert. Weitere und tiefergehende Einschnitte werden folgen müssen. Die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Gesundheitsreform, die Sanierung der Rentenkassen, die Reparatur der schon nach neun Jahren Existenz notleidenden Pflegeversicherung und die Rückführung der jährlichen Nettokreditaufnahme. Letzteres bedeutet noch nicht den Beginn der Tilgung des angehäuften Schuldenberges. Fast alle Menschen werden die noch durchzuführenden Korrekturen am Sozialstaat finanziell mehr oder weniger deutlich spüren.

Die Reparatur einer verfehlten Politik wird durch die demographische Situation und die hohe Arbeitslosigkeit gravierend erschwert. Die offizielle Arbeitslosenzahl beträgt rund 4,5 Millionen. Alle wissen, daß die tatsächliche Arbeitslosenzahl bei mindestens sechs Millionen liegt. Wir sind hinsichtlich der Arbeitslosigkeit dort, wo sich die Weimarer Republik in der Endphase befand.

Die Politik hat bisher kein Rezept vorzuweisen, womit die Arbeitslosigkeit tendenziell zurück-zuführen ist. Die Äußerungen Kohls und Schröders zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit zeigen, daß sich die jeweiligen Bundeskanzler bei diesem Problem mit Wunschdenken durch die Tage lavieren.

Die Demonstrationen gegen Hartz IV sind ein Warnsignal. Wie wird es sein, wenn die weiteren, nicht zu umgehenden Reformen im Alltag der Menschen greifen? Wird diese Gesellschaft dann noch zusammenbleiben? Ist das deutsche Volk noch fähig, als Gemeinschaft zusammenzustehen? Skepsis ist angebracht. Jedenfalls muß festgehalten werden, daß die rücksichtslose Durchsetzung von Partikularinteressen ein wesentlicher Grund für unsere heutige schwierige Situation ist.

Am Beginn des Gesundungsprozesses steht Parteiengezänk, leider kein gemeinsamer Aufruf zum "Ärmel aufkrempeln" und zur Geschlossenheit. Deutschland driftet auseinander. Die Arbeitslosenquote ist trotz beispielloser Förderung über 15 Jahre im Osten doppelt so hoch wie im Westen. Die Politikverdrossenheit nimmt zu. Die PDS/SED feiert ihre Renaissance und die Kräfte vom äußersten rechten Rand wittern Morgenluft. Die Bundesregierung hat inzwischen begriffen, daß man die Menschen bei den Reformvorhaben mitnehmen muß, das heißt man muß sie von der Notwendigkeit der Einschnitte in das soziale Netz überzeugen.

Um glaubwürdig zu sein mit dem ernsten Willen zur Überwindung der Krise, müssen Regierung und Opposition in den Parlamenten das gesamte Ausgabenverhalten auf den Prüfstand stellen. Bisher hat man nur vom Volk Opfer verlangt, die durch das Steueraufkommen finanzierten Privilegien der politischen Klasse nicht angetastet. Dies muß sich ändern. Die Zuwendungen an die Fraktionen in den Parlamenten, die Zuwendungen an die Stiftungen der politischen Parteien sind deutlich zu kürzen. Die ausgeuferte Altersversorgung der Politiker ist zurückzufahren. Die hohe Zahl der Ministerialbeamten ist zu reduzieren. Drei Nachrichtendienste allein auf Bundesebene stellen eine nicht mehr zu rechtfertigende Geldverschwendung dar, und mit dem Luxus bei den Empfängen der Repräsentanten der Verfassungsorgane muß es ein Ende haben. Es ist schon so: Die Verantwortlichen der Verfassungsorgane predigen Wasser und trinken selbst Wein.

Die Rolle Deutschlands als Zahlmeister der EU muß zum Ende kommen. Auch wenn wir drei bis vier Milliarden weniger in den gemeinsamen EU-Haushalt einbringen, wären wir immer noch mit weitem Abstand der größte Nettozahler. Vor dem Hintergrund, daß Deutschland auf der Wohlstandsskala inzwischen nur noch einen mäßigen Mittelplatz einnimmt, ist die Reduzierung unserer Nettobeiträge keine unbillige Maßnahme. Schleunigst zu beenden ist ein Relikt der Scheckbuchdiplomatie aus der Kohl-Genscher-Ära. Deutschland hatte nach Maastricht einen Teil des britischen EU-Beitrages übernommen. Dieser Zustand dauert an.

Die Beiträge Deutschlands zur Uno und zur Nato sind bezogen auf die anderen Industriestaaten außergewöhnlich hoch. Das alles ist sehr vorbildlich, wird aber durch eine hohe Steuerbelastung im Inland erst ermöglicht. Der Zusammenhang zwischen der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Höhe der Unternehmensbesteuerung ist bekannt.

Schließlich soll auch noch die Finanzierung von Hilfsprogrammen für andere Staaten angesprochen werden. Es geschieht vieles im verborgenen und manches ist sicher erforderlich. Einiges ist skandalös. Mit 1,5 Milliarden Dollar beteiligt sich Deutschland an der Beseitigung des Atomschrotts und der Chemiewaffen der untergegangenen Sowjetunion. Das Empfängerland Rußland ist von der Ressourcenausstattung her das reichste Land der Welt. Dieses Land weigert sich, den völkerrechtlich bindenden Vertrag zur Rückführung der deutschen Beutekunst einzuhalten. Dafür wird es von Deutschland mit freiwilligem Finanztransfer belohnt. Der Vollständigkeit halber muß angemerkt werden, daß sich inzwischen 21 Länder am Recycling-Programm der Massenvernichtungsmittel der Roten Armee beteiligen. England und Frankreich haben jeweils 750 Millionen Euro versprochen.

Zur Gesundung der Staatsfinanzen und der sozialen Sicherungssysteme sind die diskutierten Reformen und eine strikte Ausgabendisziplin der öffentlichen Hand erforderlich. Eins ohne das andere wird den gewünschten Erfolg nicht bringen. Die Einigkeit und Vernunft der Demokraten ist gefordert.


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