28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.09.04 / Der Kaiser und das Dritte Reich / Die Haltung Wilhelms II. war starken Schwankungen unterworfen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. September 2004


Der Kaiser und das Dritte Reich
Die Haltung Wilhelms II. war starken Schwankungen unterworfen
von F.-L. Kroll

Das Verhältnis Wilhelms II. zum Nationalsozialismus war maßgeblich von seinem Restaurationskonzept bestimmt. Zunächst, in den 20er Jahren, hegte der Exilmonarch eine entschiedene Abneigung gegenüber der Hitler-Bewegung. Ab Anfang 1931 jedoch mehren sich die Zeichen, die darauf hindeuten, daß Wilhelm den Nationalsozialismus seinen Restaurationszielen dienstbar zu machen versuchte. Die Kontaktaufnahme erfolgte hier in erster Linie über Hermann Göring, der den Kaiser zweimal, im Januar 1931 und im Mai 1932, in Doorn besuchte und dabei - wie Wilhelms Adjutant Sigurd von Ilsemann am 24. Mai 1932 berichtete - durch seine "äußerst flegelhaften Manieren" auffiel. Gleichwohl bestärkten Görings Auftritte den Kaiser in seiner Illusion, daß Hitler ihn auf den Thron zurückbringen würde. Solange er diese Illusion hegte, hatte er nichts gegen eine Kooperation seiner Anhänger mit nationalsozialistischen Gruppierungen im Reich einzuwenden. Den ideologischen Vorgaben Hitlers indes stand Wilhelm II. bei alledem kritisch gegenüber. Zwischen der - übrigens erst nach seinem Sturz - gelegentlich aufkeimenden Judenfeindschaft des Exkaisers einerseits und dem kollektiven Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten andererseits bestanden erhebliche qualitative Unterschiede, die als solche auf beiden Seiten deutlich registriert worden sind. Hitler seinerseits hatte nicht die geringsten Sympathien für die Monarchie, und auch die meisten anderen Führungsfiguren der NS-Bewegung, namentlich Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, Reichsjugendführer Baldur von Schirach und Reichsbauernführer Richard Walther Darré, artikulierten immer wieder ihre massive Ablehnung der monarchischen Staatsform, was am 3. Februar 1934 in dem von Hitler verfügten Verbot sämtlicher monarchistischer Verbände kulminierte. Nach dieser "Gleichschaltung" war die Hoffnung des Kaisers, mit Hitlers Hilfe auf den Thron zurückzukehren, zerstoben, und es scheint fast so, als ob Wilhelm II. seitdem auch wieder einen klaren und kritischen Blick auf den tatsächlichen Charakter des Nationalsozialismus gewonnen habe. "Die Führer der nationalsozialistischen Republik", so bekannte er am 17. September 1933, "unterscheiden sich von den bisherigen dadurch, daß sie noch radikaler sind als die Novembermänner, nur haben sie sich den Mantel Friedrichs des Großen umgehängt. Alles wird von den Leuten ja beseitigt: die Fürsten, der Adel, die Offiziere, die Stände und so weiter; aber das wird sich rächen, man wird die einzige Fahne, die sie noch übriggelassen haben, die mit dem Hakenkreuz, noch einmal verfluchen, und die Deutschen selber werden sie eines Tages verbrennen". Auch in späteren Jahren fehlte es nicht an deutlichen, teilweise höchst aggressiven Zeugnissen gereizter Distanz zum Regime Hitlers - bis hin zur Beurteilung der Novemberpogrome von 1938 seitens des Kaiser als "Schande", angesichts derer er sich "zum ersten Mal schäme, ein Deutscher zu sein".

Differenzierter freilich verhielt es sich mit Blick auf die anderen Mitglieder des Hauses Hohenzollern in ihrem Verhältnis zur nationalsozialistischen Bewegung. Wilhelms II. zweite Ehefrau Hermine erwies sich auch dann noch als eine überzeugte Anhängerin Hitlers, als dessen monarchiefeindliche Haltung längst deutlich geworden war. Und der viertälteste Sohn des Kaisers, Prinz August Wilhelm, betrieb die unglückliche Liaison mit der Hitler-Bewegung ohnehin weitaus intensiver und langfristiger als Wilhelm II.: Ab 1930 Parteimitglied, ab 1932 preußischer Landtags- und 1933 Reichstagsabgeordneter, wurde der Prinz zunächst bei großen öffentlichen Kundgebungen der NSDAP als Redner eingesetzt und hat in dieser Funktion im Sinne eines nationalkonservativen "Aushängeschildes" seinen Teil dazu beigetragen, den Nationalsozialismus in rechten Kreisen salonfähig zu machen. Ähnliches galt hinsichtlich anderer Söhne des Kaisers: Kronprinz Wilhelm engagierte sich Anfang der 1930er Jahre, gegen den ausdrücklichen Wunsch seines Vaters, ebenso aktiv im "Stahlhelm" wie dessen jüngere Brüder Prinz Eitel Friedrich und Prinz Oskar. Alle gerieten durch diese Zugehörigkeit zu einem der exponiertesten vaterländischen Verbände in nächste Nähe zum Nationalsozialismus.

