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25.09.04 / Die pommersche Tragödie / Angesichts neuer polnischer Ansprüche sollte das Schicksal Swinemündes nicht vergessen werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. September 2004


Die pommersche Tragödie
Angesichts neuer polnischer Ansprüche sollte das Schicksal Swinemündes nicht vergessen werden
von Rüdiger Goldmann

Die Heiterkeit des sommerlichen Badelebens in den Kaiserbädern der Insel Usedom und die glänzend renovierten Hotels und Villen zwischen Zinnowitz und Ahlbeck könnten den unbedarften Besucher dieses Teils von Vorpommern über die Tragödien hinwegtäuschen, die sich hier während der NS-Zeit im Jahre 1945 und danach in der DDR-Zeit abgespielt haben.

Sowohl das Nordwestende der Insel mit dem bekannten Peenemünde wie der Südostteil mit dem Golm und Swinemünde als auch die alte Hauptstadt Pommerns, die ehemals größte deutsche Ostseehafenstadt Stettin, haben Tragödien unvorstellbaren Ausmaßes erlebt, in denen Zehntausende unschuldiger Menschen ums Leben gekommen sind. Peenemünde ist als Geburtsort der Raketenentwicklung und damit der Weltraumfahrt heute in aller Munde. Dort wurde unter Oberst Walter Dornberg und Wernher von Braun 1936 die Heeresversuchsanstalt errichtet, in der die ersten Flüssigkeitsraketen, bekannt als V1 und V2, entwickelt wurden. Die in jeder Hinsicht aufwendige Produktion sollte das Deutsche Reich aus den Fesseln des Versailler Vertrages befreien und den deutschen Staat anders als im Ersten Weltkrieg unbesiegbar machen.

Der militärische Einsatz führte allerdings nicht zu den erhofften Erfolgen, da die Zielgenauigkeit fehlte, und die Engländer bald Abwehrmöglichkeiten gefunden hatten. Die folgenden Luftangriffe der Alliierten konnten weder abgewehrt noch in ähnlicher Stärke erwidert werden. Im Gegenteil, die englischen und amerikanischen Bombardements Mitte 1943 und 1944, die viele Menschenleben kosteten, zwangen zur Verlegung der Peenemünder Anlagen nach Nordhausen, wo sie unter der Erde wiedererrichtet wurden. Dort mußten Zehntausende Häftlinge arbeiten, von denen sehr viele die Haft- und Arbeitsbedingungen nicht überlebten. Auf Usedom blieb außer Wohngebäuden nur das riesige Kraftwerk zurück, das nicht zerstört wurde und in dem heute ein Informationszentrum in sehr anschaulicher Weise den Weg der Entwicklung der Raketen und die Tätigkeit der Beteiligten darstellt. Vorarbeiten dazu hatte es von Wissenschaftlern wie Hermann Oberth gegeben, in Breslau hatte sich schon in den 20er Jahren eine Gesellschaft der Freunde der Raumfahrt gebildet, die entsprechende Versuche förderte. Nach der Besetzung Deutschlands 1945 bemühten sich alle Siegermächte, die Raketenpioniere für ihre eigenen militärischen Pläne zu gewinnen. Während dies von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion bekannt ist, überrascht den Besucher die Dokumentation entsprechender engli-scher und französischer Aktionen. Das Gelände selbst wurde von der Roten Armee und später von der NVA der DDR genutzt, während die Bundesmarine nach dem Zusammenbruch des Sowjetzonenstaates 1996 den Stützpunkt Peenemünde auflöste.

Eine bei weitem schrecklichere Tragödie sollte sich am 12. März 1945 in Swinemünde ereignen, vor 1945 die größte Stadt auf der Insel Usedom, das meistbesuchte pommersche Seebad, Vorhafen Stettins und Kriegshafen. Bei Kriegsende hatten sich Zehntausende Flüchtlinge und Vertriebene aus Hinterpommern, West- und Ostpreußen in die Stadt geflüchtet. Die Lazarette waren überfüllt, Lazarettzüge standen auf dem Bahnhof, im Kurpark lagerten Soldaten, die noch an die Ostfront in Marsch gesetzt werden sollten.

In den Mittagsstunden des 12. März flogen amerikanische Bomber, die Berichte schwanken zwischen 671 und 1.000 Flugzeugen, einen Angriff, der die Stadt in ein brennendes Inferno verwandelte. Die Zahl der Toten wird auf 23.000 bis 25.000 geschätzt. Über 20.000 wurden auf dem Golm in Massengräbern begraben. Der Golm stellt mit rund 70 Metern die höchste Erhebung der Insel dar und liegt südwestlich von Swinemünde. Nur 1.667 Opfer - vor allem aus Swinemünde - sind namentlich bekannt und auf Bronzetafeln festgehalten.

Die Gestaltung des Friedhofs und die Art des Gedenkens war zwischen den Anwohnern der benachbarten kleinen Orte Kamminke und Gartz und den sowjetzonalen Behörden jahrelang umstritten. Ein erstes Gedenkkreuz wurde in einer Nacht- und Nebelaktion abgesägt, die Steinskulptur einer trauernden Frau durfte nicht aufgestellt werden. Heute gibt es dort neben vielen Steinkreuzen, einem Rundbau mit einer Inschrift, ausgerechnet vom DDR-Barden Johannes R. Becher, diese Statue, einen Gedenkstein der Swinemünder Heimatgemeinschaft und ein großes Holzkreuz, einen Ausstellungspavillon sowie eine Ausstellung in der Kirche von Gartz. Das Massaker von Swinemünde ist jedoch längst nicht im Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit.

Zu den bekanntesten pommerschen Tragödien gehört auch die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus dem gesamten Hinterpommern und der Stadt Stettin. Die Gesamtfläche der Provinz Pommern betrug nach der Angliederung der grenzmärkischen Kreise 1938 rund 38.400 Quadratkilometer, sie war damit größer als die der Niederlande. Über zwei Millionen lebten in diesem Land - es gab keine polnische Minderheit. Während die polnische Exilregierung unter Arciszewski keinen Anspruch auf Stettin erhob, änderte sich dies bis zur Konferenz von Potsdam.

Am 24. Juli forderte die polnische Delegation in Potsdam "die Westgrenze Polens von der Ostsee durch Swinemünde, Stettin in Polen einschließlich, entlang der Oder bis zur Neiße und entlang der Neiße bis zur Tschechoslowakei verlaufen" zu lassen. Man begründete die Forderung nach Stettin damit, daß es den "natürlichen Ausgang für Schlesien bilde". Die USA akzeptierten diesen Wunsch, forderten aber in Schlesien die Glatzer Neiße, während die Polen allenfalls der Queis-Linie zustimmen wollten. Dem sowjetischen Außenminister W. Molotow fiel die Formulierung "durch Swinemünde" auf, worauf Stalin vorschlug, dies durch "unmittelbar westlich von Swinemünde" zu ersetzen, was von den Angloamerikanern ohne weiteres gebilligt wurde! Im Abschnitt IX b des Potsdamer Protokolls heißt es dazu bezüglich der Westgrenze Polens, daß die "früher deutschen Gebiete" östlich der Linie, die von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der westlichen Neiße und die westliche Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft ... unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen ..." Dies alles unter dem Vorbehalt der endgültigen Festlegung in der Friedenskonferenz. Nach dem hier zitierten Wortlaut war Stettin nicht einbezogen, jedoch intern war diese polnische Forderung angenommen worden. Das Ergebnis war die völlige Verfügungsgewalt der UdSSR und ihres polnischen Satelliten über die Odermündung und Swinemünde, die Teilung der Insel Usedom, die Vertreibung der dort lebenden Deutschen und die bis heute bestehende groteske Grenze, deren breiter Grenzstreifen südlich von Ahlbeck noch weithin sichtbar ist. Bisher kann der Grenzübergang - auch nach dem Beitritt Polens zur EU - nur zu Fuß oder per Rad überschritten werden. Dann ist man auf stinkende Pferdekutschen angewiesen, um das Zentrum oder den Hafen Swinemündes zu erreichen. Kilometerlang ziehen sich die Budenstraßen die frühere Heringsdorfer Chaussee entlang, die, wie könnte es anders sein, heute "Straße der Polnischen Armee" heißt.

Die Aneignung Swinemündes hat die Folge, daß es keine Straßen von der östlichen Seite her zur Stadt gibt, alles läuft über die Fähren. Die ehemalige B110 endet als Sackgasse nördlich des Golm an einem Wassergraben. Man hat noch die SPD-Parole von 1989/90 im Ohr, in der die "Anerkennung der polnischen Westgrenze ohne Wenn und Aber" gefordert wurde. Dabei bedachte man weder das Unrecht, das mit dieser Grenze verbunden war, man überging geflissentlich, daß sie durch Gewalt und Vertreibung entstanden war und übersah zugleich deren groteske Folgen, die bis heute die Menschen, Verbindungen und Entwicklungen behindern. Man kann nur hoffen, daß die Fehler der Vergangenheit bald überwunden werden.


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