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18.09.04 / Am Computer auf Verbrecherjagd / Die Beamten des Zolls müssen sich in Zeiten steigenden Warenverkehrs und Personalkürzungen auf ihren Instinkt verlassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. September 2004


Am Computer auf Verbrecherjagd
Die Beamten des Zolls müssen sich in Zeiten steigenden Warenverkehrs und Personalkürzungen auf ihren Instinkt verlassen

Während sowohl die Bundesregierung als auch die führenden Wirtschaftsinstitute noch keine genauen Angaben über die Auswirkungen der EU-Osterweiterung machen wollen oder können, kann Herbert Kleine aus Kiel bereits über die direkten Folgen auf sein Berufsleben berichten.

Herbert Kleine ist einer der Zollbeamten, deren Arbeitsplätze mit der Erweiterung der Europäischen Union überflüssig wurden, denn da die EU ein einheitlicher Handelsraum ist, in dem alle Waren frei verkehren, verschoben sich mit den EU-Außengrenzen auch die Zollgrenzen Richtung Osten. Während etwa 7.000 seiner Kollegen vor allem aus den neuen Ländern seit dem 1. Mai im Kampf gegen die Schwarzarbeit eingesetzt werden, wurde Herbert Kleine bis auf weiteres dem Zoll Hamburg "ausgeliehen". Sein Einsatzort ist derzeit die Zollstation am Windhukkai mitten im Hafen der Hansestadt.

Da die Abfertigungen am Hamburger Hafen in diesem Jahr im zweistelligen Prozentbereich zugenommen haben, benötigen die Hamburger auch dringend Unterstützung. "Wir platzen aus allen Nähten", beschreibt der Leiter der Abfertigungsstelle Windhukkai Diekmann die derzeitige Situation. Wenn er so sieht, was an Waren in Hamburg ankommt, mag er gar nicht glauben, daß die deutsche Binnennachfrage schwächeln soll, denn auch wenn zahlreiche der in Hamburg an Land gebrachten Waren per Lkw, Bahn oder Flugzeug in andere Länder weitertransportiert werden, so erklärt das noch lange nicht die großen Steigerungsraten.

Über sieben Millionen Container werden im Hamburger Hafen abgefertigt. 60 Prozent aller Schiffe kommen derzeit aus China. Die Waren werden allerdings nicht immer gleich weitertransportiert, sondern werden erst einmal zollfrei in den bereitstehenden Lagerhäusern deponiert. Erst wenn die Waren weitertransportiert werden, tritt der Zoll in Aktion.

Seit mehr als 5.000 Jahren werden in allen Epochen und Kulturen Zölle und Verbrauchssteuern zur Sicherung von Staatseinnahmen und zur Steuerung von Warenströmen erhoben. Die Zolleinnahmen auf dem Gebiet der EU fließen inzwischen alle direkt nach Brüssel in den gemeinsamen EU-Haushalt, der sich zu 12,5 Prozent durch diese Einnahmen finanziert. Allein in Deutschland wurden so beispielsweise im Jahr 2002 2,9 Milliarden Euro Zolleinnahmen für den EU-Haushalt eingenommen. Hiernach ist es egal, wo beispielsweise ein japanischer Autoimporteur seine Produkte innerhalb der EU anliefert. Er zahlt nur einmal Zoll, ohne daß er dabei einen bestimmten Standort zollmäßig gesehen finanziell bevorzugt oder benachteiligt. Dabei trägt die deutsche Zollverwaltung allerdings nicht nur die Verantwortung für die korrekte Abführung von Zöllen, sondern auch von Verbrauchssteuern auf Bier, Branntwein, andere alkoholische Getränke, Kaffee, Mineralöl und Tabak sowie Einfuhrumsatzsteuern an den Bund.
Doch die Aufgaben der Zollbeamten sind viel komplexer, denn der Zoll trägt auch zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität bei. Vom Drogenhandel über Produktpiraterie und Schmuggel bis hin zur Geldwäsche und illegalen Finanzströmen sowie Verstößen gegen internationale Artenschutzabkommen. Dies ist jedoch keineswegs sonderlich einfach, wenn täglich etwa 1.200 Zollanmeldungen allein in der Abfertigungsstelle Windhukkai eingehen, die von knapp 40 Mitarbeitern bearbeitet werden. Zeit für Kontrollen bleibt da wenig.

Dem Lkw-Fahrer, der Herbert Kleine ein Formular vorlegt, welches besagt, daß sich in seinem Wagen 450 Kisten Damenmäntel aus China für Peek & Cloppenburg in Duisburg befänden, vertraut der Zollbeamte blind. Er hat gar nicht die Zeit, jeden Lastwagen auf seinen Inhalt hin zu überprüfen. Allerdings muß jeder Fahrer damit rechnen, daß sein Fahrzeug jederzeit stichprobenartig inspiziert wird. Trotz allem findet der Großteil der Arbeit der Zollbeamten am Windhukkai am Computer statt. Hier hat immerhin das automatisierte Tarif- und lokale Zollabwicklungssystem (ATLAS), ihnen in den letzten Jahren die Arbeit etwas erleichtert. 84 Prozent der Wirtschaftsteilnehmer schicken dem Zoll jetzt schon alle Angaben über dieses Computersystem, so daß sehr viel der täglichen Arbeit nahezu papierlos läuft. Dies hat jedoch zur Folge, daß die Beamten ganz genau auf merkwürdige Angaben achten müssen, da sie keine direkten Kontrollmöglichkeiten anhand der Rechnungen und Belege haben.

Nur wenige Tage zuvor wurde einer von Herbert Kleines Kollegen stutzig, als er las, daß ein Lkw mit Fotoalben und Muscheln aus China beladen sein sollte. Er ließ sich die Ware zeigen und entdeckte artengeschützte Korallen, die er sofort beschlagnahmte. Auch ein angeblich nur mit Fruchtsäften aus Afrika beladener Transporter schien ihm einer Überprüfung wert. Zu recht, denn die darin enthalten Kisten mit alkoholischen Getränken hatte der Händler "vergessen" anzuführen und somit die fällige Alkoholsteuer zu umgehen versucht. Auch über die angebliche "Weihnachtsdeko" zu einer unpassenden Jahreszeit wunderte sich der Kollege so sehr, daß er eine Durchsuchung vornehmen ließ, die statt Weihnachtsmännern lizenzgeschützte "Harry Potter"-Figuren zu Tage brachte.

Es sind aber nicht nur "kleine Fische", die den Hamburger Zollbeamten ins Netz gehen. Gerade der Einsatz von Containerscannern bringt manches Verbrechen ans Licht. So bestand die Lieferung eines Schiffes aus Kolumbien keineswegs nur aus Autos. Eine Durchleuchtung der Wagen ergab, daß sich in deren Verkleidung besonders wertvolles "weißes Pulver" befand. Ein großer Erfolg der Zollbeamten im Kampf gegen die Drogenmafia.

Doch es steht außer Zweifel, daß bei den nur hin und wieder stattfindenden Kontrollen, so mancher auf Risiko setzt und Waren ins Land bringt, deren Einfuhr verboten ist, weil sie beispielsweise nicht den europäischen Normen und Gesundheitsbestimmungen entsprechen. Der Zoll kann nur verhindern, daß diese Machenschaften überhandnehmen und die bei Stichproben erwischten Täter bestraft werden. In Zeiten der Globalisierung, wo Waren schnell von A nach B sollen, sind übermäßige Kontrollen nicht erwünscht und mit der ausgedünnten Personaldecke sowieso nicht machbar.

Herbert Kleine wirft einen kurzen Blick auf die vier Fässer auf der Ladefläche eines Kleintransporters. "Weißes Pulver", fragt er schalkhaft. "Ja, irgendeine Chemikalie. Soll zum Flughafen weiter." Herbert Kleine vertraut abermals, reicht dem Fahrer die nötigen Papiere und ruft den nächsten Kunden auf. Rebecca Bellano

Haschischfund im Wert von 70.000 Euro: In Zeiten von international anwachsendem Verkehr sind nur noch stichprobenartige Kontrollen möglich. Foto: Zoll

 

EU-Zollpolitik:

Die EU gehört heute mit Ausnahmen wie dem Landwirtschaftsbereich zu den Niedrigzollregionen der Welt. Die Zölle der EU für gewerbliche Waren liegen im Durchschnitt bei vier Prozent. Allerdings gewährt die EU auch oft Zollsenkungen oder gar zollfreien Zugang für Waren aus Nachbarländern sowie aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Dies betrifft die übrigen Länder des Europäischen Wirtschaftsraumes (Island, Liechtenstein und Norwegen), die Schweiz, die ehemaligen britischen, französischen und portugiesischen Kolonien in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean sowie Länder im Mittelmeerraum. Besondere Regeln gelten für die Beitrittkandidaten Bulgarien, Rumänien und die Türkei. Da es Absicht der Welthandelsorganisation (WTO) ist, den internationalen Handel vor allem durch den Abbau von Zöllen und sonstigen Handelsbeschränkungen zu erleichtern, werden die Bestimmungen der EU in regelmäßigen Abständen neu überdacht. Da die EU einerseits im Rahmen der Globalisierung mit gutem Beispiel vorangehen, andererseits aber auch den europäischen Markt vor Billigkonkurrenz aus anderen Teilen der Welt schützen will, kommt es hier regelmäßig zu langwierigen Diskussionen. Inzwischen wird der Zollsatz "Null" offiziell als politisches Fernziel angestrebt. Da jedoch insbesondere die französische Landwirtschaft kaum international konkurrenzfähig ist und wohl kaum ein französischer Präsident einen Konflikt mit den heimischen Landwirten heraufbeschwören wird, ist mit einem Erreichen des offiziellen Zieles in absehbarer Zeit kaum zu rechnen.

 

Aufgaben des Zolls:

- Erhebung von Zöllen, Verbrauchs- und Einfuhrumsatzsteuern
- Verhinderung und Aufdeckung organisierter und oft international verzweigter Verbrechen
- Unterbindung der illegalen Einfuhr von Zigaretten, Alkohol, Waffen, Drogen oder vom Aussterben bedrohter Tiere und Pflanzen
- Fahndung nach Lebensmitteln und Gegenständen, die nicht den geltenden europäischen Gesundheits- und Rechtsvorschriften entsprechen
- Verhinderung von Schmuggel und Markenpiraterie

Kontrolle der Einhaltung von Einfuhrbeschränkungen bei Getreide, Zucker, Milch, Rindfleisch und anderen landwirtschaftlichen Produkten, bei denen die heimische Industrie nicht wettbewerbsfähig ist.


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