Freilich darf bei alledem auch nicht übersehen werden, daß es in den Jahren nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs enge Kontakte des Hauses Hohenzollern zur deutschen Widerstandsbewegung gegeben hat. Prinz Oskar, der fünfte Sohn des Kaisers, hielt, bei allem Eintreten für die Ziele und Ideale des "Stahlhelm", doch entschieden Distanz zum Nationalsozialismus, auch Kronprinz Wilhelm hat mehrfach das Gespräch mit führenden Angehörigen des militärischen Widerstandes gesucht, und dessen zweitältester Sohn, Prinz Louis Ferdinand, der erklärte Lieblingsenkel des Kaisers, war unmittelbar in die zum 20. Juli 1944 führenden Planungen der Verschwörer einbezogen. Wilhelm selbst hingegen pflegte - bei aller sich zusehends verfestigenden Abneigung gegen das NS-Regime - keine Kontakte zur innerdeutschen Opposition.

Wie hätte er auch Einsicht haben sollen in die tatsächliche Situation in Deutschland, angesichts seiner jahrzehntelangen Isoliertheit im niederländischen Exil. Nach Tagen völliger Abgeschlossenheit und Nachrichtenlosigkeit empfing er am 14. Mai 1940 in Doorn die ersten Soldaten der kurz zuvor in die Niederlande einmarschierten deutschen Wehrmacht. Einen Monat später, nach der Kapitulation Frankreichs, entschied er sich - trotz seiner bis dahin strikt eingehaltenen Ablehnung Hitlers -, dem "Führer und Reichskanzler" ein Glückwunschtelegramm zu senden: Die Freude über die Niederringung des alten "Erbfeindes" war ganz offensichtlich größer als die Abneigung gegenüber den braunen Machthabern. Und diese taten in den noch verbleibenden letzten zwölf Lebensmonaten des Kaisers alles, um die Isolation Wilhelms II. in seinem Doorner Exil aufrechtzuerhalten. Den Soldaten und Offizieren der kämpfenden Truppe war es ausdrücklich untersagt, von ihm in irgendeiner Weise Notiz zu nehmen oder gar in näheren Kontakt mit ihm zu treten. Die zum "Schutz" des Kaisers postierten deutschen Wehrmachtsangehörigen wurden im Herbst 1940 von Mitgliedern der SS abgelöst, welche den bisher relativ freien Zugang nach Doorn nunmehr rigoros unterbanden.

Das Ende kam am 4. Juni 1941. Der Kaiser, schon seit längerer Zeit in zunehmend schlechter gesundheitlicher Verfassung, erlitt in den Morgenstunden eine Lungenembolie und starb um 12.30 Uhr - sein letzter Blick fiel auf das von Franz Lenbach 1886 gemalte Porträt der Prinzessin Auguste Viktoria, seiner ersten, schon 1921 verstorbenen Frau, die er 1881 einst geheiratet, und die ihm sieben Kinder geschenkt hatte. Das offizielle nationalsozialistische Deutschland nahm von Tod und Begräbnis des ehemaligen deutschen Staatsoberhauptes keine Notiz. Tatsächlich stand dann auch die Trauerzeremonie in denkbar krassem Gegensatz zu den vom Regime bevorzugten Formen öffentlicher Selbstdarstellung. Nach kirchlicher Aussegnung leerte Oberhofprediger Bruno Doehring eine mit deutscher Erde gefüllte Schale über dem Sarg des in der Fremde gestorbenen Herrschers, der einst eine Weltmacht regiert, den daraus erwachsenden Ansprüchen aber trotz guten Willens nicht gerecht zu werden vermocht hatte. Zuletzt, beinahe unverhofft, trat der uralte Generalfeldmarschall August von Mackensen, erfolgreicher Armeeführer im Ersten Weltkrieg, hervor und streichelte lange den Sarg seines verstorbenen kaiserlichen Herrn.

Es ist nicht leicht, Bilanz zu ziehen über die 23 Jahre, die Wilhelm II. nach dem Sturz der Monarchie in seinem niederländischen Zufluchtsort verbracht hat. Unzweifelhaft hätten die nicht immer einfachen psychologischen Bedingungen des Exils auch eine ausgeglichenere Persönlichkeit als Wilhelm II. emotional in hohem Maße belastet. Eine politisch relevante, in irgendeiner Weise führende Rolle hat der entthronte Monarch nach 1918 niemals wieder zu spielen vermocht. Nach zwei Jahrzehnten der Einsamkeit und des Vergessens war der letzte deutsche Kaiser den meisten Bewohnern seines früheren Reiches in weite Ferne gerückt und vielen von ihnen nur noch als schemenhafte Erinnerung präsent. Als er am 10. November 1918 die belgisch-niederländische Grenze überschritt, nahm er auch den Mythos des Deutschen Kaiserreichs mit. Daß dieser Mythos bis zum heutigen Tag aufs engste mit der Person Wilhelms II. verknüpft ist, bezeichnet - wenn man so will - die Tragik des monarchischen Gedankens in Deutschland.

Wilhelm II. mit Hermine: Im Gegensatz zu seiner zweiten Ehefrau war der Exmonarch niemals Hitler-Anhänger aus Überzeugung. Foto: Ullstein


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren