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25.09.04 / Im Namen des Sturms / Katastrophen in Zeiten des Wahlkampfes

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. September 2004


Im Namen des Sturms
Katastrophen in Zeiten des Wahlkampfes
von Sverre Gutschmidt

Er trug seinen Schreckensnamen zu Recht. Mindestens 40 Menschen riß er in den Tod - allein in den USA. Nach Frances kam Ivan, "Ivan der Schreckliche", ein tropischer Wirbelsturm, der Wohnwagen in die Luft hob und Menschen unter einstürzenden Häusern und Flutwellen umbrachte. Diese Dimension des Schreckens trifft Amerika als Ganzes, denn kaum zuvor gab es in einem auch politisch so brisanten Jahr so viele Katastrophen in Folge im Süden der Vereinigten Staaten.

Ob das schon chronisch-sturmgepeinigte Florida oder Alabama, ob Hinterland oder Küste, überall können Stürme wegen fehlender Ost-West-Meridiane (ableitender Gebirge) nach Norden vordringen und Verwüstungen anrichten, sogar bis New York ziehen. Dessen Bürger fragen nun den zuständigen Regierungsbevollmächtigten Mike Brown besorgt auf der Internetseite des Weißen Hauses um Rat. Als Direktor steht er der "Federal Emergency Management Agency" (FEMA) vor und die ist wiederum eine Unterabteilung der Behörde, die der Präsident als Antwort auf den 11. September einrichten ließ, des "US Department of Homeland Security", zu deutsch "Heimatschutzbehörde". Ein Schuft, wer verdeckte Wahlkampfunterstützung vermutet. Doch offenbar sehen viele Amerikaner Terror und Kata-strophen in einem größeren organisatorischen Zusammenhang als ein Land, für das der Einsatz der Bundeswehr im Inland schon rechtliche Fragen aufwirft. So muß sich Brown höchstens die Frage gefallen lassen, ob bei soviel Kräften der Nationalgarde im Irak noch genug zur Katastrophenabwehr in der Heimat bereit stünden. Als lapidare Antwort verkündete er: "Wir werden das Personal haben, das wir brauchen." Die Internetseite des Weißen Hauses ist derzeit die Plattform des Präsidenten im Kampf ums höchste Staatsamt. Und aus seiner Bewunderung für George W. Bush macht Brown in der Diskussionsrunde, in der es eigentlich um Vorsichtsmaßnahmen geht, keinen Hehl: "Es gibt keine bessere Person für eine Zusammenarbeit als Präsident Bush. Er ist ein Mann mit einem großen Herz und Sorge für alle Amerikaner und jeden weltweit. Er tut immer, was er für richtig hält und gibt daher einen großartigen Führer ab." Der so Gelobte hatte sich bereits nach dem Sturm Frances medienwirksam am Straßenrand ir-gendwo im Krisengebiet Floridas beim Wasserverteilen ablichten lassen - seinen Bruder Jeb Bush, Gouverneur des Staates, stets an seiner Seite. Nun tut er es wieder. Ein Betroffener hat "Baustelle" auf das einzige geschrieben, das ihm geblieben ist: eine Tür. Der Präsident klopft ihm auf die Schulter, verspricht Hilfe. "Aufmerksam" und "vorbereitet", Lieblingswörter des Heimatschutzes wie des Präsidenten, waren längst nicht alle Amerikaner beim Eintreffen der Hurricanes. In New Orleans wie in anderen Städten betranken sich gestrandete Touristen und sture Einheimische, wollten den Sturm "ertränken". Verstopfte Highways ließen vielen keine andere Wahl als dem Evakuierungsbefehl zu trotzen. Eine Anzahl katholischer Mönche, die zu einem Kongreß noch rechtzeitig herein, aber dann nicht mehr aus New Orleans herausgekommen war, steckte ebenso fest wie so mancher Gast auf dem Flughafen Louis Armstrong oder die zahlreichen Obdachlosen der Stadt unter Meeresniveau. Zumindest letztere stehen Stürmen wie Präsidenten sowieso mit demselben Gleichmut gegenüber. Nicht nur sie, sondern immer mehr "Durchschnittsamerikaner" haben die derzeitige Schlammschlacht des Wahlkampfes genauso satt, wie die jähr- lich wiederkehrenden Verwüstungen in den karibischen Ferienparadiesen Amerikas.

Wem das Unvermeidliche keine Angst bereitet, der spielt damit, macht sich lustig, "reitet" den Sturm aus oder reist an, um in den Wellen vor der tödlichen Brandung zu surfen. Gegen diese Waghalsigen oder fatalistischen Bürger pflegt die Bush-Administration das Heldenbild der "first-responders". Diese "zuerst Antwortenden" reagierten zuerst auf den Terror, waren zuerst am Ground Zero und kämpfen natürlich auch in vorderster Front im Irak. Jetzt kämpfen sie gegen "Ivan" und Co. Sie sind Feuerwehrleute, Nationalgardisten, Polizisten, Helfer und Mythos. Ihnen dankte Bush am 19. September anläßlich der Zerstörungen durch das Unwetter in Alabama. Sie sind seine Trumpfkarte im Wahlkampf oder wie Bush in seiner Rede vor "seinen" "first responders" sagte: "I want to thank the people that are working hard to bring some sense of order in the lives of these citizens." Der für sein rhetorisches Geschick sonst nicht gerade bekannte Präsident pries also die hart arbeitenden Helfer, daß sie den Bürgern ein Gefühl von Ordnung zurückgebracht hätten.

Als Ersthelfer besonderer Art bewarb sich 2002 bereits ein anderer um ein wichtiges Staatsamt. Oder um es mit den Worten Gehard Schröders in seiner Neujahrsansprache 2002 zu sagen: "Was bleibt, sind Einschnitte, aus denen wir alle lernen. Deshalb ist die Flutkatastrophe an Elbe und Donau mir und den meisten in Erinnerung." Er war es nämlich, den die steigenden Wasser wieder in das schon verlorengeglaubte Amt zurückspülten. Auch wenn nur Zyniker behaupten, Katastrophen seien die besten Wahlhelfer, bleibt ein schaler Beigeschmack. In Gefahrenzeiten scharen sich die Menschen notgedrungen um die, die handeln. Für Bush wie für viele Amerikaner ist dieser Lernprozeß noch nicht abgeschlossen. Nicht das Wetter, sondern das Geschick und die Fähigkeit der Kandidaten, richtige Antworten zu finden, entscheidet. Die Hurricane-Saison endet in den USA nicht vor dem ersten November, stellt der

FEMA-Direktor richtig fest, richtiger wäre: "nicht vor dem zweiten November". Es ist also damit zu rechnen, daß die USA noch von so mancher Sturmfront heimgesucht wird. Der nächste Unheilbringer heißt "Jeanne".

Schadensüberblick: US-Präsident George W. Bush inspiziert die Schäden von "Ivan". Foto: Reuters


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